Impulsives und manipulatives Verhalten

Liebes Forum

Ich bin Berufseinsteigerin habe im Sommer eine 3./4. Klasse übernommen. Bei der Übergabe wurde mir über einen Jungen gesagt, dass er der Anführer der Jungengruppe sei, er regelmässig verbale und physische Gewalt gegenüber anderen Kindern ausübt und im Unterricht oft stört.

Die physische Gewalt war bis jetzt nicht in dem Ausmass ein Problem wie noch im letzten Schuljahr. Es kommt jedoch häufig vor, das Kinder von ihm beleidigt oder geschubst werden. Im Unterricht kommentiert er laut mit, steht oft auf, hat sein Material nicht dabei und leiht dies bei anderen aus und arbeitet ungenau (v.A. Schrift). Zu Hause scheint es nicht einfach zu sein. Mit der Mutter habe ich regelmässigen Kontakt. Eine Beratung der Familie durch die EB läuft auch seit Beginn des Schuljahres.

Am Meisten Sorge macht mir jedoch, dass bei den Elterngesprächen immer mehr Informationen darüber zusammen gekommen sind, wie viel „Macht“ er auf die anderen Knaben der Klasse ausübt. In der Garderobe, dem Heimweg oder in der Freizeit spricht er Drohungen aus und stiftet andere zu Taten an. So darf z.B. einer seiner Freunde nicht mit einem Knaben der 3. Klasse abmachen. Er hat diesen auch schon derart gegen den Knaben der 3. Klasse angestiftet, dass dieser nicht mehr zur Schule kommen wollte.

Ich vermute, dass ein Teil des Verhaltens davon kommt, dass sein Selbstwert nicht gefestigt ist und er diesen durch sein Verhalten, welches ihn in diese „Alpha-Situation“ bringt, kompensiert. Kritik (von Eltern, Trainer, einer schlechten Note) nimmt er sehr persönlich und es betrifft ihn sehr. Andererseits vermuten wir ein AdHS (Unterrichtsstörungen, Schwierigkeiten bei Impulskontrolle), die Eltern sind jedoch momentan noch nicht bereit, dies weiter abzuklären.

Leider haben wir an unserer Schule keine Sozialarbeit, sonst hätte ich diese bereits am Start des Schuljahres eingespannt. Da ich bezüglich den „Intrigen“ welche laufen grossen Handlungsbedarf sehe, möchte ich als Lehrperson gerne etwas dafür bzw. dagegen tun. Einerseits möchte ich den Knaben stärken, aber auch die Klasse. Ich habe diesbezüglich bereits mit der EB telefoniert und mich mit dem Kollegium ausgetauscht. Bis jetzt konnte ich aber noch keinen konkreten „Handlungsplan“ entwickeln. Ich wäre deshalb dankbar hier Erfahrungsberichte, Handlungsmöglichkeiten, Lehrmittel- oder Projekttipps zu erhalten.

Was ich bis jetzt unternommen habe:

  • Tagesrückmeldungen zu einem Wochenziel mit dem Knaben (über 16 Wochen)
  • Der Knabe hat ein Tagebuch, für das er täglich Zeit bekommt. Er sucht sich passend zum Tag jeweils ein Gefühlsmonster (Gefühlsmonsterkarten) aus. Wir lesen nicht, was er schreibt. Er darf es aber erzählen.
  • Seit dieser Woche gelten für ihn und seine "linke und „rechte“ Hand weniger Freiheiten (kein Arbeiten im Gang, mehr Einzelarbeit), weil sie diese auch nach vielen Gesprächen und Ermahnungen immerzu ausgenutzt haben.

Vielen Dank bereits jetzt!

Hallo, ich habe deine Information gelesen, kann jetzt nicht so konkret eine Antwort geben, habe aber ein gutes Buch zu empfehlen. Es heisst: „Wenn Kinder aus der Reihe tanzen“ von Kurt Albermann. Vielleicht kannst du da auch gute Tips erhalten.

Liebe Regula
Merci für den Tipp, ich werde es mir in den Ferien anschauen!

Liebe m-holle

Als Berufseinsteigerin werden Sie mit einer hochkomplexen Situation konfrontiert, die auch für erfahrene Lehrpersonen eine Herausforderung ist.
Sie beobachten, analysieren und schildern die Verhaltensweisen umfassend und beschreiben anschaulich, was Se alles schon unternommen haben und welche (Teil)Erfolge Sie erzielt haben. Die Tatsache, dass die physische Gewalt bis jetzt nicht in dem Ausmass ein Problem wie noch im letzten Schuljahr sei, spricht für Sie und Ihre Interventionen. Sie haben m.E. einen Plan und machen es gut. Der Knabe verhält sich besser als früher. Seine Anstrengungen und die positiven Kräfte sichtbar zu machen, zu verstärken und bewusst zu nutzen, ist sicher hilfreich und gewinnbringend.

Ich finde es wichtig, dass Sie die Aussagen aus den Elterngesprächen ernst nehmen und einen Weg suchen, das manipulative Verhalten zu unterbinden.
Ich empfehle Ihnen, Ihr komplexes Anliegen in einer personzentrierten Beratung zu vertiefen. So können Sie zusammen mit der Beratungsperson auf die Situation abgestimmte Interventionen planen und evaluieren.
Es könnten da folgende Konzepte zur Sprache kommen:

Neue Autorität. Haim Omer spricht unter dem Titel «Wachsame Sorge» von Selbstbeherrschung (souverän bleiben), Präsenz (in Beziehung bleiben), Unterstützung holen (wir), Beharrlichkeit (Hartnäckigkeit statt Härte) und einer sachlichen Ankündigung (wir haben beschlossen in Liebe Widerstand zu leisten).
https://youtu.be/Tr394P9ZOMk ab 1.20 Min.

Ich schaff’s! Cool ans Ziel. Ben Furman hat basierend auf dem lösungsorientierten Ansatz ein Konzept entwickelt, das in 15 Schritten zum jeweiligen Ziel führen kann. Diese Schritte sind in einem Hand- und Trainingsbuch sehr gut dokumentiert.
https://www.ichschaffs.de/
https://youtu.be/QhvY-W1gRGU

No blame approach. In diesem Konzept wird ein Teil der Klasse zu einer wichtigen unterstützenden Gruppe und übernimmt Mitverantwortung.
https://youtu.be/rOi0H_cJM3Y

Wenn Sie im Kanton Bern unterrichten, können Sie sich direkt beim Verantwortlichen für den Berufseinstieg (079 511 94 96) oder bei allen anderen Beratungspersonen melden.
https://www.phbern.ch/dienstleistungen/beratung/beratung-fuer-lehrpersonen/personzentrierte-beratung

Sie haben auch die Möglichkeit, eine der Praxisbegleitgruppen für Berufseinsteigende zu besuchen. Ein Austausch unter Gleichgesinnten und Mitbetroffenen tut gut, inspiriert und belebt. Der Beitritt ist jederzeit möglich.
https://www.phbern.ch/weiterbildung/16227745-praxisbegleitung-fuer-berufseinsteigende-34-klasse

Sicher hilft Ihnen in der Zwischenzeit immer wieder den Fokus auf das Gelingende zu lenken (WOWW - Work on what works).
https://do-bewegt.ch/sites/default/files/Working%20on%20what%20Works%20Dossier.pdf
Positive Ausnahmen im Verhalten deuten auf Lösungsmöglichkeiten hin und die Vermehrung des (vorhandenen) Guten ist einfacher und motivierender als der anspruchsvolle Aufbau eines neuen Verhaltens.

Ich wünsche Ihnen viel Zuversicht und gutes Gelingen
mars

Liebe*r Mars

Nun bin ich endlich dazu gekommen mich in die Materialien einzulesen und zu schauen. Ich danke an dieser Stelle sehr herzlich für die tollen Inputs! Die Modelle helfen mir sehr, eine Struktur in die Sache zu bringen. Zudem habe ich auch gemerkt, dass ich vieles bereits im Unterricht anwende und jetzt auch bewusst weiter machen werde.

Von den beiden vorgeschlagenen Angeboten (personzentrierte Beratung und Praxisbegleitgruppe) mache ich bereits seit einer Weile Gebrauch. Dort konnte ich die Thematik auch besprechen.

Ich habe jetzt einen Koffer voll mit Tools und muss mir noch überlegen, wie ich diese im richtigen Mass einsetze. Egal wies rauskommt, ich werde sicher jede Menge dazu lernen.

Lieber Gruss
m_holle