Ich arbeite Teilzeit an einer schwierigen Klasse (über 50% Fremdsprachige, sehr leistungsschwach, Konzentrationsprobleme und Probleme im sozialen Bereich). Die Klassenlehrerin entschied sich für das Programm Schule bewegt vom Bundesamt für Sport. In einer meiner Lektionen führt nun die Lehrperson für IHP ca 15 Minuten Bewegungsübungen durch. Ich hatte mir unter Bewegung im Unterricht eigentlich etwas anderes vorgestellt. Als ich die Module des Bundesamtes studierte, wurde ich stutzig. Das schien mir nicht dasselbe zu sein, wie die Übungen, welche die IHP-Lehrperson mit den Schülern durchführt. Als ich die Adresse auf dem Übungsblatt, das mir die IHP Lehrperson aushändigte, googelte, stiess ich auf INPP, Neurophysiologische Entwicklungsförderung. Je länger ich suchte und verschiedene Foren las, desto mehr hatte ich den Eindruck, dass es sich um einen esoterischen Bereich ähnlich wie Braingym oder Kinesiologie handelt. Ich sprach die Klassenlehrerin vorsichtig darauf an; sie fand es jedoch in Ordnung. Meiner Meinung nach haben Pseudowissenschaften nichts in unseren Staatsschulen zu suchen und sind auch nicht das, was „meine“ Schulkinder in erster Linie brauchen. Daher würde ich gerne von einer Fachperson der PH wissen, wo ich INPP einzuordnen habe und was die Heilpädagogik der Schweizer Hochschulen zu solchen Praktiken an unserer Volksschule meint.
Liebe Katarina
Ich bin Dozentin für Psychomotorik am Insitut für Heilpädagogik der PHBern.
Ganz so schlimm ist es aus meiner Sicht nicht mit dem INPP - es handelt sich dabei um eine Methode, welche zwar etwas viel auf einfachem Weg erreichen will, welche aber neurologisch gut abgestützt ist und auch evaluiert wurde. In die Ecke „Esoterik“ gehört sie auf keinen Fall und die Übungen werden den SuS auch nicht schaden.
Zudem ist es wünschenswert, dass die Bewegungsangebote der schulischen Heilpädagogin nicht einfach aus dem Programm des BASPO übernommen, sondern den individuellen Bedürfnissen (bspw. in Bezug auf Körperwahrnehmung, koordinative Fähigkeiten etc.) angepasst werden.
Das INPP muss aus Sicht des IHP als eine von vielen Bewegungsmethoden eingeordnet werden, welche zu einseitig sind und dem mehrdimensionalen Entwicklungsverständnis, welches am IHP vermittelt wird, nicht gerecht werden. In Bezug auf Bewegung / Psychomotorik werden den Studierenden am Institut primär entwicklungspsychogische Grundlagen vermittelt, welche als Basis für das Generieren von Angeboten dienen, die dem Lernstand der SuS angepasst sind.
In Bezug auf das INPP finde ich es nicht schlimm, wenn ab und zu Bewegungssequenzen auf diesem Hintergrund angeboten werden in den Staatsschulen. Es gilt aber aufmerksam zu beobachten, was in Bezug auf die Wahrnehmung der SuS durch die Lehrpersonen bzw. SHPs geschieht: wenn die SuS nur noch auf neurologische Vorgänge reduziert werden, da die Methode verspricht, „aller Übel Ursprung“ zu bekämpfen, wird die Methode zur Doktrin. Das pädagogische Handeln wird in der Folge sehr einseitig und in meinen Augen unprofessionell. Das Verhalten von SuS darf nicht auf ein „Geleise“ reduziert werden.
Am IWB wurden übrigens im vergangenen Schuljahr von einer Psychomotoriktherapeutin Kurse über INPP angeboten - es wurde aus dem Grund eine Psychomotoriktherapeutin als Dozentin ausgewählt, da sie die Methode einordnen und relativieren, die wertvollen Aspekte und Erkenntnisse (die es aus dem INPP durchaus gibt) aber trotzdem vermitteln kann.
Ich hoffe, meine Ausführungen haben dir etwas gebracht und bin diesbezüglich froh, um eine kurze Rückmeldung.
Liebe jsaegesser
Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Die Meinung einer Fachperson hat mich einerseits persönlich interessiert, andererseits ist die Hintergrundinformation für mich betreffend Teamarbeit mit meinen Kolleginnen wichtig. Die Übungen finden teilweise innerhalb meiner Lektion statt, weshalb ich mich mitverantwortlich fühle, gegenüber den Kindern, aber auch gegenüber den Eltern und der Schulleitung. Diesbezüglich ist deine Anwort für mich entlastend.
Dass die Übungen sicher nicht schaden, ist grundsätzlich eine gute Nachricht. Begeistert über die Methode bin ich trotzdem nicht. Ich erlebe die Übungen als verkrampft, stier betreffend Abfolge und Ausführung und in einer kalten Atmosphäre. Die Kinder absolvieren sie aus meiner Sicht freudlos und versuchen, wenn immer möglich, zu schummeln. Ich kann bis jetzt-das Projekt läuft seit den Sommerferien-auch keinen Nutzen für die Kinder erkennen. Umgekehrt geht ein Drittel der kostbaren Lektion mit IHP-Unterstützung verloren.
Im Zusammenhang mit meiner speziellen Frage zu INPP würde mich aber grundsätzlich interessieren: Wie können sich Lehrpersonen im Dschungel der ständig zunehmenden Methodenvielfalt zurechtfinden? Wie kann ich unterscheiden zwischen sinnvoll/nützlich, Grauzone oder NoGo, zwischen wissenschaftlich fundierten Methoden oder reinen Pseudowissenschaften? Einen Ansatz dazu lese ich aus deiner Antwort betreffend Einseitigkeit/Doktrin. Aber gibt es, abgesehen vom Lehrerforum, eine Stelle oder Literatur, welche die einzelnen Methoden erklärt und - wenigstens ungefähr - zuordnen kann?
Freundliche Grüsse
Katarina
Liebe Katarina
ja der Dschungel der Methoden ist unübersichtlich und es gibt meines Wissens keine Zusammenstellung mit Erläuterungen. Es ist auch wahr, dass es im Bereich Körperwahrnehmung leider sehr viele diffuse Angebote gibt. Mit anderen Worten: es ist kaum möglich, sich einfach so zu orientieren - ideal ist es, von der natürlichen kindlichen Bewegung auszugehen und ohne Methode ein vielfältiges Bewegungsangebot bereit zu stellen.
Erfahrungsgemäss ist die Bewegungsfreude ein wichtiger Faktor - wenn die SuS die Übungen freudlos machen, sind diese möglicherweise dem emotionalen und motorischen Entwicklungsstand und / oder Lernstand nicht angepasst. Bewegungssequenzen im Unterricht sollen die Wachheit beeinflussen und ermöglichen, sich anschliessend wieder besser konzentrieren zu können. Bewegte Schule ist eine Chance für Kinder mit vielen Schwierigkeiten, einen Moment zu sich selbst zu kommen und sich akzeptiert zu fühlen. Wenn solche Sequenzen mechanisch, ohne innere Beteiligung der Kinder durchgeführt werden, erlebe ich dies auch als verlorene Zeit.
Gibt es bei euch im Schulhaus keine Psychomotoriktherapeutin? Vielleicht könntest du sie als Fachfrau einbeziehen und mit ihr und der Heilpädagogin deine Beobachtung, dass die Kinder die Übungen etwas freudlos machen und dabei wenig Fortschritte sichtbar werden, besprechen. Vielleicht könntet ihr doch die Ideen des BASPO als Grundlage nehmen und gemeinsam schauen, wie ihr vereinfachen könnt.