Liebe Lawinia
Besten Dank für deine Frage, die mitten in eine zentrale Herausforderung beim Kompetenzaufbau literarischen Lesens führt. Egal auf welchem Niveau gibt es innerhalb einer Klasse / Lerngruppe in der Regel diesbezüglich grosse Unterschiede: Es gibt Leseratten, Kaum- oder Nichtlesende, Jungen und Mädchen, bildungsferne und bildungsorientierte Milieus, SuS mit Deutsch als Muttersprache, Zweitsprache, Fremdsprache, Jugendliche mit und ohne Migrationsgeschichte. Man muss also immer von heterogenen Voraussetzungen für schulisches Lesen und literarische Lernen ausgehen. Dies heisst auch, dass nicht alle Lernenden nach einer Unterrichtseinheit dieselben Kompetenzstufen werden erreichen können und auch eine unterschiedliche Begleitung / Unterstützung benötigen.
Es gibt mehrer Möglichkeiten mit dieser Heterogenität umzugehen. Letztlich sind die geplanten Unterrichtsvorhaben aber abhängig von der eigenen Lerngruppe, der Wahl der Lektüre(en) und der eigenen didaktischen Überzeugungen.
Im folgenden werde ich einige und unterschiedliche Ansätze aufzeigen, in der Hoffnung, es finden sich Impulse für den eigenen Unterricht. Dies sind nicht voneinander unabhängige Kategorien, sondern können auch kombiniert werden.
«Gemischte» Lektüre
Eine sehr grosse Heterogenität kann bis zu einem gewissen Grad dadurch aufgefangen werden, wenn nicht alle SuS dieselbe Lektüre lesen. Ein Angebot an Büchern mit einer Bandbreite hinsichtlich Umfang, inhaltlicher Komplexität, sprachlichem Schwierigkeitsgrad, Schriftgrösse etc. kann die Lesemotivation positiv beeinflussen und erleichtert das Setzen von individuellen Lernzielen. Dieser Ansatz kann gut mit den didaktischen Formen Lesetagebuch, Buchpräsentation, literarisches Gespräch kombiniert werden (s.u.).
Lesetagebuch (Lesemappe, Lesejournal, …)
Das Führen eines (individuellen) Lesetagebuchs eignet sowohl für eine gemischte als auch für eine Klassenlektüre. Mit verschiedenen Anforderungen (z.B. Umfang der Einträge, Grad der Selbstständigkeit, Komplexität bestimmter Aufträge, Vorgaben etc.) können auch verschiedene Kompetenzerwartungen formuliert werden.
Buchpräsentation
Der Aspekt «Präsentation» verbindet Lesekompetenzen mit rhetorische Fähigkeiten (vorlesen, informieren, szenische Interpretation etc.). Eine Präsentation kann auch als Gruppenarbeit angelegt werden. In einer guten Zusammenarbeit können dann auch verschiede Lesetempi etwas aufgefangen werden. Eine Präsentation kann sich auch auf einzelne Kapitel oder Textpassagen beziehen (z.B. könnten so schnell Lesende bestimmte Textstellen für andere vorwegnehmen oder zusammenfassen).
Literarisches Gespräch
Damit wird ein Austausch über das Gelesene ermöglicht. Auch hier können z.B. das Nicht-Verstehen im kollegialen Rahmen aufgenommen oder nicht gelesene Stellen zusammengefasst werden.
Vorlesen durch Lehrperson
Gerade im Zyklus 3 nimmt erfahrungsgemäss das Vorlesen literarischer Texte ab. Neben der Förderung des Zuhörens (wichtig!) der Möglichkeit einer intensiven Texterfahrung und der Umgehung der Barriere der Entzifferung können damit auch bestimmte Textstellen zusammengefasst werden.
Fokus auf Leseverfahren
Oft ist bei Nicht-Leser*innen die sprachliche und inhaltliche Komplexität eine grosse Hürde, sowohl was das Verstehen-Können als auch die Lesemotivation betreffen. Wenn zwischendurch nicht nur die inhaltliche Erfassung, sondern während der Lektüre auch Leseverfahren und Lesestrategien fokussiert werden, kann dies neben dem Aspekt der schulischen Leseförderung auch eine Entlastung für weniger lesekompetente SuS sein.
Ich entschuldige mich, wenn diese «Antwort» viel länger als beabsichtig geworden ist. Es ist halt einfach ein spannendes Thema…
Herzlich
Apostroph