Herausfordernde Klassenzusammensetzung

Ich schreibe Ihnen aufgrund meiner momentanen Klassensituation. Letzten Sommer habe ich meine erste eigene Kindergartenklasse übernommen. Ich unterrichte eine Klasse mit 19 Kindern. Im Umgang mit 2-3 Kindern bin ich im Moment extrem gefordert und auch überfordert. Ich bin so sehr mit diesen Kinder beschäftigt, dass der Rest der Klasse definitiv zum Teil von mir vernachlässigt wird, was sich dann schlussendlich auch negativ auf die ganz Klassendynamik auswirkt.
Das auffällige Verhalten betrifft Kinder, welche bereits im 2. KG-Jahr sind.
Der Grossteil der Kinder gehört zu den unproblematischen Kindern. Zeitweiliges Überborden, ‚Blödsinn‘ machen, instabile Gefühlsäusserungen usw. gehören zur normalen, altersgemässen Entwicklung. Und dies kannn mit den vorhandenen Ressourcen auch gut ‚gehandelt‘ werden.

Diese Probleme kristallisieren sich aber heraus:
Einerseits:
Es gibt in der Klasse 2, 3 einzelne Kinder deren Entwicklungsstand (noch) nicht den Voraussetzungen entspricht, und 1, 2 Kinder deren psychische oder soziale Situation das Mitmachen in einer grösseren Gruppe sehr erschwert.
Konkret:

  • ein Kind (2. KG-Jahr), das sich, statt eine Anweisung zu erfüllen, laut schreiend (nicht nur weinend!) auf den Boden legt und von da (da nicht mehr ansprechbar, emotionaler sowie auch physischer Kontrollverlust) nur mit grossen Körpereinsatz aus dem Feld ‚abgeschleppet‘ werden muss; und das dann in der Einzelbetreuung’ bis zu 20 Minuten schreiend und tobend in seinem Trotzanfall verharrt. Lässt man dieses Kind in seinen Trotzanfällen alleine, lässt es seine Wut an Materialien des Kindergartens aus, macht Bastelarbeiten kaputt, schmeisst Spielsachen rum oder schmeisst z.B. in der Garderobe alle Jacken auf den Boden.
    Es kommt vor, dass wenn ihm etwas nicht passt, es ohne zu fragen in die Garderobe geht, Kleider und Schuhe anzieht und versucht wegzulaufen. Die Trotzanfälle dieses Kindes vergehen meist aber dann auch wieder so schnell, wie sie gekommen sind. ich habe momentan sehr Mühe mit diesem Kind umzugehen und die Situation zu managen, weil es so viel Aufmerksamkeit braucht und das Kind sonst macht was es will.
  • ein anderes Kind (2.-KG-Jahr), das sich weigert, vor und nach Kindergarten, sich umzuziehen, da es weder in den Kindergarten, noch nach dem Kindergarten wieder nach Hause will. Auch dieses Kind reagiert oft mit Trotzreaktionen und einer „Mir ist alles egal“- Haltung.
    Auf dem Weg ins Turnen, schert dieses Kind oft aus der Gruppe raus, nähert sich einer gefährlichen Strasse, oder wirft sich teilweise auf den Boden und will nicht mehr weiterlaufen und sagt „ich komme nicht mit“. Teilweise gelingt es, dieses Kind beim Laufen mit einem geeigneten Gesprächsthema abzulenken, dies aber nur selten. Wenn diesem Kind etwas nicht passt, etwas nicht nach seinem Kopf läuft, fällt es in dieses extrem trotzige und auffällige Verhalten.

Andererseits:
Im Kindergarten stellt sich generell das Problem des Zuhörens und des (zeitgerechten oder überhaupt des) Ausführens von Anweisungen (z.B. die Weigerung ‚nein, ich gebe diesem Kind die Hand nicht‘). Dies ist in der Tat in dieser Gruppe sehr anspruchsvoll. Da stellen sich pädagogisch-didaktische Fragen zum konkreten Vorgehen??

Meine Frage an euch:

  • Wie kann ich in solchen Situationen vorgehen? Was kann ich unternehmen?
    -Welche pädagogisch-didaktischen Vorgehensweisen sind in diesen Fällen sinnvoll?

Liebe Fabira

Danke für deine ausführliche Beschreibung deiner Situation, die sehr belastend und klar überfordernd ist.

Für beide Kinder ist möglicherweise die Begleitung durch eine IF-Lehrperson angezeigt. Ebenfalls muss aus meiner Sicht das Einsetzen von SOS-Lektionen geprüft werden. Das Vorgehen für eine Begleitung durch die IF-Lehrperson und/oder das Einsetzen von SOS-Lektionen erklärt dir deine Schulleitung.

Dir als Lehrperson im Umgang mit dem ersten Kind kann möglicherweise die Klärung folgender Fragen helfen: Hat das Kind diese Schwierigkeiten schon in seinem ersten Kindergartenjahr gezeigt? Falls nicht, was hat sich für das Kind verändert?
In welchen Situationen zeigt es dieses Verhalten? Kann das Kind, wenn es den Kontrollverlust überwunden hat, sein Verhalten mit deiner Hilfe reflektieren? Was sagt es darüber? Wie geht es ihm damit?
Vielleicht fallen dir Gesetzmässigkeiten auf in den auslösenden Faktoren?

In der Beschreibung des zweiten Kindes fällt auf, dass es sich bei seinen Schwierigkeiten um Übergänge handelt – von zuhause in den Kindergarten und umgekehrt, vom Kindergarten in die Sporthalle und zurück. Auch hier ist möglicherweise das direkte Ansprechen gegenüber dem Kind hilfreich: „Es ist mir aufgefallen, dass es dir in diesen Situationen nicht gut geht – kannst du mir sagen, wie du dich fühlst? Was würde es einfacher machen? Wie fühlst du dich auf der Strasse? auf dem Kindergarten- bzw. Heimweg?“ Falls das zu direkt ist, kannst du Übergänge auch mit der Klasse thematisieren. Was macht Freude? Was macht Angst?

Zu deinen generellen Bemerkungen: Die Kinder im zweiten Kindergartenjahr haben einen Übergang von einer Lehrperson zur andern gemacht – möglicherweise lohnt es sich, diesen Übergang unter dem Gesichtspunkt des Classroom Managements zu betrachten: Welche Regeln und Prozeduren hast du übernommen, welche geändert? Wie hast du diese aufgebaut und unterrichtet? Welches sind die Gesetzmässigkeiten der Ausgrenzungsvorgänge (nein, diesem Kind gebe ich meine Hand nicht): Werden bestimmte Kinder regelmässig ausgegrenzt? Kommen Ausgrenzungen als Folgen von Streit und Kränkung vor?

In deiner Situation stellen sich auch Fragen zur Unterstützung, die dir an deiner Schule als Berufseinsteigende zur Verfügung gestellt wird. Dazu wird dir eine andere Expertin antworten.

Du kannst am Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern auch eine Beratung in Anspruch nehmen: www.phbern.ch/schule-und-weiterbildung/beratung.html

Ich hoffe, es ist mir gelungen, dir einige Impulse zu geben und wünsche dir eine baldige Verbesserung der Situation.

Mit freundlichen Grüssen
Manaso

Liebe fabira
Der Einstieg in den Beruf stellt grossen Anforderungen an die Lehrpersonen; diese sind gefordert die Grundlagen und das Wissen aus der Ausbildung weiterzuentwickeln und ihre Professionalität auszubauen. Der Einstieg in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit ist ein einmaliger Schritt und je nach Situation kann sich dieser sehr komplex gestalten. Damit das erworbene Wissen aus der Grundausbildung im Berufsalltag in entsprechende Handlungen umgesetzt werden kann, haben Berufseinsteigende Anspruch auf Unterstützung. Dies kann einerseits am Unterrichtsort durch Mentorinnen und Mentoren geschehen, andererseits stehen den Berufseinsteigenden die Angebote des Fachbereichs Berufseinstieg am Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern zur Verfügung. Nachfolgend einige Angaben zu den beiden Unterstützungsmöglichkeiten.

Mentorat:
Seit dem 1. August 2017 steht den Volksschulen des Kantons neu ein Sonderpool für das Mentoring von jungen Lehrerinnen und Lehrern (Berufseinsteigende) zur Verfügung. Berufseinsteigende können im ersten und zweiten Semester ihres Berufseinstiegs durch erfahrene Lehrpersonen der gleichen Schule und idealerweise der gleichen Stufe begleitet werden. Damit finden die neu ausgebildeten Lehrpersonen gute Voraussetzungen in der Schule vor, um optimal in ihr Berufsleben einsteigen zu können. Das Mentoring dient damit als fachliche Unterstützung am Arbeitsplatz bzw. als Lernprozess für Berufseinsteigende sowie zur Unterstützung bei der Einführung ins Team, in Abläufe, Regeln und Netzwerke einer Schule. Die Mentorinnen und Mentoren werden durch die Schulleitung bestimmt und haben beratende und nicht beurteilende Funktion. Wende dich also an deine Schulleitung, falls du kein Mentoring vor Ort hast und bitte darum, dies zumindest noch für das zweite Semester einzurichten.

Angebote des Fachbereichs Berufseinstieg:
Die Angebote des Fachbereichs Berufseinstieg der PHBern gehen auf die berufsphasenspezifischen Fragen und Anliegen der jungen Lehrpersonen ein, begleiten sie bedarfsbezogen und stärken sie in ihrer Professionalisierung. Zudem findet in den Angeboten auch der Austausch mit anderen Berufseinsteigenden statt. Dieser wird vielfach als bereichernd erlebt, weil sich alle jungen Lehrpersonen in ähnlichen Situationen befinden und sich damit auch ihre Fragen und Anliegen entsprechen. Die Angebote des Fachbereichs Berufseinstieg der PHBern findest du unter: https://www.phbern.ch/berufseinstieg
Besonders empfehlen möchte ich dir die Praxisbegleitgruppe für die Berufseingangsstufe, in der du dich unter Leitung einer Fachperson mit Peers austauschen kannst.
Die Dozierenden aus dem Fachbereich Berufseinstieg stehen dir gerne für Fragen zur Verfügung.
Es zeugt von Professionalität, wenn sich Berufseinsteigende in der Phase des Berufseinstiegs von anderen Lehrpersonen oder von Fachpersonen unterstützen lassen. Ich hoffe, dass du bald von einem entsprechenden Angebot profitieren kannst.
Für weitere Fragen stehen wir gerne zur Verfügung.