Ich befinde mich noch in der Ausbildung und absolvierte soeben ein Praktikum bei einer Unterstufe. Die LP sprach die SUS jeweils mit ,du, an, obwohl sie alle damit meinte. Für mich klang diese Satzbildung einfach nur falsch und Dimitri ist aufgefallen, dass ein paar SUS Grammatikfehler à la ,wie musst du das machen?', obwohl sie sich selber meinten, machten.
Meine Praxislehrperson ist jedoch überzeugt von der du-Methode, sie erreichen durch sie die ganze Klasse. Deshalb würde ich mich gerne mal darin vertiefen, konnte jedoch keinerlei Literatur oder Studien zu dem Thema finden, weiss jemand etwas? Ich wäre euch sehr dankbar lg
Du berichtest von einer Beobachtung, die du während deines Praktikums gemacht hast und dich befremdet: Die Lehrperson verwendet das Anredepronomen „du“, wenn sie sich auf mehrere Schülerinnen und Schüler zugleich bzw. auf die ganze Klasse bezieht, wo es doch grammatikalisch korrekt wäre, mehrere Zuhörende im Plural, also mit „ihr“ anzusprechen. Ganz neu ist mir diese Art der Anrede nicht. Ich habe bisher zumindest einmal davon gehört.
Deine Beobachtung wirft viele Fragen auf: Haben wir es mit der Geburt eines Trends zu tun, der sich in näherer oder fernerer Zukunft in Schweizer Schulzimmern ausbreiten wird? Wo sind seine Wurzeln? Wie stark ist er in den Schulzimmern bereits verbreitet? Was führt dazu, dass man von der korrekten Verwendung des Anredepronomens abweicht, und was verspricht man sich davon? Welche Auswirkungen hat die Verwendung der grammatikalisch inkorrekten Anredeform auf die Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler?
Meine Suche im Netz hat mich zu keiner Antwort geführt. Wie du habe auch ich weder Hinweise auf einschlägige Fachliteratur noch Diskussionsbeiträge zum Thema gefunden. Vielleicht kann ein Leser, eine Leserin obiger Fragen weiterhelfen. Ich wäre sehr interessiert.
Zum Schluss noch ein Wort aus meinem Mund: Auch ich reagiere mit Befremden und setze grosse Fragezeichen hinter diese Entwicklung. Als Person mit germanistischem und fachdidaktischem Hintergrund sowie Erfahrung als Lehrperson in Deutsch Muttersprache und Deutsch als Fremdsprache würde ich selber dringend dazu raten, nicht nur im Schulzimmer, aber vor allem dort, grammatikalisch korrektes Deutsch (gemäss Duden) zu verwenden.
hallo zusammen
Ich habe bei einer Hospitation als Lehrperson dasselbe erlebt. Die Idee dahinter war wie folgt:
Mit dem ‚Du‘ muss sich jeder Schüler/jede Schülerin direkt und persönlich angesprochen fühlen! Es nimmt ja jeder für sich das Buch hervor…
Ich selber habe nicht überprüft, ob das aufs aufmerksame Verhalten der SuS einen Einfluss hatte. Mich hats auch befremdet und ich würde dies auch nie so brauchen.
Ich bin seit über 20 Jahren Deutschlehrer an der Oberstufe und spreche die Gesamtheit der Kids meiner Klassen ab und zu bewusst mit du an für einen konkreten Einzel-Auftrag. Mein Hauptgrund dafür ist, - wie im Posting von eben erwähnt - dass sich die Jugendlichen unmittelbarer und persönlicher angesprochen fühlen. Nehmen wir ein Beispiel: wir haben die ersten paar Kapitel einer Klassenlektüre gelesen. Nun spreche ich zur Klasse und sage: Geh die gelesenen Kapitel nochmals durch. Such die gelungenste und die am wenigsten gelungene Textstelle. Bereite dich vor, diese vorzustellen und deine Wahl zu erklären. Du hast … Minuten Zeit. Formuliere ich diesen Auftrag in der Du-Form, wird meiner Meinung nach jeder einzelne Schüler direkter zu Aktivität aufgefordert. Die Mehrzahl-Variante Geht die Kapitel nochmals durch. Sucht die … Bereitet euch… Ihr habt… könnte Kids eher zu einer Passivität verleiten, die erwartet, dass sich jemand anderes um den Auftrag kümmert.
Um einen grammatischen Fehler handelt es sich dabei nicht; es ist ein rhetorisches Mittel, zum dem sich bei Bedarf bestimmt auch Literatur finden liesse. Eine Studie braucht es meiner Meinung nach nicht, sondern „gesunden Lehrerverstand“.
Ich setze die Du-Form ebenso wie R_Morgy als rhetorisches Mittel oft ein bei der Erteilung eines Auftrages, bei dem ich bewusst jedes einzelne Kind ansprechen möchte. Ich erlebe das als stimmig - wenn auch für Hospitierende vielleicht auf’s Erste befremdend, da ungewohnt.
Hallo zusammen
Auch ich bin seit vielen Jahren als Lehrperson auf allen (!) Stufen unterwegs und brauche immer wieder für die Gesamtklasse das „du“, weil ich selber in Kursen war, in denen ich das als Teilnehmerin erlebt habe und gemerkt habe, dass ich mich persönlicher angesprochen fühlte und mir das so gefiel. Ausserdem habe ich verschiedentlich bei jüngeren Kindern beobachtet, dass sie sich als Klasse nicht angesprochen fühlten, weil sie sich in ihrer Entwicklung noch stark als Individuum erleben und noch wenig Bezug haben zum „Wir“. Die Klasse, das sind die anderen!
Für mich ist es wichtig, dass ich bewusst auswählen und immer wieder wechseln kann vom „ihr dürft nun…“ zum „du machst jetzt…“. Es gibt für mich kein „richtig“ oder „falsch“, aber einen bewussten Umgang mit Sprache. Aus der Gewaltfreien Kommunikation wissen wir, dass Sprache ‚Mauer oder Fenster sein kann‘. Darum macht es für mich Sinn, das Gleiche verschieden auszudrücken im Wissen, dass meine Fenster deine Mauern sein können…
Viel Spass beim Ausprobieren und Forschen!
Grasfee