Umgang mit schwieriger Mutter

Guten Tag
Ich unterrichte seit fast 30 Jahren auf der Realschulstufe, habe aber so etwas noch nie erlebt.
Ein Schüler von mir ist massiv ungenügend, er hat diverse Arbeiten nicht abgegeben.
Am 11. Juni habe ich den Schüler und die Eltern via E-Mail informiert und den Termin zum Nacharbeiten auf den 20.6 gesetzt, falls er bis dann in seiner Freizeit die fehlenden Arbeiten nicht abgegeben hat.
Der Termin war heute, der Schüler ging einfach nach Hause.

Woraufhin ich versucht habe, die geschiedenen Eltern zu erreichen. Der Vater bedankte sich für die Information und er werde mit seinem Sohn schauen, er werde mit einem Vorschlag auf mich zukommen.
Die Mutter explodierte sogleich am Telefon und titulierte mich als unfähige Lehrerin und verlangte ein Gespräch. Zuerst habe ich noch versucht, einen Termin in der schon stressigen und überfüllten Schulschlusszeit zu finden. Als sie dann sagte, der Schulleiter muss zwingend dabei sein, habe ich das Gespräch abgeklemmt und ihr gesagt, dass sie den Termin mit ihm vereinbaren müsse.
Tituliert wurde ich als unfähig, als unkommunikativ und vieles Strubes mehr, das ich hier nicht wiederholen will. Auch sei ich schuld, dass der Sohn die Arbeiten nicht abgegeben hat (es betrifft mehrere Fächer, Haupt- wie Nebenfächer), ich könne nicht unterrichten und hätte eine Art, die zum Davonlaufen sei.
Daraufhin habe ich das Gespräch mit dem Hinweis beendet, dass ich erst wieder bereit sei, mit ihr zu sprechen, wenn sie sich beruhigt hat und mich nicht immer persönlich angreift.

Und nun?
Ich habe keine Lust, mich mit dem auseinanderzusetzen. Ebenfalls habe ich keine Zeit mehr, in den verbleibenden 2.5 Wochen noch einen Termin mit der SL zu suchen und mir da weitere Dinge anzuhören. Bereits am Standortgespräch benahm sie sich total daneben und wollte mir andauernd befehlen, was ich wie machen muss.
Habe ich ein Recht, dieses Gespräch zu verweigern? (Vor allem unter dieser Prämisse, dass sie mich dauernd emotional und verbal angreift?)
Was ist wohl das sinnvollste und kraftsparendste Vorgehen?

Guten Tag migros21

Sie beschreiben ein Verhalten einer Mutter, das von Respektlosigkeit geprägt ist. Auch wenn Sie verständlicherweise keine Lust haben, sich damit auseinander zu setzen, geschieht diese Auseinandersetzung vermutlich bereits in Ihnen in Form von kreisenden, wiederkehrenden Gedanken und unangenehmen Gefühlen, die sich damit verbunden melden. Was ist also nun das sinnvollste und kraftsparendste Vorgehen?

Zur professionellen Kommunikationskompetenz gehört es durchaus, Grenzen zu setzen. Beim ersten Anzeigen von Respektlosigkeit ist es mehr als legitim, der Person ins Wort zu fallen, sie im Redeschwall zu stoppen und zu verlangen, dass sie einen anderen Ton wählen soll. Nützt das nichts, darf das Gespräch sofort beendet werden. In diesem Sinne ermutige ich Sie, das nächste Mal sofort zu intervenieren, damit Sie sich von «Strubem» schützen können. Gut auf jeden Fall, dass Sie es am Schluss gemacht haben!

Oft geben Kritisierende mehr von sich Preis, als dass sie eine Aussage über die angesprochene Person machen. So vermutlich auch die Mutter. Ich kann mir vorstellen, dass sie gegenüber dem Verhalten ihres Sohnes verzweifelt und ohnmächtig ist und in Ihnen nun die Schuldige gefunden hat. Gerade in der Zeit der Pubertät kann diese Respektlosigkeit als «Liebesbeweis» der Mutter ihrem Sohn gegenüber gedeutet werden: «Schau, ich setze mich für dich ein und zeige der Lehrerin, wer im Unrecht ist.» Vielleicht helfen Ihnen diese Gedanken, das Erlebte besser loslassen zu können.

Ob Sie das Recht haben, ein Gespräch zu verweigern? Ja, ich denke schon. Die Frage ist mehr, was jetzt wirklich hilfreich ist. Vielleicht geht es darum, dass Sie sich mutig noch einmal einem Gespräch im Dabeisein der Schulleitung stellen, mit der inneren Überzeugung, dass Sie sich beim kleinsten Anzeichen von Respektlosigkeit wehren. Es ist an der Zeit, der Mutter zu zeigen, dass so nicht miteinander geredet wird. In diesem Falle würde sich die Mutter Ihnen in den Dienst stellen: Sie können etwas Neues ausprobieren und erleben die Wirkkraft der Unterbrechung.
Sollte dies aber eine zu grosse Herausforderung für Sie sein, so könnten Sie durchaus von der Schulleitung wünschen, dass ab sofort die Kommunikation mit der Mutter nur noch über sie laufen wird.

Ich wünsche Ihnen ein gutes inneres Loslassen und ein klärendes Verhalten Ihrerseits!

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Oh, vielen Dank für die schnelle, übersichtliche und kompetente Antwort.

Die Ereignisse haben sich heute überschlagen, sie kam in die Schule und ich bin nun gespannt, ob sie den Schulleiter anruft für ein Gespräch.
Natürlich werde ich da hingehen und es gerade als Übungsfeld für meine Kommunikation betrachten. Einmal eine Ansage, wie ich es haben will punkto Anstand und sonst werde ich aufstehen und gehen. (Ist so mit der SL abgesprochen.)

Aber es zerrt also schon an meinen Nerven.

Guten Tag Migros21
Das sind wirklich mühsame Momente, und dies in den letzten Wochen des Schuljahres, ich denke da sind noch andere bedeutungsvolle Themen auf der Countdownliste…

Gerne möchte ich die Antwort von Kashgar noch um einen Punkt erweitern:
Wie ist die Situation des Jugendlichen?

  • Verlässt er diesen Sommer die Schule?
  • Oder wird er noch in Ihrer Klasse sein, bzw von Ihnen unterrichtet werden?
    Ich denke, je nach dem ist die Vorgehensweise, bzw die Ausgangslage für ein Gespräch eine andere.

So wie Sie die Situation schildern, hat dieser Jugendliche Schwierigkeiten mit der Verbindlichkeit, hat in den vergangenen Wochen seine Arbeiten nicht erledigt, ist beim letzten Nacharbeitungstermin nicht erschienen.

Sollte er nach den Ferien weiterhin in der Schule sein, macht es m.E. Sinn, dass es im Gespräch vor allem auch um den Schüler geht.
Im Moment sind die Erwachsenen, Sie als Lp und die Mutter, in einen Konflikt geraten.
Und das heisst: der Schüler ist fein raus…er ist noch nicht in der Verantwortung für sein Handeln.
Sein Verhalten, bzw was er selber beitragen kann, und wie die Erwachsenen um ihn herum ihn unterstützen können, dass er die Schule schafft, sollte Thema werden.
Aus diesem Grund empfehle ich ein Gespräch, mit dem Schüler, vor den Ferien, auch wenn es eng wird.

Sonst bleibt das Thema ungelöst und unbesprochen als Pendenz liegen.
Das könnte für den Start ins neue Schuljahr hinderlich sein.

Freundliche Grüsse
Niesen

@Niesen
In der Tat sind das interessante Hinweise.
Der Schüler wird weiterhin zur Schule gehen. Andere LP haben sicher ein Interesse, dass es Wege und Möglichkeiten gibt, wie er unterstützt werden könnte, um einen besseren BB zu erlangen.

Jetzt plaudere ich aus dem Nähkästchen: Ich werde ihn nach den Sofe nicht mehr unterrichten.

In der Tat empfinde ich es auch so, dass die Erwachsenen nun einen Konflikt haben und der Junge fein raus ist. Ich meine: Nächste Woche ist Notenschluss und ich habe noch 8 offene Arbeiten von ihm, die er hätte diese Woche nacharbeiten sollen, was er nun nicht hat.

Update

Wir haben das Gespräch gehabt. Es hat mich alle Kraft der Welt gebraucht, ruhig zu bleiben und immer wieder auf die Sach- und Lösungsebene zu wechseln. Ich wurde massiv angegriffen.
Der SL stand hinter mir. Das war gut zu erleben.

Was ich erreicht habe:
Der Schüler hatte eine Art Einsicht und hat alle fehlenden Arbeiten noch vor Notenschluss nachgearbeitet. Im Gespräch mit mir zeigte er gute Reflexionsfähigkeit und er will sich nun mehr in der Schule engagieren, weil es ihm besser gefällt, wenn er etwas kann, etwas erledigt hat und wenn er positive Feedbacks bekommt. (Kognitiv ist das für ihn kein Problem, er hat alles, was es für einen guten Schüler braucht.)
Mein Ziel habe ich also erreicht. Der Schüler hat nachgearbeitet und hat sich seit dem Gespräch auch total anders in der Schule benommen. Darüber freue ich mich sehr.

Und die Art des Gesprächs mit der Mutter buche ich ab unter „es gibt halt solche und solche Eltern und die ist halt nun eine Solche“.

Danke für die Unterstützung hier. Es half mir, meine Gedanken zu ordnen.

Guten Tag migros21
Herzliche Gratulation für den Mut, sich dem Gespräch zu stellen. Wunderbar, dass Sie damit beim Schüler so viel bewirken konnten!

Ja, es gibt die verschiedensten Eltern. Wir können sie weder auswählen noch ändern. Aber den Umgang mit ihnen können wir bestimmen. Wenigstens das liegt in unserer Teilmacht. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg in der Kooperation mit den Eltern, ob sie nun solche oder solche sind.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Guten Tag Migros 21
Spontane Reaktion: Solche Situationen sind mit ein Grund für den Mangel an Lehrpersonen. Es wäre die Aufgabe des Arbeitgebers, solche Situationen zu vermeiden und Lehrpersonen zu schützen, damit sie ihren Unterrichtsauftrag optimal und sinngemäss umsetzen können. Während SuS geschützt werden: ‚Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung‘, (Bundesverfassung), fehlt dieser Schutz bei Lehrpersonen vollständig. Das Schulsystem ist sehr schnell überfordert mit komplexen, gruppendynamischen Situationen. Lösung: für solche Situationen hat jede Schule ein Krisenszenario, indem z.B. eine unbeteiligte Drittperson die Leitung übernimmt, vor allem Ansprechpartner für die Eltern ist. (Kann auch eine Lehrperson sein).
Betroffene LP und Schulleitung können so wirksam und nachhaltig entlastet werden. Burnout, Absenzen und Stellenwechsel können vermieden werden.
Freundliche Grüsse
jomali

Lieber Jomali

In der Tat sind die Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer nicht wirklich gut. Nur nützt das mir, die ins Kreuzfeuer einer Mutter geraten ist, herzlich wenig. Ich muss mit dem selber zurechtkommen und merke, dass ich nicht länger bereit bin, mich so behandeln zu lassen.

Der Kanton und Bildung Bern sind aufgefordert, die Arbeitsbedingungen für Lehrpersonen umgehend zu verbessern. Dazu gehört neben dem Schutz von solchen Angriffen auch eine Verminderung des Pensums, grössere Abgeltung für integrierte SuS, auch für Fachlehrpersonen, rasche Ausbildung der Personen, die ohne Lehrerausbildung unterrichten, Einhaltung der Arbeitszeit und Abgeltung der Überstunden entweder monetär oder durch Kompensation, frei (1940 h bei 100%), Verkleinerung der Klassen, vor allem, wenn man integrierte SuS hat, mehr Teamteaching, auch auf der Oberstufe.
Das ist das, was mir auf die Schnelle einfällt und mir das Leben schwer macht.

Lieber Migros 21
Besten Dank für deine Bemerkungen, die mir zeigen, dass du eine erfahrene Lehrperson mit 30-jähriger Schulerfahrung auf der Realschulstufe bist. Du engagierst dich sehr für deine Arbeit, und fragst, wo du rote Linien ziehen darfst, wo du dich beruflich abgrenzen darfst/musst. Dein beruflicher Auftrag heisst lehren, begleiten, fördern, stärken von Jugendlichen. Und nicht: dich einlassen in schwierige, gestörte Familiensituationen. Wenn sich solche Situationen anbahnen, wäre es ideal, wenn ihr an eurer Schule entsprechende Krisenszenarien habt, zum Schutz der Lehrpersonen. Die Schulleitung übernimmt die Federführung in der Kommunikation mit den Eltern, eine unbeteiligte Person sucht nach Lösungen mit den Eltern. So bleiben angegriffene Lehrpersonen gesund, alle Beteiligten fühlen sich ernst genommen und respektiert. Für die weiteren Schuljahre wünsche ich dir viel Kraft und Möglichkeiten, dich abzugrenzen.

Freundliche Grüsse

jomali