Verdecktes Mobbing

Liebes Forum

Ich habe im August eine 4.Klasse übernommen, in der vor den Sommerferien ein massiver Mobbingfall entdeckt wurde.
Einige Schüler der Klasse haben einen Mitschüler über lange Zeit hinweg verdeckt stark psychisch und physisch angegriffen (Sachen weggenommen, ausgelacht, auf dem Schulweg abgepasst und verprügelt, Besitztümer zerstört, etc.).
Dieselben Schüler waren aber in der Schule „Kumpels“ des Opfers, haben sogar regelmässig bei ihm zuhause mit ihm abgemacht.
Der betroffene Schüler hat nie etwas gesagt - weder gegenüber der damaligen Klassenlehrperson noch zuhause.
Das Ganze wurde von einem Kind aufgedeckt, das das Opfer kannte und seine Beobachtungen seiner Mutter erzählte, welche daraufhin mit der Mutter des Opfers Kontakt aufgenommen hat.
Das Mobbing wurde daraufhin von der Klassenlehrperson mit den Tätern, deren Eltern und dem Opfer thematisiert.

Seit ich die Klasse übernommen habe, beobachte ich ganz genau, wie sich die in dem Fall Beteiligten verhalten, doch es ist mir nie etwas aufgefallen. Der Junge ist vordergründig wieder/immer noch mit den anderen „befreundet“ und verbringt viel Zeit mit ihnen - wie die Mutter sagt, auch in der Freizeit.
Ich spreche ihn von Zeit zu Zeit darauf an, wie es ihm gehe und ob noch einmal etwas vorgefallen sei.
Er öffnet sich mir gegenüber aber gar nicht, sagt es gehe ihm gut und er fühle sich nun wohler in der Klasse.
Den Eltern gegenüber ist er genauso verschlossen.
Ich habe jedoch in letzter Zeit den Eindruck, dass er unglücklich wirkt, zudem hatte er mehrmals undefinierbare Bauchschmerzen, deren Ursache auch bei einem Krankenhausbesuch nicht geklärt werden konnten.
Die Mutter berichtet, er sei zuhause vermehrt aggressiv und würde nun sogar einen anderen Schulweg gehen als sonst.

Ich habe den starken Verdacht, dass das Mobbing in irgendeiner Form wieder auftritt, bin aber sehr ratlos, wie ich es herausfinden soll und wie ich damit umgehen soll.
Da der Junge mit niemandem darüber spricht, sind uns die Hände gebunden.

Wer hat Erfahrungen mit einem ähnlichen verdeckten Mobbingfall und kennt mögliche Strategien?

Ich bin dankbar für Lösungsvorschläge und Erfahrungsberichte.

Guten Tag Mirjme

Mobbing ist ernst zu nehmen und aus Ihren Zeilen lese ich, dass Sie achtsam und aufmerksam beobachten, wie es Ihren Schülerinnen und Schülern geht. Gut, dass Sie mit den Eltern im Gespräch sind und nachfragen.
Sie schreiben, dass das Thema mit den beteiligten Schülern und Eltern vor den Sommerferien thematisiert wurde.
Aus Ihren Zeilen geht nicht hervor, ob zum Thema Mobbing auch mit der Klasse gearbeitet wurde.

Da stellen sich wichtige Fragen, welche für eine Weiterarbeit bedeutend sind:

Wie ist die damalige Klassenlehrperson vorgegangen?
Wurden Abmachungen mit den beteiligten Schülerinnen und Schülern vereinbart?
Wurde eine Heilpädagogin oder die allenfalls die Schulsozialarbeit für die Gespräche beigezogen?
War die Schulleitung involviert?

Ich fände es sehr wichtig, dort anzuknüpfen und weiter zu arbeiten.
Vielleicht können Sie dazu noch etwas schreiben oder in Erfahrung bringen?

Weiter bleiben meine Überlegungen auch am Jungen und seinem Verhalten hängen.
Er kennt Sie erst wenige Wochen, es braucht Zeit, um Vertrauen aufzubauen und sich zu öffnen. Bei ihm von Zeit zu Zeit „anklopfen“ und nachfragen ist wichtig und kann diesen Prozess unterstützen.
Dies können Sie verstärken, indem Sie auch gegenüber der Klasse benennen und zeigen, dass es Ihnen um das Wohlergehen aller geht.

Freundliche Grüsse

Niesen

Liebe mirjme

Als Lehrperson hast du die Möglichkeit, dich direkt beraten zu lassen, damit das weitere Vorgehen in diesem vermutlich komplexen und viel Leid verursachenden Fall gut abgesprochen, geplant und durchgeführt werden kann.

Das Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern bietet Beratungen an (im Zeitraum von 12 Monaten sind max. 6 Stunden kostenlos). Du kannst dich direkt an eine Beratungsperson wenden oder dich beim zuständigen Bereichsleiter, Urs Gfeller, melden (urs.gfeller@phbern.ch oder Tel. 079 644 44 31).

Freundliche Grüsse

Guten Tag Niesen

Danke für die Antwort.
Zu den gestellten Fragen:

Wie ist die damalige Klassenlehrperson vorgegangen?

→ Die Klassenlehrperson hat sofort mit allen Eltern der Beteiligten Kontakt aufgenommen und sie informiert. Des Weiteren hat sie die Situation im Klassenrat zum Thema gemacht. Schulsozialarbeit haben wir keine und die Heilpädagogin der Klasse wurde nicht beigezogen, nur informiert.
Da das Ganze sehr kurz vor den Sommerferien passiert ist, hatte die Lehrperson auch nicht viel Zeit.
Die mobbenden Jungen mussten in einem Brief beschreiben, was genau sie gemacht haben, was der betroffene Junge evtl. gemacht hat und was sie über ihr Verhalten denken. In diesen Briefen haben sich alle Jungen entschuldigt, ein paar ehrlicher als andere.

Wurden Abmachungen mit den beteiligten Schülerinnen und Schülern vereinbart?

→ Ist mir leider nicht bekannt, Abmachungen sind auch nicht in den Akten ersichtlich. Der Vorfall selbst ist aber in der jeweiligen Schülerakte vermerkt worden.

Wurde eine Heilpädagogin oder die allenfalls die Schulsozialarbeit für die Gespräche beigezogen?

–>Nein.

War die Schulleitung involviert?

→ Die Schulleitung wurde informiert.

Ich werde das Ganze nun weiterhin im Blick behalten.
Es beruhigt mich etwas, dass Sie es normal finden, dass der betroffene Junge sich mir gegenüber nicht öffnet, da er mich noch nicht so gut kennt. Ich werde einfach versuchen, ihm zumindest in der Schule ein sicheres Gefühl zu geben und ein offenes Ohr zu haben für ausgesprochene und unausgesprochene Hilferufe.

Vielen Dank für Ihre Hilfe!

mirjme