Deutsch Aufsatzkorrekturen

Guten Tag

Ich unterrichte neu an einer 5./6. Klasse und erteile unter anderem auch 2 Lektionen Deutsch pro Woche. Die Klassenlehrperson, seit vielen Jahren im Schuldienst, unterrichtet die restlichen Deutschlektionen. Mir wurde beauftragt, dass ich die Schülerinnen und Schüler in jedem Quartal 2 Aufsätze schreiben lassen soll und dass ich diese dann grammatikalisch und orthografisch vollständig korrigieren müsse. Der Aufwand hierfür ist riesig. Zudem erachte ich es als wenig sinnvoll, wenn ein Aufsatz vollständig korrigiert wird. Vielmehr möchte ich auch das Positive betonen und nicht nur die Fehler. Ich fühle mich nun ziemlich verunsichert, ob ich nun die Wünsche der Klassenlehrperson umsetzen soll oder ob ich nach meinen eigenen Überzeugungen handeln soll. Was würden Sie in meiner Situation tun? Wer hat mir hilfreiche Tipps, wie ich die Aufsätze beurteilen kann?

Herzlichen Dank für die Antworten.

Liebe Deutschlehrperson (aus der Praxis)

Lass mich deine Ausführungen einleitend mit eigenen Worten zusammenfassen: Du hast von der zuständigen Klassenlehrperson den Auftrag erhalten, die von dir unterrichtete 5./6. Klasse zwei Aufsätze pro Quartal schreiben zu lassen und bei den Produkten sämtliche grammatikalischen und orthographischen Fehler anzustreichen. Da dir dieses defizitorientierte Vorgehen wenig entspricht, stehst du nun im Clinch zwischen Auftrag und persönlicher Überzeugung und fragst, wie du reagieren sollst. Weiter bittest du um Tipps zur Beurteilung von Aufsätzen.

Mit dem Themenkomplex „Aufsätze korrigieren“ sprichst du einen zentralen Aufgabenbereich von Lehrpersonen an. Dieser wirft viele Fragen auf, welche selbst erfahrene Lehrpersonen und Fachdidaktiker(innen) nicht einhellig beantworten können. Eng mit dem Thema der Aufsatzkorrektur verbunden ist das Thema des „Schreibens“ generell. Ich möchte die zweite deiner Fragen herausgreifen: Tipps zur Beurteilung von Aufsätzen.

Die neuere Schreibdidaktik sieht Schreiben als mehrphasigen Prozess – bestehend aus Themenfindung, Textentwurf, Überarbeitung –, zu welchem die Lernenden explizit angeleitet werden sollen. Anders als es viele von uns noch selber erlebt haben und es noch immer praktiziert wird, ist es aus heutiger fachdidaktischer Sicht wenig sinnvoll, die Lernenden einen Aufsatz am Stück, also ohne zeitliche Unterbrechung, von Anfang bis Ende schreiben zu lassen.
Dabei sollte vor allem der Phase der Überarbeitung mehr Raum zugestanden werden. Die Lernenden sollen die Möglichkeit erhalten, einen Text aus der Hand zu legen, Abstand davon zu nehmen, um dann erneut an diesem zu arbeiten und zu feilen. Das schliesst die Inanspruchnahme von fremder Hilfe mit ein. Das Stichwort lautet: „Partner Feedback“. Die Partner sind die Mitschülerinnen und Mitschüler, welche ihre Textentwürfe gegenseitig austauschen und lesen und einander danach mitteilen, was sie daran gut finden bzw. was überarbeitet werden müsste. Der Rotstift der Lehrperson kommt erst zum Zug, nachdem die Lernenden ihre Texte unter Zuhilfenahme von Duden, Rechtschreibprogrammen und Berücksichtigung von Partner Feedbacks überarbeitet haben. Ich füge das Schema des Schreibprozesses (nach Gerd Bräuer) bei.

Zurück zu deiner Frage: Wenn Schreiben als Prozess betrachtet und entsprechend betrieben wird, ist es aus meiner Sicht zu rechtfertigen, das Endprodukt auch in Bezug auf Grammatik und Rechtschreibung streng zu beurteilen. Grundsätzlich teile ich aber deine Einstellung, dass man nicht primär die Löcher im Käse (also die Fehler), sondern das gute Drumherum sehen und betonen sollte.

Was hältst du davon, das Schreibprozessmodell (Attachment) der Klassenlehrperson vorzulegen und mit dieser zu diskutieren?

Freundliche Grüsse
Sandmann

Guten Tag

Ich bin etwas schockiert über deine Situation, weil mir scheint, dass dir die Hauptlehrperson offensichtlich die „mühsame“ und aufwändige Arbeit abdelegiert. Ich würde einmal versuchen, eine Aufgabenteilung vorzuschlagen à la jede/r übernimmt einen Aufsatz pro Quartal. Ausserdem würde ich das Schreiben auf verschiedene Arten pflegen, so dass die Lust am Schreiben bleibt. Da gibt es unter dem Begriff „kreatives Schreiben“ sehr viele Ideen und Anregungen, die für die Schüler/innen sehr lustvoll sind und lustig sein können.
Zur Bewertung: Wenn ich Aufsätze korrigiere, arbeite ich mit einem Schema, das auch Schwerpunkte setzt. Wenn also ein Aufsatz geschrieben wird zu einem Zeitpunkt, da die Gross-/Kleinschreibung geübt wird, würde ich diese Fehler genau zählen, die andern eher vernachlässigen.
Ausserdem verteile ich nur Pluspunkte, die du für deine Stufe anpassen kannst: Darstellung, Einhalten der Vorgaben (musst du vorher definieren und kommunizieren (kann inhaltlich oder formal sein, z. B. Zeiten wurden eingehalten, xy kam vor, direkte Rede wurde eingebaut etc.)), Einleitung und Schluss passen zum Text, Text hat innere Logik etc. So musst du nicht auf alles oder nur Rechtschreibefehler schauen, sondern auf eine beschränkte Anzahl Kriterien, die dir erlauben zu entscheiden erfüllt/nicht erfüllt. So ergeben auch nicht die Fehler eine Note, sondern die Pluspunkte je nach Erfüllung der Anforderungen. Das Gute daran: Es fliessen verschiedene Stärken und Schwächen in die Bewertung ein.

Alles Gute! Eva

Hallo

Ich kann aus meiner Praxis hinzufügen: Paartexte sind eine kreative, effiziente Form des Schreibens. Meistens gebe ich den Sch. 2-3 Themen vor und sie können wählen.
In 2 er Gruppen wird dann je ein Entwurf geschrieben und gegenseitig korrigiert. Dann korrigiere ich die Texte mit dem grammat. Schwerpunkten im Hintergrund und teile sie wieder aus. Ein paar Tage später schreiben die Sch. in Paaren den Text ins Reine.
Auch gut geeignet als Anreiz ist die Idee, einen Wettbewerb daraus zu machen. Dh. Klare Vorgaben und Ziele mitteilen - schreiben lassen- Vortragen lassen- Sch. abstimmen lassen- Preisverleih. (Geht auch gut mit Partnerklassen zum Abstimmen!)
Wettbewerbsituationen regen Sch… oft enorm an und sie machen eifriger und motivierter mit.

Gruss Two Way

Salü zusammen

Ich möchte an dieser Stelle, nach all den guten Infos und Tipps von oben, noch etwas provokant am Sockel vom „Aufsatz“ rütteln:

Mit Aufsatz wird im Volks- und Lehrermund meist ein Fantasietext im Stil von „Wenn ich ein Krokodil wäre“ gemeint. Er war jahrzehntelang in Deutschunterricht - neben dem Diktat - die einzig praktizierte Schreibform.

Ich bin der Meinung, das Schreiben von Fantasietexten soll in der Schule unbedingt seinen Platz haben; aber einen angemessenen! In der Unter- und Mittelstufe mag der Platz für Fantasietexte zugunsten der Schreibfreude gross sein. Aber weil ja Deutschunterricht auf reales, im Alltag zu erwartendes Schreiben vorbereiten soll, muss das Fantasieschreiben im Verlauf der Schulzeit zur Seite rücken. Notieren, zusammenfassen, umformulieren, beschreiben, Briefe schreiben, bewerben, protokollieren, Sachtexte schreiben und so weiter haben mehr mit dem Alltag zu tun und brauchen ihrerseits mehr Platz im Deutschunterricht als „der Aufsatz“.

Ich persönlich gebrauche das Wort Aufsatz gar nicht, sondern nenne die Tätigkeit lieber, was sie ist: „Texte schreiben“ oder meinetwegen padagogischer „Schreibanlass“.

TwoWay,
deine Ideen gefallen mir sehr gut. Ich komme in solchen Settings einfach immer in Konflikt mit der Tatsache, dass ich Texte auch beurteilen soll/will/muss. Und wenn sie die von dir beschriebenen Phasen durchlaufen haben, ist es heikel, das Endprodukt hinsichtlich den Fähigkeiten einzelner Schüler zu beurteilen. Dasselbe gilt für manche Abschnitte im Schreibprozessmodell von Sandmann. Ich bin dann immer in Clinch und frage mich, wieviel Raum ich solchen „Gemeinschaftsprojekten“ geben will/kann, die aber gar nicht in die Beurteiling einbezogen werden können, weil sie eben nicht die Deutschkomptenzen des einzelnen, zu beurteilenden Schülers wiederspieglen. Hhhm, tricky…

Morgy

@R-Morgy:

Ich stimme dir voll zu: Es ist ein Balanceakt, die Sache mit den Gemeinschaftsprojekten! Dennoch: Zum Üben & Anregen , um Impulse fürs Schreiben zu geben, finde ich sie super. Willst du hingegen klare, zeugnisrelevante Beurteilungen durchführen, gibt es meiner Meinung nur den Weg der Einzelarbeit…ansonsten ist`s wirklich etwas tricky…
Und zudem:Immer wirds dann auch schwierig bei allfälligen Elterngesprächen, wenn du die Note belegen und begründen solltest, welche in solchen Gemeinschaftsprojekten erarbeitet wurde.

Gruss TwoWay