Ich fühle mich mit meiner Klasse überfordert und von der Schulleitung alleine gelassen. Von den 24 Schülern sind nur 4 Schweizer. Zwei davon werden vom städtischen Sozialdienst betreut. Von den Fremdsprachigen brauchen viele Einzelunterstützung. Neben all dieser Betreuungsarbeit komme ich kaum mehr zum normalen Unterrichten. Oft bin ich noch abends um 10 Uhr im Schulzimmer, schreibe Berichte an die EB, erarbeite individuelle Aufträge für die Schüler oder korrigiere Berge von Arbeiten. So kann ich nicht mehr lange weiterfahren und ich habe Angst, dass ich in eine Krankschreibung rutsche. Das möchte ich auf keinen Fall. Was kann ich tun, damit mir das nicht passiert?
Hallo Du. Das kommt mir doch bekannt vor. Es geht offenbar nicht nur Dir so. Mit dem neuen Integrations"wahn" kommen immer mehr und immer schwierigere Aufgaben auf uns Lehrkräfte zu. So kann das bestimmt nicht weitergehen! So hätte es gar nicht erst anfangen sollen! Dafür, dass Du Dich damit kaputtmachst, bist Du nicht Lehrkraft geworden.
Man bangt allenthalben darum, dass es immer weniger Lehrkräfte gibt. Und dann werden auch noch diejenigen vertrieben, die gut, engagiert und motiviert wären, indem sie eben in ein Burnout rutschen und/oder andere Krankheiten.
Nein, so geht das wirklich nicht. Und ich denke, wir müssen uns alle rechtzeitig wehren!
Das kann ja nicht sein, dass wir bis in alle Nacht hinein Vor.- und Nacharbeiten machen, nur weil wir tagsüber gar nicht zum eigentlichen LehrerInnen-Sein kommen!
Ich unterrichte so gern, mag die Jugendlichen wirklich sehr und will mich auch für sie engagieren. Es ist sehr wichtig, dass sie gut durch die Schulzeit begleitet werden. Aber so geht das auf jeden Fall nicht!
Wenn Du von der Schulleitung keine Unterstützung bekommst, versuch doch, Dich andernorts zu informieren, welche Rechte und Möglichkeiten Du da hättest. Vielleicht läuft es auch auf einen Arbeitsort-Wechsel hinaus? Eine andere Schule? Ich wünsche Dir viel Kraft und Energie, damit Du weiterhin eine aufgestellte, motivierte gute Lehrkraft bleiben kannst!
girasole
Liebe Forumbenutzerin, lieber Forumbenutzer
Sie beschreiben eine herausfordernde Situation, in der sich viele Lehrpersonen befinden (siehe auch die erste Antwort von girasole). Wie dieser Situation begegnet werden kann, ist oft Thema in der Beratung. Aus meiner Sicht ist es ein Zeichen der Professionalität, dass Sie diese Frage nicht mehr alleine beantwortet haben wollen. Ob ich Ihnen allerdings eine befriedigende Antwort geben kann, weiss ich nicht. Gerne schreibe ich einige Impulse auf, in der Hoffnung, dass der eine oder andere bei Ihnen eine Erleichterung bringen wird.
Grundsätzlich ist es wichtig, die Schulleitung frühzeitig einzubeziehen. Es ist ihre Aufgabe, die Lehrpersonen mit allen möglichen Mitteln zu unterstützen. Dabei denke ich auch an die Verteilung der IF-Lektionen, an die Unterstützung durch die Schulsozialarbeit oder durch das Ermöglichen von Zusatzlektionen für allfälliges Teamteaching oder für Halbklassenunterricht. Vielleicht lohnt es sich, Ihre Schulleitung noch einmal auf Ihre Situation aufmerksam zu machen.
Manchmal ist es auch hilfreich, die eigenen Anforderungen zu überprüfen. Was muss ich tatsächlich in der Rolle als Lehrperson tun? Wie hoch setze ich die stofflichen Ziele, wie hoch die sozialen? Wem könnte ich welche Aufgabe oder Verantwortung übergeben? Wie gehe ich selber mit der Diskrepanz des Bedarfs der Kinder und den eigenen Ressourcen um? Kann ich aushalten, dass so viel an Individualisierung und Unterstützung nötig wäre, ich selber aber die Kapazität dazu nicht habe?
Falls die Zerreisprobe zu gross wird und keine Unterstützung in Sicht ist, muss auch die letzte Frage gestellt werden: Bin ich am richtigen Ort oder muss ich eine neue Stelle suchen?
In diesem Sinne gilt es, sich in solch schwierigen Situationen drei Fragen zu stellen:
- Finde ich Sinn in dieser Herausforderung und kann sie bewusst annehmen?
- Kann ich die Situation so verändern, dass sie für mich bewältigbar und sinnstiftend wird?
- Ist es besser für mich, diese Stelle zu verlassen?
Nun hoffe ich, dass ich Ihnen einige Anregungen habe geben können. Es würde mich freuen, etwas von Ihnen zu hören. Auch bin ich gespannt, wie andere Lehrpersonen mit diesen Herausforderungen umgehen.
Ihr Kashgar