Verschlechtertes Verhältnis LP- Klasse

Ich bin Klassenlehrer an der 2.Sek, eine Klasse mit 13 Jungen und 8 Mädchen. Schon seit Ende der siebten Klasse habe ich das Gefühl, dass vor allem 2-3 Mädchen ein Problem mit mir haben. Vor allem ein Mädchen scheint die Fäden in der Hand zu haben. Sie ist eine gute Schülerin und beteiligt sich eigentlich sehr konstruktiv am Untericht. Es häufen sich aber Zwischenbemerkungen und spitze Kommentare. Viele meiner Entscheide werden negativ bewertet und es gibt beim Durchsetzen von Regeln etc. immer ein „Gschtürm“.
Leider habe ich den Eindruck, das teilweise gegen mich intrigiert wird. Es sind eher kleinere Vorkomnisse, aber inzwischen haben sich auch viele Jungs davon anstecken lassen. Es ist sehr unruhig geworden und die Beteiligung ist abgesackt.
Mit der besagten Schülerin habe ich schon gesprochen, aber nach einigen Lektionen ist sie wieder auf dem unerfreulichen Level zurück. Die Mutter verweist auf den Charakter ihrer Tochter („sie ist halt so“).

Dies als kurze Zusammenfassung; ich möchte die Klassendynamik wieder ins Lot kriegen. Denn als Einzelne sind die Schülerinnen und Schüler durchwegs angenehm.

Sie beschreiben eine für Sie ungemütliche Situation, deren Bearbeitung möglichst schnell angegangen werden sollte.
Wir haben Ihre Frage an einen Experten weitergeleitet und hoffen, dass die Antwort möglichst bis Ende Woche eintreffen wird.

Lieber joness

Sich einer Klasse gegenüber zu sehen, die Ihre Entscheide und Regeln immer mehr hinterfragt, kann das Gefühl von Hilflosigkeit hervorrufen. Hält eine Klasse zusammen, so entwickelt sie eine Macht und eine Kraft gegen eine Lehrperson, mit denen es herausfordernd ist, gewinnbringend umgehen zu können. Wichtig ist, dass es Ihnen gelingt, die eskalierende Situation zu stoppen. Leider kenne ich dazu kein Patentrezept. Gerne aber schreibe ich Ihnen einige Gedanken, die Ihnen helfen könnten, das Klima zwischen Ihrer Klasse und Ihnen wieder zu entspannen.

Aus Ihren Schilderungen entnehme ich, dass Sie eine gute Anfangsphase mit der Klasse erlebt haben. Begonnen hat es mit den Mädchen. Versuchen Sie herauszufinden, was die Wende eingeläutet hat. Gab es einen Entscheid oder ein Ereignis, das für eines der Mädchen schwierig war? Wie hat sich das gezeigt? Und wie haben Sie ganz zu Beginn darauf reagiert? Vielleicht zeigt sich in Ihren Antworten ein Muster in Ihrem Verhalten, das Sie in den letzten Monaten verstärkt haben und das mitgeholfen hat, die Situation zu verschlimmern. Wenn dem so wäre, so wäre es wichtig, damit aufzuhören und eine neue, kreative Strategie im Umgang mit diesem Thema zu finden. Es gilt, die „Spielregeln“ der Kinder in der Interaktion mit Ihnen zu durchschauen und eigene Regeln zu entwerfen.

Es kann durchaus sein, dass Sie mit obigen Überlegungen nichts anfangen können, weil es keine Verknüpfung mit Ihrem Erlebten gibt.
Ein weiteres Vorgehen könnte Folgendes sein: Sie schildern der Klasse offen, wie es Ihnen geht. Erzählen Sie von Ihren Beobachtungen, dass das Klima zwischen Ihnen und den Schülerinnen und Schülern zusehends schwieriger wird und es Ihnen immer weniger Freude macht, in die Schule zu kommen. Dabei darf es nicht um eine Schuldzuweisung gehen! Viel wichtiger ist es, ihnen zu zeigen, dass es Sie beschäftigt oder traurig macht und es Ihr Bestreben ist, wieder ein vertrauensvolles, gutes Klima herzustellen. Vielleicht lassen Sie dann die Schülerinnen und Schüler schriftlich Stellung nehmen. Wie sehen sie die Veränderung? Was wünschen sie sich von Ihnen? Was können sie zu einer positiven Wende beisteuern?
Je nach Antworten könnte es sinnvoll sein, das Gespräch mit Einzelnen zu suchen.

Hilft all das nicht, so könnte die Schulleitung einbezogen werden. Vielleicht hat sie weitere Ideen, wie Sie mit Ihrer Klasse umgehen könnten.

Ich bin gespannt, ob der eine oder andere Gedanke von mir bei Ihnen Hilfreiches auslöst und freue mich auf eine Antwort von Ihnen.
Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen ein gutes Gespür und viel Zuversicht für das Kommende.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Lieber Kashgar

Ich danke Ihnen vielmals für die Antwort. Die Ratschläge haben mir sicherlich weitergeholfen. Ich habe in einer der letzten Lektionen die Klasse einfach einmal erzählen lassen, was sie eigentlich stört. Es kristallisierte sich heraus, dass sich die SuS teilweise unverstanden gefühlt haben. Sie haben die negative Verstärkung angesprochen: Ich denke dies war ein zentrales Problem. Durch das übertriebene „Gstürm“ einiger SuS habe ich teilweise abgeblockt und bin (auch aus Zeitgründen) nicht mehr darauf eingetreten. Dies haben die SuS nun auch angemerkt.
Geholfen hat auf jeden Fall auch mehr Gelassenheit. Nach Rücksprache im Kollegium ist mir bewusst geworden, dass der Pegel auch bei anderen Lehrkräften hoch ist; will heissen ich nehme es nicht mehr zu persönlich. Und es gelingt mir auch, schwierige Sachverhalte mit Humor zu nehmen. Die SuS steigen ziemlich gut darauf ein.

Trotz Hoffnung auf ein verbessertes Verhältnis: Das ständige Reden und die Unruhe bleiben. Muss ich mich hiermit teilweise einfach abfinden? Haben Sie noch einen Ratschlag, wie man mehr „allgemeine Ruhe“ in eine Klasse bringen kann? Ich stehe erst im zweiten Berufsjahr.

Besten Dank für die Anregungen, liebe Grüsse

Joness

Liebe/r Joness
In kurzer Zeit haben Sie Entscheidendes verändern können! Gelassenheit, eine gewisse innere Distanz zum Geschehen und Humor sind entscheidende Kompetenzen, um die Freude am Beruf auch unter schwierigen Verhältnissen aufrecht erhalten zu können.

Schön auch, dass Sie die Schülerinnen und Schüler gefragt haben. Damit zeigen Sie ihnen, dass Sie sie einbeziehen und ihre Sichtweise sehen wollen. SuS wollen von der Lehrperson gehört und ernst genommen werden. Manchmal ist es gar nicht so einfach, sie in ihren zum Teil pubertierenden Verhaltensweisen und Äusserungen auch wirklich ernst zu nehmen, doch soll die Beziehung zwischen der Klasse und Ihnen gelingen, so ist das mit Sicherheit der wichtigste Faktor.

Es gibt sicher viele Tipps, die helfen könnten, eine Klasse zu mehr Aufmerksamkeit zu führen, keiner wird aber ein Wundermittel sein. Es gibt immer wieder Klassen, die lauter sind als andere. Wichtig ist dann, dass Sie Ihre Ansprüche und Erwartungen anpassen können, damit Sie sich nicht unnötig unter Druck setzen.

Achten Sie vor allem am Anfang einer Lektion, dass Sie erst sprechen, wenn es ruhig ist. Die ersten fünf Minuten entscheiden oft über den Verlauf der ganzen Lektion. Stellen Sie sich immer am selben Ort hin, damit die SuS lernen, dass das ein Zeichen des Aufmerksam-Werdens ist. Schauen Sie die SuS an, jedes Einzelne, nicken Sie dankend denen zu, die bereits still dasitzen. Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen, oft scheint die Wartezeit viel länger zu sein, als dass sie es tatsächlich ist. Wenn es während der Einzelarbeit wieder zu laut werden sollte, lassen Sie die SuS innehalten, ablegen und still werden. Dann können Sie ihnen sagen, dass sie jetzt weiterarbeiten können. Reden Sie nicht laut ins Laute, stören Sie die Störungen leise.

Auch die Pultordnung kann einen Einfluss auf den Lärmpegel haben. Bei unruhigen Klassen empfiehlt sich die traditionelle Pultordnung, sicher keine Blöcke, die eher zum Plaudern einladen. Achten Sie auch auf die Ordnung. Jacken gehören in die Garderobe, Mappen hinten in ein Gestell, auf dem Pult liegt nur das Material bereit, das sie zum Arbeiten benötigen.

Mit der Unterrichtsform können Sie auch Einfluss nehmen. Bei einer sehr lebendigen, zappeligen Klasse eignet sich ein straff geführter Unterricht mit kurzen mündlichen Sequenzen gefolgt von Einzelarbeiten eher als die Arbeit mit Wochenplänen. Dabei kann auch darauf geachtet werden, dass die SuS wenig Grund haben, ihre Plätze zu verlassen.

Übergangssituationen sind immer Momente, die zum Plaudern einladen. Achten Sie darauf, dass die Arbeitsblätter bereits auf ihren Pulten liegen, dass Sie nicht lange den Hellraumprojektor einrichten müssen oder gar zuerst noch eine Wandtafel reinigen müssen, bevor Sie etwas anschreiben können. Vermeiden Sie es grundsätzlich, während des mündlichen Unterrichtes an die Wandtafel zu schreiben, denn damit verlieren Sie immer wieder den Kontakt mit den SuS.

Empfangen Sie die SuS möglichst „unter der Türe“. Seien Sie vor dem Schulbeginn bereits im Zimmer und nehmen Sie schon von Beginn weg Einfluss auf das Treiben. Vielleicht hilft auch eine leise ruhige Musik oder ein Duftlämpchen, damit die Atmosphäre zum Ruhig-Sein einladend wirkt. Auch nach den Pausen markieren Sie Ihre Präsenz schon beim Eintrudeln der SuS.

Und schlussendlich: Freuen Sie sich über jeden Moment, in der Ihre Klasse ruhig ist. Erzählen Sie am Schluss des Morgens den Kindern, wann es Ihnen besonders gut gefallen hat. Benennen Sie immer wieder das Gelungene und haben Sie Geduld.

Nun hoffe ich, dass Sie mit diesen Tipps weitere Erfolge verbuchen können. Ich bin gespannt, von Ihnen zu hören oder auch Tipps von anderen Lehrpersonen zu lesen.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar