Um Zeugnis wird gebeten

Hallo zusammen

Ich bin PH-Student Sek II im ersten Semester und habe mich kürzlich auf eine Stellvertretung beworben. Die Stelle wurde von der Lehrperson direkt ausgeschrieben - lief also nicht über die Schulleitung oder Stellvertretungsportale. Aus Datenschutzgründen kann ich den Ausschrieb nicht direkt zitieren - ein Beschrieb muss reichen: Niederschwellig, persönlich, Du-Form, Aufforderung zu einer unbürokratischen E-Mail-Bewerbung mit Lebenslauf, mit Bild der Lehrperson. Es folgt der Mail-Austausch zwischen mir und der Lehrperson, der sich ungefähr zwei Wochen hingezogen hat. Ich habe nichts weggelassen (ausser den Namen der Lehrperson).

Do 29.05.25

Hallo X

Ich habe gestern von einem befreundeten Kommilitonen an der PHBern von dieser Stellvertretung erfahren. Ich habe den Stellenbeschrieb mit grossem Interesse durchgelesen und fände es eine tolle Chance, diese machen zu dürfen. Entsprechend nutzte ich heute den Feiertag und habe meinen Lebenslauf auf Vordermann gebracht.

Wie du diesem entnehmen kannst, schliesse ich gerade das erste Semester des Sek II Studiengangs an der PHBern ab. Ich habe schon sehr viel Unterrichtserfahrung in verschiedenen Settings; der Entscheid für das Lehrdiplom Sek II und das Gymnasium kommt nach langer Reifungsphase mit umso tieferer Überzeugung und Begeisterung. Wenn die Stelle noch frei ist und ich deinen Erwartungen entspreche, würde es mich sehr freuen, wenn wir uns mal treffen könnten.

Ich wünsche dir ein schönes verlängertes Auffahrtswochenende.

Liebe Grüsse

Patrick


So 01.06.25

Lieber Patrick, Danke für deine Bewerbung. Ich melde mich spät. Freitag vor Pfingsten.

E liebe Gruess, X


Mo 02.06.25

Lieber X

Danke für deine Nachricht! Dann also bis bald.

Liebe Grüsse

Patrick


Sa 07.06.25

Lieber Patrick,

betreffend der Stv.: ich habe eine erfahrene Dozentin der Berner Fachhochschule rekrutieren können, die in ihren Semesterferien Gymer-Luft schnuppern möchte. Deshalb sage ich dir ab. Danke nochmals für deine Bewerbung und alles Gute dir, sowohl privat als auch beruflich. E liebe Gruess, X


Sa 07.06.25

Lieber X

Danke für deine Nachricht! Ist schon schade - ich hätte mich sehr über die Stellvertretung gefreut. Aber kein Problem, ich sehe deine Perspektive.

Alles Gute und man sieht sich ja immer zwei mal.

Liebe Grüsse

Patrick


Do 12.06.25

Patrick, nur noch schnell zu deinem letzten Satz „…und man sieht sich ja immer zwei mal.“ Dieser Satz ist in unserem Zusammenhang - nach meinem Gusto - deplatziert oder einfach nicht angebracht. So wie ich das verstehe, zielt diese Floskel/Redewendung in eine Richtung, die mit unserer Situation nichts zu tun hat.

Als Feedback: ich fühlte mich jedenfalls durch diesen Satz bestärkt in meinem Entscheid gegen dich.

Gruess u schöne Tag X


Do 12.06.25

Lieber X

Dieser Schlusssatz war kollegial-freundschaftlich gemeint und den Tonfall aufnehmend, den du in der Ausschreibung für die Stellvertretung angeschlagen hast: niederschwellig, in Du-Form von Kollege zu Kollege, mitdenkend (z.B. Bewerbung für Stellvertretung vs Festanstellung) etc.

Jetzt von dir eine solche Nachricht zu erhalten, ist ein Schlag ins Kontor. Du insinuierst bei mir Motive und deutest zwischen den Zeilen Dinge an, die weh tun und ich nicht einfach so stehen lassen kann. Was glaubst du, macht das mit einem Menschen, wenn er derart gerichtet wird?

Ich bin auf der Suche nach einem (Wieder)einstieg in den schönen Beruf des Gymnasiallehrers und habe einen langen Weg hinter mir. Dies ist die erste Bewerbung, die ich seit meinem PH-Einstieg gemacht habe und nun das.

Wir sind alle Menschen und machen Fehler. Möglich, dass die fragliche Formulierung Interpretationen zulässt, die so selbstverständlich nicht beabsichtigt waren. Es lässt aber tief blicken, wenn ausgerechnet diese Interpretation „gefunden“ wird.

Ich würde mir wünschen, dass wir uns wohlwollend und versöhnlich begegnen könnten, sollten wir uns denn tatsächlich nochmals im Leben treffen.

Alles Gute und liebe Grüsse

Patrick


Do 12.06.25

Das mag ich gar nicht lesen, sorry.

Mach’s gut, wir hätten nicht harmoniert…

X


Jetzt zu meinen Fragen an euch:

  1. Wie kommt bei euch mein Schlusssatz an: „Alles Gute und man sieht sich ja immer zwei mal.“? Habe ich wirklich einen waschechten Faux-pas begangen - muss man das so interpretieren?

  2. Wie findet ihr, unabhängig von der ersten Frage, die Reaktion der Lehrperson? Ich bin - ehrlich gesagt - schon ziemlich geschockt, wie mir da über den Mund gefahren wird.

  3. Findet ihr, ich sollte dieses Gebaren der Lehrperson der Schulleitung mitteilen? Mir ist bewusst, dass dieser Schritt karrieremässig bestenfalls fragwürdig ist, aber ich fühle eine Verantwortung auch den SuS gegenüber, die einer solchen Lehrperson ausgesetzt sind.

  • Dein Schlusssatz ist völlig unproblematisch.
  • Dein Schlusssatz ist eher unproblematisch.
  • Dein Schlusssatz ist eher problematisch.
  • Dein Schlusssatz ist eindeutig problematisch.
  • Die Reaktion der Lehrperson ist völlig in Ordnung.
  • Die Reaktion der Lehrperson ist eher in Ordnung.
  • Die Reaktion der Lehrperson ist eher fragwürdig.
  • Die Reaktion der Lehrperson ist eindeutig fragwürdig.
  • Ich würde eindeutig die Schulleitung informieren.
  • Ich würde eher dazu neigen die Schulleitung zu informieren.
  • Ich würde eher dazu neigen die Schulleitung nicht zu informieren.
  • Ich würde eindeutig die Schulleitung nicht informieren.
0 Teilnehmer

Lieber Patrick

Herzlichen Dank für deine Frage. Gerne schreibe ich dir einige Gedanken dazu.

Leider wird aus deinem Schreiben nicht ersichtlich, ob es sich um eine langfristige Stellvertretung oder um eine von wenigen Stunden handelt. So oder so staune ich, dass eine Lehrperson eine Ausschreibung eigenständig und über einen unkonventionellen Weg tätigt. Grundsätzlich ist die Anstellung von Stellvertretungen Sache der Schulleitung.

Nun, das ist nicht deine Frage. Du bist ziemlich geschockt über die Reaktion der Lehrperson und möchtest wissen, ob dein Schlusssatz ein Faux-pas ist.

Beim Lesen des Mailverlaufs fällt auf, wie das Hin und Her sehr schnell eskaliert, vermutlich auf Grund von gegenseitigen Missverständnissen.

X hat sich eine Woche Zeit gelassen, dir eine Antwort zu geben. In dieser Zeit hat er eine andere Person gefunden. Er hat sich bei dir bedankt und alles Gute gewünscht. Hier hätte es gereicht, dich für die Antwort zu bedanken. Keine Enttäuschung, keine Schlussfloskel.
Dieser Satz «Man sieht sich ja immer zwei Mal.» ist eine vielseitige Redewendung, die in verschiedenen Kontexten verwendet werden kann, um bestimmte Botschaften zu vermitteln. Unter anderen auch die, um zu sagen, dass man die Konsequenzen für sein Handeln später zu spüren bekommt. Vermutlich hat X den Satz so gedeutet, du hast ihn aber ganz anderes gemeint – ein klassisches Missverständnis.

X hat dir das ungefragt als Feedback mitgeteilt, dich hat es tief getroffen. Der Mailverkehr driftet vom Sachlichen ins Emotionale ab.

Mit dem Gedanken «…aber ich fühle eine Verantwortung auch den SuS gegenüber, die einer solchen Lehrperson ausgesetzt sind» machst du eine heikle Aussage. Was meinst du mit «einer solchen Lehrperson»? Da scheint eine Interpretation in dir laut zu sein.

Fazit:
In diesem Kontext braucht es keine mehrdeutigen Floskeln. Lieber kurz und klar.

Wenn X diesen Satz als Drohung interpretiert hat, ist seine Reaktion nachvollziehbar.

Die Schulleitung muss nicht informiert werden.

Nun hoffe ich, dass ich dir mit diesen Gedanken helfen konnte, die Situation zu klären und sie gedanklich abzulegen.

Mit freundlichen Grüssen

Kashgar

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Lieber Kashgar

Herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort!

Hier einige Infos und meine Gedanken dazu:

Die Stellvertretung wäre über fünf Wochen mit einem 70%-Pensum veranschlagt gewesen. Für die hier diskutierten Fragen scheint mir das jedoch unerheblich.

Auch mir fiel auf, dass eine Lehrperson eigenständig nach einer Stellvertretung sucht. Noch mehr beschäftigt haben mich allerdings einige Formulierungen in der Stellenausschreibung, über die ich bereits im Vorfeld gestolpert bin: „Sobald sich aber eine Person meldet, die mir passt…“ oder „…haben sehr wahrscheinlich noch eine Chance darauf, das Rennen um diese Stellvertretung zu machen.“

Kommunikation ist mehr als bloss Informationsaustausch. Es geht auch um Beziehung, Werte und Haltungen – frei nach Watzlawick. Was hier im ganzen Verlauf zwischen den Zeilen, nonverbal und vor allem durch Handlungen kommuniziert wurde, spricht Bände.

Du scheinst mit deiner Kritik an meiner Formulierung „einer solchen Lehrperson“ diese ganze Ebene der Wirklichkeit auszublenden. Das halte ich für problematisch – aus ethischen und moralischen Gründen, aber auch, weil es unserem Berufsauftrag diametral widerspricht. Wenn wir mit einer Intervention stets so lange warten, bis die Sachlage für sich selbst spricht, dann bleibt uns nur noch die Reaktion – und das Aufräumen des Scherbenhaufens.

Im Gegensatz zu X geht es mir doch gerade nicht darum, jemanden zu richten oder abzukanzeln. Sonst hätte ich nicht um ein Zeugnis gebeten – mit der ehrlichen Absicht, meine eigene Blindheit sichtbar zu machen.

Die Frage ist aber: wollen wir sehen? Wollen wir erkennen - uns und andere?

Ja, der Schlusssatz „Alles Gute und man sieht sich ja immer zwei mal.“ ist mehrdeutig, wie so vieles. Das macht ihn noch nicht zur Floskel. Der Kontext gibt dem Gesagten die gemeinte Bedeutung. Zur Floskel würde er erst, wenn er für mich frei von Bedeutung wäre.

Die Fähigkeit Kontext korrekt zu erkennen, ist eine allzu menschliche Qualität und braucht neben vielem Anderem Empathie für den Dialogpartner. X hat sich in dieser Hinsicht kein gutes Zeugnis ausgestellt. Wenn er den Satz tatsächlich als Drohung interpretiert hat, was ich nicht glaube, dann erst recht nicht. War X also nicht in der Lage den Kontext korrekt zu lesen oder hatte er in Wahrheit andere Motive. Meine Vermutung geht in eher in letztere Richtung - aber die Erste halte ich für genau so problematisch.

Liebe Grüsse

Patrick

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Lieber Patrick

Danke für deine Erläuterungen. Nun wünsche ich dir ein gutes Loslassen und viel Glück auf der Stellensuche.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

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