Weil Deutsch nicht Erstsprache ist

Hallo miteinander,
ich wusste nicht, wie ich den Titel besser formulieren konnte…

folgende Frage:
Es geht um einen Sechstklässler, der zuhause Italienisch spricht mit den Eltern, die hier an der Uni arbeiten. Im Fach Deutsch nun diagnostiziert die Lehrperson Schwierigkeiten im Bereich der mündlichen Sprache, und daher sei offenbar seine Einteilung in die Sek-Stufe in Gefahr.
Besagter Junge hat aber in allen anderen Fächern keine Schwierigkeiten, sondern ist gemäss Noten gut bis sehr gut. Aber weil er eben im mündlichen Sprachgebrauch teilweise Unsicherheiten zeige, erhalte er einfachere Arbeitsblätter als der Rest der Klasse, was dazu führt, dass er nun überhaupt nicht mehr motiviert ist im Fach Deutsch.
Der Junge spricht Berndeutsch mit seinen Gspändli, und ich als Bekannte der Familie kann eigentlich keine nennenswerten Schwierigkeiten im Deutsch feststellen…

Ist es also angebracht, diesen Jungen im Deutsch nicht ins Sek-Niveau einzuteilen? Nur weil er zuhause nicht Deutsch spricht, es also Gründe gibt, dass ihm die deutsche Sprache (noch) nicht so geläufig ist, dies aber aus meiner Sicht wirklich der einzige Grund ist. In den anderen Sprachfächern ist er sehr gut…ich kann die Begründung der Lehrperson nicht nachvollziehen.
Ist es nicht so, dass wenn die LP das Gefühl hat, dieser Junge benötige einen Nachteilsausgleich, sie dies so formulieren muss und den Eltern mitzuteilen hat? Und ist es nicht so, dass wenn dieser Junge kognitiv keinerlei Einschränkungen hat, sondern einfach nur den Nachteil hat, nicht deutscher Muttersprache zu sein, sie ihn nicht schlechter einstufen darf deswegen?

Danke für eine Rückmeldung bei Gelegenheit.
LG, Helena

Liebe Helena

Aus deiner Frage kann ich herauslesen, dass du in der Rolle als Bekannte der Familie agierst und in ihrer „Vertretung“ nachfragst. Gerne zeige ich dir hier die möglichen nächsten Schritte auf, welche die Familie unternehmen kann.

Ich gehe davon aus, dass die betreffende KLP und im besten Fall die LP für Deutsch als Zweitsprache eine Erhebung des Sprachstandes in Deutsch (inkl. der damit verknüpften Kompetenzen) gemacht hat - respektive: innerhalb des (DaZ-)Förderkreises und in Anbetracht der anstehenden Promotionsphase sollte sie nun erfolgen.

Wie du beschreibst, werden dem Schüler für einen Übertritt in die Sekundarstufe passende Noten in den relevanten Fächern (ausser Deutsch) attestiert.

Sollte sich nun aufgrund von umfassenden Sprachstandserhebungen zeigen, dass der Schüler über noch unzureichende Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch verfügt, kommt folgende Bestimmung zum Zuge:

*Abweichen aus «wichtigen Gründen» von den Vorschriften

  • zur Beurteilung (Art. 19 DVBS)
  • zum Übertrittsverfahren (Art. 34 DVBS)
  • zur Promotion an der Sekundarstufe I (Art. 57 bzw. 63 DVBS)*

Das Merkblatt und die Informationen dazu findest du auch unten als Datei angehängt.

Sind die Eltern einverstanden/der Meinung, dass bei der Beurteilung, dem Übertrittsverfahren und/oder der Promotion von den Vorschriften abgewichen werden sollte, können sie dieses Anliegen in erster Linie mit der Klassenlehrperson besprechen. Zusätzlich oder in einem weiteren Schritt (spätestens beim Antrag mit Formular, welches von der KLP/DaZ-LP ausgefüllt und von den Eltern unterschrieben eingereicht wird) kann/muss die Schulleitung mit einbezogen werden. Das Vorgehen ist ebenfalls im Link oben und der angehängten Datei beschrieben.

Nun hoffe ich, dass durch eine transparente Zusammenarbeit und Vernetzung gemeinsam die passende Lösung für den Schüler gefunden wird.

Freundliche Grüsse
Linguella

Vielen Dank Linguella, genau, ich bin eine Bekannte der Familie. Vielen Dank für deinen Beschrieb, der mir vieles klarer macht. Die Sache ist nur, wenn es jetzt zu einem Elterngespräch kommt, gibt es wie jemanden, den man hinzuziehen könnte, da es sprachliche Hürden auch bei den Eltern gibt? Sie sprechen Italienisch, und ich spreche zwar auch Italienisch, aber eher Alltag-, und keine Fachsprache. Ausserdem wäre ich nicht neutral…
Gibt es eine Stelle, die dafür zuständig ist, an die sich die Eltern zur Vermittlung bei sprachlichen Schwierigkeiten wenden können? Müssen sie selber schauen? Hättest du dafür auch noch einen Rat?
Danke sehr! Helena

Liebe Helena

Damit Inhalte von schulischen (Standort-)Gesprächen oder Elternabenden für fremdsprachige Eltern klar und verständlich sind, empfiehlt sich der Beizug einer interkulturellen Übersetzungsperson (Dolmetscher:in).

Die Seite der Erziehungsdirektion empfiehlt Folgendes:
Es ist wichtig, dass Sie verstehen, was an einem Elternabend oder bei einem Standortgespräch besprochen wird. Es ist auch wichtig, dass Sie Ihre Anliegen ausdrücken und Ihre Fragen stellen können. Reichen Ihre Sprachkenntnisse dafür noch nicht aus, können Sie eine erwachsene Person mitbringen, welche für Sie dolmetscht. Insbesondere für das Standortgespräch kann auch die Schule eine Person, die dolmetscht, organisieren. Die von der Schule organisierten dolmetschenden Personen sind neutral, für ihre Funktion ausgebildet und stehen unter Schweigepflicht.

Hier drei mögliche Anbieter für das Buchen einer Übersetzungsperson:

  • Comprendi von Caritas
  • Interunido (Regional, im Oberaargau)
  • HSK-Lehrperson: Falls eure Schule Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur anbietet, kann möglicherweise auch eine HSK-Lehrperson diesen Übersetzungsdienst leisten. Hier kannst du dich informieren.

Die Eltern dürfen sich jederzeit bei der Klassenlehrperson oder der Schulleitung melden, damit eine Übersetzungsperson von der Schule oder auch von den Eltern persönlich organisiert beigezogen werden oder für ein Gespräch mit angemeldet werden kann.

Freundliche Grüsse
Linguella

Hallo Helena

Wir haben in unserer Klasse ebenfalls einen Schüler, der daheim nicht Deutsch spricht. Er ist aber bereits seit vier Jahren in der Schweiz. Seine zwei Jahre DaZ hat er bereits genutzt. Seine Deutschkenntnisse nahmen in den vergangenen zwei Jahren kaum zu. Es ist für uns auch nicht spürbar, dass er daran arbeitet Fortschritte zu machen.
Dies ist für unseren Sekübertrittsentscheid klar auch massgebend.

Das Argument, dass ein Schüler benachteiligt sei, weil seine Eltern daheim nicht Deutsch sprechen, finde ich nur teilweise vertretbar. Deutsch ist grundsätzlich eigentlich für alle Schweizer Kinder eine Art Fremdsprache. Es gibt wohl kaum Eltern, die Schriftsprache sprechen zuhause. Ist ein Kind schon längere Zeit in der Schweiz, so gelten für ihn, meiner Meinung nach, einfach die selben Hürden, wie für alle andern Kinder auch. Ansonsten findet dann nämlich eine Art Benachteiligung statt, wenn die Messlatte für Zweitgenerationskinder anders gelegt werden als für „Ureinwohner“.
Und man sollte sich grundlegend die Frage stellen, wo kann das Kind in der 7. Klasse am besten gefördert werden, in der Real oder in der Sek. Solltet ihr sogar über ein durchlässiges System verfügen, so könnte er ja später noch ins Sekniveau aufsteigen, wenn er mit der Deutschen Sprache besser zurecht kommt.

Ich hoffe, ich konnte dir noch einen andern Blickwinkel aufzeigen.

Liebe Grüsse
rivellarot

Hallo rivellarot
…teilweise. Grundsätzlich sollte Deutsch ja keine „Fremdsprache“ sein, sondern schlicht und einfach eine Art „Dialekt“ - die Kids hören das „deutsche Deutsch“ ja nicht nur in der Schule…ich meine einfach das Standarddeutsch, aber auch da gibt es ja jede Menge Nuancen und auch Register…klar kann es auch für Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, schwierig verständlich sein, auch je nach Situation. In meiner Situation geht es um ein Kind, das in allen Sprachfächern (F+D) eine 5,5 hat und in Mathe eine 6…um genau zu sein…und trotz durchlässigem System sollte eine LP gut hinschauen, vor allem, wenn es Kapazitäten wie DaZ etc. gäbe…

Andere Frage: Was meinst du mit „Seine zwei Jahre DaZ hat er bereits genutzt.“? Gibt es eine bestimmte Zeit, in der Kinder mit Deutsch als Zweisprache Anspruch auf DaZ-Lektionen haben? Das weiss ich wirklich nicht. Oder war das einfach in deinem geschilderten Falle so?

Liebe Helena

Selten können die Bedürfnisse von Schüler:innen unter dem Fokus der Zweitsprachförderung „einfach“ nach dem Leitfaden DaZ eingeordnet werden. Die Heterogenität in den Klassen (damit sind in diesem Fall die sprachlichen Voraussetzungen aller Schüler:innen gemeint) und die Individualität der Unterstützungsbedürfnisse erfordern immer wieder, dass sich alle beteiligten Lehrpersonen mit den verschiedenen Aspekten der Sprachförderung befassen und austauschen.

In dieser Antwort beziehe ich mich nun ausschliesslich auf jene Schüler:innen, welche noch keine oder noch unzureichende Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch haben. Nicht immer ist klar erkennbar, welche Voraussetzungen zu diesem Umstand geführt haben - meist spielt aber z.B. der Zuzug aus einem anderen Sprachgebiet oder dem Ausland eine Rolle und/oder der Umstand, dass in der Familie eine andere Erstsprache/Familiensprache als Deutsch/Schweizerdeutsch gesprochen wird.

Die Frage der Dauer der DaZ-Angebote beantwortet der Leitfaden DaZ implizit und nicht abschliessend, indem beispielsweise vom Fortgeschrittenenunterricht gesprochen wird, welcher „nach einem Jahr Anfangsunterricht beginnt.“ (siehe Leitfaden DaZ, S. 6-8). Weiter wird im Leitfaden DaZ innerhalb mehrerer Kapitel beschrieben und empfohlen, wie (ehemalige) DaZ-Schüler:innen nach der Entlassung aus den DaZ-Angeboten innerhalb des Regelunterrichts von Fachlehrpersonen weiter unterstützt werden und wie DaZ-Lehrpersonen punktuell unterstützen können.

Freundliche Grüsse
Linguella

‚Und man sollte sich grundlegend die Frage stellen, wo kann das Kind in der 7. Klasse am besten gefördert werden, in der Real oder in der Sek. Solltet ihr sogar über ein durchlässiges System verfügen, so könnte er ja später noch ins Sekniveau aufsteigen, wenn er mit der Deutschen Sprache besser zurecht kommt‘.

Andere Frage, die man sich stellen sollte: die Verfassung erwartet vom Bildungssystem, dass es Grundkompetenzen optimal individuell vermittelt. Von Aufteilung in Real oder Sek ist keine Rede. Warum ist diese Form von Diskriminierung bis heute unbestritten?