Belohnungssystem

Hallo zusammen

Ich arbeite in einer Basisstufe einer besonderen Volksschule. In meiner Klasse gibt es zwei Jungen, die von ihren kognitiven Fähigkeiten her weit über dem Schnitt der Klasse stehen und daher oft unterfordert sind im allgemeinen Unterricht. Wir als Klassenteam gehen davon aus, dass ihr zunehmend herausforderndes Verhalten daraus resultiert. Wir sind bemüht, den Unterricht so anzupassen, dass auch die beiden Jungen auf ihrem jeweiligen Niveau abgeholt werden können (dies ist jedoch nicht Thema dieser Frage). Als zusätzlichen Anreiz würden wir gerne ein Belohnungssystem einführen. Jedoch stehen wir etwas an mit der Frage, wie wir das System gestalten, ohne dass es sich in ein Bestrafungssystem verwandelt. Grundsätzlich ist die Idee, dass die Kinder eine eigene Tabelle gestalten (siehe Foto). Auf dieser Tabelle wandert dann in diesem Beispiel das Auto bei positivem Verhalten vorwärts. Bei „gravierend“ herausforderndem Verhalten bleibt das Auto stehen (es wandert nicht zurück). Ist das Auto auf dem letzten Feld angelangt, darf sich das Kind eine Belohnung aussuchen, z.B. dass es in der Turnhalle an die Kletterwand möchte o.Ä.

Wir sind vier Lehrpersonen bez. pädagogische Mitarbeiterinnen in der Klasse. Schwierig ist für uns, dass wir das Belohnungssystem alle möglichst gleich handhaben. Wir arbeiten in der Klasse viel mit Piktogrammen und haben auch die Regeln so visuell unterstützt. Eine Idee wäre nun, dass wir anhand der Piktogramme jeweils am Ende des Halbtags mit dem Kind besprechen, wie der heutige Tag verlaufen ist und dies jeweils pro Regel/Piktogramm mit konkreten Beispielen aus dem Halbtag untermauern. Abhängend davon wird dann das Auto vorwärts geschoben oder bleibt stehen. Jedoch kann das Stehenbleiben vom Kind bereits als Bestrafung wahrgenommen werden. Auch wenn eines der beiden Kinder das Ziel früher erreicht als das andere kann dies zu Krisensituationen führen.

Da wir allgemein mit solchen Belohnungssystemen noch keine Erfahrung haben, sind wir froh wenn wir eure Meinungen, Erfahrungen und Ideen dazu hören.

Liebes Team BS

Vielen Dank für Ihre Frage und die verschiedenen differenzierten Überlegungen zum Umgang mit störendem Verhalten, an welchen Sie uns dadurch teilhaben lassen!
Gerne nehme ich Bezug auf die verschiedenen Themen, die Sie ansprechen.

Zu Beginn schreiben Sie, dass die beiden Jungen kognitiv stark sind und Ihre Vermutung, ihr Verhalten könnte vielleicht mit Unterforderung, vielleicht sogar mit Langeweile zu tun haben.
In dieser Richtung empfehle ich noch mehr zu öffnen und zu versuchen, die Buben in Entscheide miteinzubeziehen, welche Arbeit sie als nächstes angehen wollen, wie und mit wem etc.
Hilfreich könnte sein, die Sequenzen mit der ganzen Gruppe kurz zu halten. Wenn Sie dann feststellen, dass sie beginnen, sich auszuklinken, können Sie eine differenzierende weiterführende Arbeit bereithalten und die Buben aufmuntern, nun selbständig zu arbeiten.
Mit diesem Hinweis stütze ich mich auf Überlegungen von Gert Lohmann*, bei störendem Verhalten weniger auf der Ebene von disziplinarischen Massnahmen (Belohnungs-oder Bestrafungssystem) zu reagieren, sondern auf der Ebene der Unterrichtsstruktur.

Zur Frage eines Belohnungssystems und Ihrer Überlegung, dieses könnte in ein Strafsystem kippen:
Ihr Gefühl gibt Ihnen Recht: Bestrafungs- und Belohnungssysteme sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Bei beiden Systemen geht es um Konditionierung, d h der Grundidee, ein Verhalten von jemand anderem mit Zuckerbrot, bzw mit Peitsche zu verändern. Beides kann kurzfristig wirken, längerfristig gefährdet es die intrinsische Motivation. Bei Strafen gehen die Kinder vielleicht in die Anpassung, doch auch bei Belohnungen werden sie gewünschtes Verhalten weniger aus Einsicht zeigen, sondern viel mehr um eine Belohnung zu bekommen. Sie werden früher oder später ohne Belohnung nicht mehr zu motivieren sein…

Zu Ihren Überlegungen gehört auch, wie Sie als Team ein allfälliges System gleich, also gerecht / fair anwenden können. Und dies ist ein weiterer Grund, auf Systeme möglichst zu verzichten. Diese bergen die Gefahr der Willkür, SuS fühlen sich ungerecht behandelt, wollen märten und verhandeln….Plötzlich komme ich als Lehrperson in die unangenehme Rolle der Richterin und muss mich rechtfertigen.

Sie beschreiben weiter Ihr geplantes Vorgehen, mit den Buben anhand von Piktogrammen über den vergangenen Halbtag zu reflektieren. Und darin möchte ich Sie bestärken.
Sie nehmen sich Zeit, um mit den Buben über deren Lernen und Verhalten gemeinsam zu sprechen, und dies denke ich ist bedeutsam und kostbar! Mit regelmässigen Gesprächen stärken Sie die Beziehung, Vertrauen kann wachsen, die Buben können sich auch öffnen und sich z B überlegen, was sie selber am Folgetag anders angehen oder versuchen wollen. Und dies kann man festhalten, und am nächsten Tag wieder anschauen.
Es braucht m E am Schluss eines solchen Coachinggesprächs keine Belohnung, bzw Bestrafung, das würde der Beziehungsarbeit den Boden grad wieder wegziehen.
Das Gespräch ist somit keine Massnahme, es wird viel mehr zu einem Instrument des Classroom-Managements.
Ich kann mir vorstellen, dass die anderen Kinder der Klasse bald auch gerne individuelle Gespräche möchten, um beim Lernen weiterzukommen :slight_smile:

Ich hoffe, ich kann Sie mit meinen Überlegungen und Hinweisen ermutigen, mittels der geplanten Gespräche an den Themen des Verhaltens und Einhaltens von Regeln zu arbeiten.

Freundliche Grüsse
Niesen

*Gert Lohmann, «Mit Schülern klar kommen»

Guten Tag Seamon45

Ich beziehe mich mit meiner Antwort nur auf den ersten Teil Ihres Anliegens. Aus meiner Unterrichtspraxis als Begabtenlehrperson gebe ich Ihnen gerne mit auf den Weg, eher die Ressourcen der Jungen zu suchen und in diesem Bereich eine Förderung anzusetzen. Das Fokussieren auf das Verhalten könnte zur Folge haben, dass der Blick für die kognitiven Möglichkeiten der Jungen verloren geht. Das wäre sehr schade.
Vielleicht hat es an Ihrer Schule eine Speziallehrperson für die Förderung ausserordentlich Begabter, welche Ihnen unterstützende Unterlagen oder Begleitdossiers für Projektarbeiten bereitstellen könnte.
Ich bin überzeugt, dass das kreative Verhalten bald wieder aufhören würde, wenn die Jungen Ihrem maximalen Potential entsprechend arbeiten können. Beachten Sie bitte, dass ich hier nur in einer Aussensicht schreibe und selbstverständlich Ihre genauen Verhältnisse nicht kenne.

Freundliche Grüsse
Creativity

Hallohallo!

Auch ich möchte dich ermutigen, kein Belohnungssystem einzuführen. So schnell ist es dann doch ein System, bei welchem die gleichen Kinder immer Erfolg haben, und die anderen Kinder Misserfolge. Also eher Frust als Lust.

Ein Gespräch mit den Kindern ist eine echt tolle Massnahme, so mache ich es auch. Und dann gebe ich den SuS die Verantwortung für ihr Verhalten zurück, mit Fragen wie (nebst was war gut, positiv usw):

  • Was machst du morgen anders?
  • Wie machst du das konkret?
  • Was macht du wenn es nicht gleich klappt, Plan B?
  • Was benötigst du dazu?
  • Wie kann ich dir dabei helfen?

Und dann dran bleiben. Oft fruchtet dies bereits. Der nächste Schritt, falls es nicht bessert, wäre für mich ein Gespräch LP-SuS-Eltern. Auch hier die Rollen klären: Was machen die SuS? Was die Eltern? Was die LP?

Es geht für mich klar darum, dass sie selbst verantwortlich für ihr Handeln sind, nicht du als LP.

Ich kenne die Situation in deiner Klasse nicht, aber falls das Verhalten sich nicht bessert, dann (möglichst emotionsneutral :wink: ) mit Konsequenzen arbeiten, die logisch sind und aus denen sie wählen können. (Bsp: Das Kind stört andere beim Arbeiten. Abmachungen werden nicht eingehalten. Meine Aussage: Es stört, wenn du dich so und so verhälst. Ich sehe, heute kannst du hier nicht arbeiten. Wo gehst du hin: an ein Einzelpult, zum Fenstersims oder hast du selbst eine Idee, wo du arbeiten kannst, ohne die anderen zu stören?) Die Wahl gibt dem Kind ein Stück Mitbestimmung, in der Regel klappt dies erstaunlicherweise immer. Ich hatte ein Kind, das hat sich draussen so schlimm verhalten, dass ich es hereinschicken musste. Das Kind weigerte sich mit LAUTEM Nein. Ich fragte (glücklicherweise ungerührt und freundlich): Gehst du alleine oder soll ich dich begleiten? Es sagte sofort, ich geh alleine und ging. So erlebe ich es immer wieder. Wählen lassen aus echten Alternativen ist richtig gut!

Ich hoffe, du kannst etwas daraus nehmen, ansonsten einfach überlesen!

Grüessli
Marcelle