Gewalt unter Schülern

Hallo zusammen,

ich unterrichte an einer Oberstufenschule Schüler im Alter von 11 und 12 Jahren.
Da mein Referendariat erst gerade mal 2 Jahre her ist, ist meine Berufserfahrung noch recht gering.
Solch eine oder ähnliche Situation, wie ich diese Woche erlebt habe, ist mir in der kurzen Zeit noch nicht untergekommen.

Während des Sportunterrichts gerieten in einem Basketballspiel zwei Schüler einer gleichen Mannschaft aneinander, weil sie sich gegenseitig vorwarfen, nicht korrekt zu spielen.
Sie beschimpften und provozierten sich laut. Nachdem ich beide aufgefordert hatte dies zu unterlassen und fair zu spielen, beruhigten sich beide erst einmal wieder.
Dass zwischen den beiden immer noch nicht alles geklärt war konnte ich trotzdem noch merken.
Aber als ich sie nach der Stunde darauf ansprach wollte keiner von beiden darüber reden,also entlies ich sie in die Umkleiden.

Als ich mich umgezogen hatte und die Turnhalle verlassen wollte, standen größtenteils die Jungen aus der Klasse draußen vor der Tür in einem Kreis und feuerten laut die beiden Mitschüler an, die sich eben schon gestritten hatten, welche einander jetzt jedoch inmitten der Menge wild prügelten.

Ich lief sofort raus und forderte die Jungen lauthals auf auseinander zu gehen, was jedoch nichts bewirkte.
Lediglich die Umherstehenden hörten auf, die Kontrahenten anzustacheln.

Ich ging mit dem Körper schließlich dazwischen, was sie jedoch noch aggressiver machte, sodass ich beide kräftig auseinander halten musste, während sie immer wieder versuchten aufeinander loszugehen.

Meine Ansagen, aufzuhören, um alles nicht noch schlimmer zu machen, wurden zunächst völlig ignoriert. Schließlich entriss sich einer der Jungs meines Griffes und rannte zur Bushaltestelle weg, wo der Bus auch schon wartete.

Meiner Aufforderungen hierzubleiben, kamen nur sein Gegner und die anderen SuS nach.
Ich sagte, dass ich zum einen verärgert, aber vorallem erschrocken darüber sei, dass erstens meine Schüler einen Konflikt mit Gewalt klären und zweitens, dass fast die gesamte Klasse einfach nur dabeisteht, auch noch anstachelt und niemand eingreift oder mich zur Hilfe holen kommt.
Ich kündigte Konsequenzen für alle Beteiligten an, die ich aber zunächst noch mit ihrer Klassenleitung besprechen wolle, und stellte klar, dass ich Gewalt nicht toleriere und ich soetwas nicht noch einmal erleben möchte.

Ich war tatsächlich erschrocken über die Brutalität, mit der sich die Schüler schlugen, als auch die Toleranz der Mitschüler, die daran scheinbar noch Gefallen fanden, sodass ich die Situation nicht vollends unter Kontrolle bringen konnte, und ich mich unsicher fühlte.

Meine Fragen:

  • Wie greift man bei derartigen gewalttätigen Schülerkonflikten bestmöglich ein, um die Situation schnellstmöglich unter Kontrolle zu bekommen? Kann eine verbale Intervention bei bestimmten Aufforderungen auch ausreichend sein?

  • Wie gelingt es, dass Mitschüler mehr Zivilcourage zeigen? Ist es nur der Unterhaltungswert, der Mitschüler dazu anstiftet soche Gewalt zu dulden?

Ich weiß, dass jede Situation anders ist, und es kein Patentrezept oder ein genaues Handlungsschema für solche Extremsituationen gibt, darüber habe ich mich schon mit Kollegen ausgetauscht.
Vielleicht gibt es aber doch den ein oder anderen Erfahrungswert, der mir bei einer nächsten Situation hilft, besser zu agieren.

Vielen Dank!

Hallo Matzze

Ich verstehe Ihr Erschrocken-Sein über die Brutalität der beiden Schüler wie auch über die Toleranz der Mitschüler gegenüber dieser Gewalt gut. Und ich möchte Sie erst einmal in Ihrem Handeln bestärken, Sie haben alles richtig gemacht.

Sie haben sofort während des Spieles eingegriffen, was erst einmal eine Beruhigung gebracht hat. Sie haben nach der Stunde das Gespräch gesucht, die beiden Schüler haben sich aber fürs Schweigen entschieden. Draussen haben Sie zuerst verbal eingegriffen, was bewirkt hat, dass die Umherstehenden ruhig wurden. Da der Kampf weiter ging, haben Sie sich sogar getraut, die beiden Kontrahenten auseinander zu zerren.

In dieser aufgeheizten Stimmung wird es schwierig sein, ein klärendes Gespräch zu führen. Der eine Junge hat sich klar dagegen entschieden, hat sich losgerissen und ist in den Bus geflüchtet. Gut, dass Sie Ihren Ärger, Ihr Erschrocken-Sein dem Rest der Gruppe gezeigt haben.

Konsequenzen muss dieses Ereignis auf jeden Fall haben, aber sicher nicht mit einer Bestrafung. Wichtig ist, dass Sie oder die Klassenleitung mit den beiden Jungs das Gespräch suchen werden. Vielleicht müssen auch die Eltern über diesen Vorfall informiert werden.

Darüber hinaus könnte es sich lohnen, mit der Klasse zum Thema Gewalt zu arbeiten. Es gibt viele gute Unterlagen dazu. Leider bin ich zu lange nicht mehr selber am Unterrichten, als dass ich Ihnen mir bekannte, neue Lehrmittel dazu angeben könnte. Oft können auch die IF Lehrpersonen unterstützend oder sogar federführend mithelfen.

Vielleicht finden Sie auch Unterstützung durch Erwin Schnyder, Institut für Weiterbildung und Medienbildung, er bietet verschiedene Kurse zum obigen Thema an.

Zivilcourage muss gelernt werden. Wenn die Schülerinnen und Schüler das nicht von zu Hause mitbekommen haben, so ist es wichtig, dass sie jetzt Gelegenheit erhalten, dies zu lernen.

Ich wünsche Ihnen ein gutes Verarbeiten des Erlebten und viele sichtbare Veränderungen innerhalb der Klasse im Umgang miteinander.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Hallo Kashgar,

vielen Dank für Ihre Antwort und Ihre Ratschläge!

Da ich in dieser Klasse die SuS nur in Sport unterrichte, obliegt die weitere Vorgehensweise größtenteils der Klassenleitung. Ich werde aber diesen Fall nochmal konkret mit ihr durchsprechen um uns zu den Konsequenzen auszutauschen.

Da es kein Verzeichnis gibt, bei der sich die Schule auf bestimmte Vorgehensweisen und Abläufe bei Regelverstößen seitens von SuS geeinigt hat, steht es da wohl jedem Kollegen frei welche entsprechenden Erziehungsmaßnahmen angewandt werden sollen.

Da ich so einen Vorfall noch nie zuvor als beteiligter Lehrer erlebt habe, fällt es mir schwer einzuschätzen welche Konsequenzen die richtigen sind, die sowohl die „Kämpfer“ als auch die „Zuschauer“ für diese Aktion zu tragen haben sollten.

Ich denke, dass für die Hauptbeteiligten dieser Prügelei ein Gespräch über die Ursachen des Konflikts und die Aufzeigung alternativer Konfliktlösungen unerlässlich ist um den Vorfall nochmal aufzuarbeiten.

Jedoch bin ich der Meinung, dass es dabei nicht schon gut sein kann, da dies für jede weitere handgreifliche Auseinandersetzung unter Schülern dieser Klasse im Vorhinein bedeuten könnte, dass die Beteiligten im Glauben sind, dass ein anschließendes Klärungsgespräch genügt, um sich für Schlägereien zu verantworten.

Auch das sich Widersetzen von Anweisungen, wie etwa das Flüchten des Schülers nach der unterbrochenen Keilerei, finde ich, kann nicht ungeachtet ignoriert werden, auch wenn ich das Verhalten emotionsbetrachtet vielleicht sogar nachvollziehen kann.

Die Idee der Einbeziegung der Eltern würde dabei vielleicht die Nachhaltigkeit der Konsequenz stärken.

Haben Sie ähnliche Vorfälle bei Ihnen in der damaligen aktiven Zeit als Lehrer erlebt?
Welche Konsequenzen haben Sie oder Ihre Kollegen nach solchen Zwischenfällen gezogen?
Wie reagierten die SuS darauf?

Hallo Matzze
Disziplinarisch ist es sicher eine Herausforderung, nur für den Sportunterricht verantwortlich zu sein und die SuS in keinem weiteren Fach begleiten zu können. Somit ist es auch schwierig, in den wenigen Lektionen einen grossen Einfluss auf das Klassenklima zu nehmen. Umso wichtiger wird da die Zusammenarbeit mit der Klassenlehrperson!

Was ich aus Ihren Schilderungen nicht entnehmen kann ist, ob der Vorfall einmalig war, oder ob Sie mit dieser Klasse immer wieder mit schwierigen Situationen kämpfen müssen. Je nachdem besteht mehr oder weniger Handlungsbedarf.
Ob ein Klärungsgespräch mit Klassenlehrperson und den Eltern keine Wirkung auf die übrigen SuS zeigen würde, weiss ich nicht, es wäre sicher ein Versuch wert. Falls die Klassenlehrperson das Aggressionspotential der Klasse gleich einschätzt wie Sie, wäre sicher eine Klassenintervention, die fächerübergreifend aufgegleist werden sollte, sinnvoll.

Dass sich Kinder den Anweisungen von Lehrpersonen widersetzen passiert immer wieder, auch bei den besten Lehrpersonen. Kinder sind nicht dressierbare Wesen, sie reagieren eigenständig, basierend auf vielen biografischen Erfahrungen, die wir nicht kennen können. Die Frage bleibt, wie die Lehrperson darauf reagiert. Und das hängt wieder davon ab, ob dieses Verhalten ein einmaliges war, oder ob das Kind sich immer wieder entzieht. So könnte tatsächlich bei einem einmaligen Vorfall ein Gespräch genügen, vielleicht aber braucht es eine breite Intervention, um dieses Muster verändern zu können.

Als Lehrer war mir die Beziehung untereinander, sowohl SuS zu SuS und SuS zu Lehrperson, das wichtigste Gut. So habe ich mit jeder Oberstufenklasse präventiv an den Themen Gewalt, Rollen und Umgang miteinander gearbeitet. Wenn dann doch schwierige Begegnungen passiert sind, haben Gespräche mit den betroffenen SuS gereicht.
Meine letzten zwei Unterrichtsjahre habe ich an einer Kleinklasse erlebt. Dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass nur ein gemeinsames Vorgehen innerhalb des Klassenteams hilft, Änderungen im Verhalten der Kinder zu erreichen. Auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Betroffenheit erlebte ich als ein wichtiger Gelingensfaktor. Oft war es auch zwingend wichtig, dass die Eltern mit in diesen Prozess einbezogen wurden. Manchmal haben wir damit grosse Erfolge feiern können, manchmal blieb trotz grossem Aufwand wenig hängen. Immer aber hatte ich das Gefühl, dass es sich lohnt, sich für eine Veränderung der Situation einzusetzen.

Ich wünsche Ihnen ein gewinnbringendes Anpacken der Situation und ein gutes Gelingen darin!

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar