Happy Slapping

Hallo zusammen,

ich denke jeder hat den Begriff „Happy Slapping“ schon einmal gehört und weiß, was sich dahinter verbirgt.
Ich benötige Ratschläge, wenn jemand Erfahrung an der eigenen Schule (Primar- oder Sekundarschule) damit gemacht hat, wie in der speziellen Situation damit umgegangen wird.

In meinem Fall sind zwei Schüler auf den Toiletten aneinandergeraten und wurden von Mitschülern, die sich dort ebenfalls aufhielten, angestachelt, aufeinander loszugehen und sich zu schlagen. Dabei fingen zwei Mitschüler an ihre Smartphones herauszuholen und die Schlägerei auch zu filmen und/oder Fotos zu machen.

Weil ich gerade Aufsicht hatte, wurde ich auf die Auseinandersetzung beim Betreten des Örtchens aufmerksam und musste zunächst die Schlägerei auflösen. Als ich die Handys wahrnahm, welche die anderen Jungen soeben wegstecken wollten, forderte ich sie auf, mir diese zu übergeben, da sie sich mit dem gefilmten Material strafbar gemacht haben.
Sie weigerten sich zunächst konsequent, so dass ich ihnen androhen musste, dass ich mich um eine sofortige Suspendierung für beide kümmern würde, wenn sie mir nicht umgehend ins Büro der Schulleiterin folgen würden, was sie dann auch taten.

Nachdem ich sie dort abgegeben hatte, konnte die Kollegin mit entsprechendem Druck erreichen, dass die Jungs ihre Aufnahmen löschten, ohne, dass weitere Konsequenzen bis auf einen Klassenbucheintrag erfolgten.

Einen abgestimmten Handlungsablauf dazu gibt es an unserer Schule nicht, das Thema soll in der nächsten Konferenz jedoch aufgegriffen werden.
Ich habe mich in der Situation überhaupt nicht vorbereitet und sicher gefühlt, da meine Reaktionen spontan erfolgten und ich überhaupt nicht wusste, in wie weit und welche Konsequenzen ich den Beteiligten androhen durfte.

Daher meine Fragen an Euch/Sie:

  • Wie geht man in der konkreten Situation damit um, wenn man als Aufsicht zu einer Situation stößt, in der Auseinandersetzungen von Mitschülern mit ihren Smartphones aufgezeichnet werden?

  • Bin ich berechtigt, den beteiligten SuS die Smartphones abzunehmen oder ggf. zu verlangen, mir das aufgenommene Bild und Videomaterial zu zeigen und in meiner Anwesenheit zu löschen?

  • Wie reagiert man bei Widerstand der betroffenen SuS? Welche Konsequenzen sind durchsetzungsfähig?

Über eine Antwort zu Euren/Ihren Erfahrungen wäre ich dankbar!
Ich unterrichte an einer Oberstufenschule und die beteiligten Schüler sind im Alter von 11 und 12 Jahren.

Mit freundlichem Gruß

Lieber Matzze

Besten Dank für die Frage, die bei uns angekommen ist und intern zugewiesen wurde. Bis zur Antwort dauert es noch. Merci für die Geduld.

Freundliche Grüsse von der Redaktion

Lieber Matzze

Durch eine ganze Reihe unterschiedlicher Straftatbestände werden jeweils bestimmte Aspekte des sog. Happy Slapping unter Strafe gestellt. Beschränkt auf den von Dir geschilderten Sachverhalt, könnte sich der Schüler, der physisch gegen das Opfer vorgegangen ist, – je nach konkreter Vorgehensweise – beispielsweise wegen Tätlichkeiten (Art. 126 StGB) oder einfacher bzw. schwerer Körperverletzung (Art. 123 und 122 StGB) strafbar gemacht haben. Bei Tätlichkeiten und einfacher Körperverletzung handelt es sich um sog. Antragsdelikte, welche in der Regel nur auf Antrag des Opfers (bzw. dessen Erziehungsberechtigten) strafrechtlich verfolgt werden. Hingegen könnten sich diejenigen Schüler, welche die Gewalthandlung aufgezeichnet haben, – je nach den konkreten Umständen – beispielsweise wegen Produktion, Besitz und Weitergabe von Gewaltdarstellungen (Art. 135 StGB) strafbar gemacht haben. Diesbezüglich gilt es jedoch zu beachten, dass es sich nach dem Gesetzeswortlaut insbesondere um «grausame» Gewalttätigkeiten handeln muss, die wegen ihrer Intensität, Dauer oder Wiederholung als besonders schwer erscheinen. Erfasst werden hier letztlich also eher nur Extremfälle. Ohne besondere Anhaltspunkte würde ich die Erfüllung des Straftatbestandes von Art. 135 StGB daher vorliegend tendenziell verneinen. Soweit mal eine grobe Übersicht zur Strafbarkeit. Allfällige Besonderheiten des Jugendstrafrechts vorbehalten.

Generell gilt, dass Lehrpersonen und die Schulleitung gesetzlich ermächtigt sind, gegenüber fehlbaren Schülerinnen und Schülern diejenigen Massnahmen zu ergreifen, die zur Aufrechterhaltung des geordneten Schulbetriebs nötig sind (Art. 28 Abs. 2 VSG). Je nach Beurteilung des konkreten Sachverhalts sind aus rechtlicher Sicht verschiedene Vorgehensweisen denkbar: Vielleicht lässt sich ein Vorfall bereits in einem Gespräch mit der Schülerin oder dem Schüler bzw. den Erziehungsberechtigten klären. Eine vorübergehende Wegnahme des Smartphones zu diesem Zweck ist zulässig. Spätestens am Ende des Schultages müsste dieses jedoch wieder zurückgegeben werden; nötigenfalls mit Abholung durch die Erziehungsberechtigten. Sollte gar ein begründeter Verdacht auf eine strafbare Handlung mit dem Smartphone bestehen, wäre eine Wegnahme zur Beweissicherung ebenfalls zulässig. Allerdings müsste in so gravierenden Fällen dann eigentlich umgehend die Polizei (und die Erziehungsberechtigten) beigezogen werden – mit allen damit verbundenen möglichen Konsequenzen für die Beteiligten wie polizeiliche Ermittlung, Strafverfahren und Strafe. Die Abwägung, ob Anzeige zu erstatten ist, wird in der Regel durch die Schulleitung erfolgen und sollte verhältnismässig sein. Zu beachten gilt es in diesem Zusammenhang auch, dass Lehrpersonen und die Schulleitung dazu berechtigt, aber keineswegs verpflichtet sind, Anzeige zu erstatten, wenn es dem Kindeswohl zuwiderläuft (Art. 61a VSG).

Weiter können Lehrpersonen von den fehlbaren Schülerinnen und Schülern zwar durchaus verlangen, dass sie das fragliche Bild- oder Videomaterial vorzeigen und in ihrer Anwesenheit löschen. Sollten sie jedoch nicht kooperativ sein, wäre meiner Ansicht nach wohl die Benachrichtigung der Erziehungsberechtigten zu empfehlen. Nicht erlaubt ist es, das Smartphone, welches im Eigentum der Schülerin oder des Schülers bzw. der Erziehungsberechtigten liegt, selbständig zu durchsuchen. Was darauf gespeichert ist, ist grundsätzlich privat. Das Durchsuchen ist den Erziehungsberechtigten oder – falls nötig – der Polizei zu überlassen.

Liebe Grüsse, der schlaue Bison

Lieber Matzze

Ich erlaube mir, als Ergänzung zu den spannenden rechtlichen Fakten, eine pädagogische Antwort auf dein herausforderndes Erlebnis:

Ich finde super, dass du in der Situation Zivilcourage bewiesen und hingeschaut hast. Das ist zwar kein bequemer Weg, aber ganz sicher der richtige. Dass du dich in der Intervention nicht vorbereitet und unsicher gefühlt hast, ist völlig normal und verständlich. Alles was du schilderst, hast du in meinen Augen gut und in der richtigen Reihenfolge gemacht.
Hilfreich ist, wenn du dir ein paar wichtige Prinzipien für schwierige Interventionen bereit hältst bzw. bei dir programmierst.

Folgende Verhaltensweisen sind besonders wirkungsvoll:

  • Ich spreche ruhig und klar, ich schreie nicht.
  • Meine Wortwahl ist und bleibt respektvoll.
  • Ich stehe mit beiden Beinen auf dem Boden (statt «herumtigern»)
  • Ich achte darauf, dass ich die physische Distanz von mindestens 1 m zu allen Beteiligten einhalte.
  • Ich berühre die Kinder nur notfalls (z.B. Hand auf die Schulter legen), zupacken liegt in keinem Fall drin.
  • Ich sage klar und unmissverständlich was ich genau will (z.B. «hört sofort auf», «gebt mir eure Handys», «kommt bitte mit mir»).
  • Ich wiederhole mich wenn nötig in den Worten, nicht aber in meiner Gestik.

Dass du am Ende eine Drohung ausgesprochen hast, ist durchaus ok. Dank «SchlauerBison» wissen wir nun, dass du das Recht hast, die Handys einzuziehen. Dies gibt dir nun noch mehr Sicherheit. Stark, dass du dich schon ohne dieses Wissen durchgesetzt hast.

Entscheidend ist nach der Krisen-Intervention nun die Ebene der Problemlösung. Richtig, dass du mit den Kindern ins Büro der Schulleitung gegangen bist. Auch da hast du dich korrekterweise durchgesetzt.

Hier nun noch ein paar Überlegungen zu diesem Gespräch mit den Lernenden:

  • Es macht Sinn, eine zweite Person (z.B. Schulleitung) zum Gespräch dazu zu nehmen.
  • Du oder noch besser die Schulleitung führt das Gespräch und bestimmt, wer wann spricht.
  • Du bleibst auch in dieser Situation ruhig, anständig und sorgfältig im Umgang.
  • Den «Tätern» wird sachlich erläutert, dass sie sich mit ihrem Verhalten strafbar machen und sie angezeigt werden können. Das «Opfer» darf sich äussern, ob es zur Polizei will. (Im Normalfall ist es erstrebenswert, die Polizei nicht einzubeziehen. Das Opfer darf sich auch Bedenkzeit nehmen.)
  • Falls keine Anzeige erfolgen soll, fordere ich unmissverständlich ein, dass das entstandene Bild-Material hier und jetzt vor unseren Augen restlos gelöscht wird.
  • Die Erziehungsberechtigten von «Tätern» und «Opfer» müssen zwingend telefonisch über den Vorfall informiert werden. Wichtig ist m.E. dabei, dass du deeskalierend kommunizierst (d. h. den Vorfall sachlich beschreiben, klar sein, nicht dramatisieren, nicht beschuldigend argumentieren).

Fazit: Dein Verhalten in der Intervention und in der Problemlösung hat einen sehr grossen Einfluss darauf, ob die Situation weiter eskaliert oder sich rasch auflöst.

Freundliche Grüsse
Benno

Hallo SchlauerBison,

ich bin beeindruckt von Ihrer ausführlichen juristischen Antwort! Wenn ich mir den ein oder anderen Straftatbestand merken und in einer zukünftigen Situation (wenn es dazu kommt) anbringen kann, fühle ich mich schon mal sicherer was für Vergehen ich da gerade gesehen habe und es hat, denke ich auch, eine andere Wirkung auf die SuS wenn man konkrete Vergehen aufzählen kann, die sie mit ihrem Smartphone begangen haben. Besten Dank für Ihre Mühe!

Hallo Benno,

vielen Dank für deine bestärkenden Worte zu meinem Handeln in der Situation. Es ist schön zu wissen, dass Kollegen es eventuell ähnlich gemacht hätten und ich mir keine totalen Fauxpas geleistet habe. Trotzdem war es in dieser Situation angenehm noch eine Vorgesetzte über mir zu haben, der ich die Situation anvertrauen konnte und die letztendlich die Entscheidung über die Konsequenzen festlegen musste.

An deinem Tipp in diesen Situationen ruhig zu bleiben muss ich noch arbeiten. Ich kann meine Emotionen (Wut und Ärger über das Verhalten) in solchen Situationen oftmals schwer unterdrücken, versuche es aber natürlich bestmöglich. Wie du schon meintest, ist es gerade auch bei Einbeziehung der Erziehungsberechtigten von zwei Streitparteien wichtig neutral zu argumentieren und auch in der Konfliktaufarbeitung mit Schülerinnen und Schülern ist Neutralität ganz wichtig, egal wie sich der Anfang eines Konflikts zugetragen hat.

Noch zum Fall: Die Schule sowie auch die Schüler, die sich geschlagen haben, haben auf eine Anzeige gegen die Handyfilmer verzichtet. Die Erziehungsberechtigten wurden von den jeweiligen Klassenlehrern über den Vorfall unterrichtet.

Viele Grüße
Matzze

Als Ergänzung zum Thema „Happy Slapping“ möchten wir auf den folgenden Artikel im Bund vom 22. März 2019 hinweisen.
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Freundliche Grüsse
Die Redaktion