Überbelastung

Hallo allerseits
Ich bin Studentin des IVP im letzten Semester.
Letzten Sommer habe ich zusammen mit einer Studienkollegin einen Semestereinsatz an einer 1./2. Klasse angetreten, inklusive Klassenlehramt, das wir uns teilten. Der Semestereinsatz war befristet bis Ende Januar. Da die Schulleitung keine Nachfolge für unsere Stelle fand, haben wir uns breitschlagen lassen, bis im Sommer weiterhin an der Klasse zu unterrichten. Da wir beide im aktuellen Semester die Bachelorarbeit schreiben, war unsere Bedingung für die weitere Zusammenarbeit ein reduziertes Pensum und die Abgabe des Klassenlehramtes.
Eine Kollegin hat das Klassenlehramt schlussendlich übernommen. Jedoch fiel diese kurz nach den Sportferien krankheitshalber längerfristig aus. Ihre Unterrichtslektionen wurden mit wechselnden Stellvertretungen abgedeckt, aber die organisatorischen Aufgaben des Klassenlehramtes blieben an uns hängen, wofür wir nie entschädigt wurden. Wir waren beide schwer überlastet und zeigten bereits erste Anzeichen eines Burnouts. Wir haben mit der Schulleitung das Gespräch gesucht und klargestellt, dass wir nicht mehr bereit sind, diesen Mehraufwand zu leisten. Mit unserer Bachelorarbeit kamen wir aufgrund der misslichen Lage so gut wie gar nicht voran. Schlussendlich fand sich eine Stellvertretung, die auch das Klassenlehramt übernahm, was sehr gut klappte und uns wieder etwas entlastete. Jedoch bleibt die Stellvertretung nur bis zu den Frühlingsferien, was bedeutet bis Ende dieser Woche. Was danach geschieht, ist offen.

Ich fürchte mich nun sehr davor, wieder in dieselbe Lage zu kommen wie zuvor, so dass alle Arbeit wiederum an uns hängenbleibt. Ich kann und will diese zusätzliche Arbeit nicht mehr leisten. Nicht zuletzt, da dies die Bedingung unsererseits für das verlängerte Arbeitsverhältnis war aber auch, weil ich es kräftemässig einfach nicht mehr kann. Doch ist mir auch klar, dass es in der aktuellen Situation des Fernunterrichts praktisch unmöglich ist, eine neue Klassenlehrperson einzustellen, die die Kinder nie zuvor gesehen hat. Ich bin verzweifelt und sehe momentan keinen Ausweg aus der Situation. Meine Bachelorarbeit rechtzeitig fertigzustellen habe ich praktisch aufgegeben, was den Start meines Masterstudiums um ein Semester verzögern wird.
Was kann ich tun, um nicht erneut in die totale Überbelastung zu rutschen?

Hallo seamon45

Sie erleben einen sehr schwierigen Start in Ihren neuen Beruf. Eine verworrene Situation, aus der Sie keinen Ausweg sehen und eine Antwort suchen, wie Sie nicht erneut in die totale Überlastung rutschen. Mir sind drei Möglichkeiten in den Sinn gekommen:

  • Krankschreibung
  • Kündigung
  • Weiterarbeit unter den abgemachten Bedingungen

Krankschreibung
Die jetzige Stellvertretungslösung scheint Entlastung gebracht zu haben. Würde diese das Schuljahr mit Ihnen zu Ende führen, wäre dann Ihr Problem gelöst?
Dies frage ich darum, weil ich aus Ihren Zeilen nicht entnehmen kann, wie stark sich gesundheitliche Anzeichen melden. Schlafstörungen, Gedankenkreisen, Ineffizienz, körperliche Schmerzen, sozialer Rückzug, Dünnhäutigkeit, Energielosigkeit… All das sind Anzeichen, die auf eine Erschöpfung hinweisen könnten. Falls Sie merken, dass Sie viele dieser Zeichen kennen, wäre es vielleicht gut, die Notbremse zu ziehen und sich vom Hausarzt krankschreiben zu lassen. Gut, wenn Sie den Mut haben, für sich einzustehen.

Kündigung
Eine zweite Möglichkeit, einen Weg aus dieser unmöglichen Situation zu gehen, hängt mit Ihrem Anstellungsverhältnis zusammen. Wie genau sieht Ihr Vertrag aus? Haben Sie eine befristete Anstellung? Sind die Abmachungen schriftlich festgehalten?
Im gegenseitigen Einvernehmen zwischen der Lehrkraft und der Anstellungsbehörde ist die Auflösung des Anstellungsverhältnisses ohne Rücksicht auf Kündigungsfristen und –termine möglich
Stellvertretungen, die mehr als ein Monat dauern, können im ersten Monat unter Wahrung einer Frist von sieben Tagen von beiden Seiten gekündigt werden. Ab dem zweiten Monat, gilt eine Frist von einem Monat und das Anstellungsverhältnis ist auf das Ende eines Monats zu kündigen. (siehe Merkblatt im Anhang).

Weiterarbeit unter den abgemachten Bedingungen
Eine dritte Möglichkeit: Sie haben ein JA dazu, dass Sie Ihr Masterstudium um ein halbes Jahr verschieben und Ihre Arbeit bis Ende Schuljahr unter den abgemachten Bedingungen durchziehen werden. Die Schulleitung muss für eine neue Lösung für das Führen des Klassenlehreramtes besorgt sein. Sollten Sie erneut gezwungen werden – sei das durch die SL oder von innen durch Ihr Pflichtgefühl -, dann müssten Sie auf die erste Möglichkeit zurückgreifen.
Und zum Schluss noch dies: Im Moment steht den Lehrpersonen eine Helpline der Beratung des Institut für Weiterbildung und Medienbildung jeweils von 9 bis 11 und 15 bis 17 Uhr zur Verfügung: 079 460 83 17.

Ich wünsche Ihnen Klarheit für Ihre Entscheidungen und ein gutes Einstehen für Ihre Gesundheit.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Hallo Kashgar

Vielen Dank für die ausführliche Antwort!

Ich habe mir einige Gedanken dazu gemacht: Die Option der Kündigung oder Krankschreibung würde ich nur sehr ungern nutzen. Es gab an dieser Klasse in den letzten anderthalb Jahren bereits unzählige Wechsel von Lehrpersonen. Die Klasse konnte diese nicht so gut wegstecken und ist dementsprechend „instabil“. Würden wir die Klasse nun kurzfristig verlassen, würden die Kinder wahrscheinlich auf die beiden Parallelklassen aufgeteilt. Dies wäre ein erheblicher Nachteil für die Kinder wie auch für die Lehrpersonen der Parallelklassen. Natürlich wäre dies böse gesagt nicht mehr mein Problem, doch würde es mir sehr schwer fallen, auch wirklich so zu handeln.

Natürlich würde ich eine Weiterarbeit unter den zuvor abgemachten Bedingungen vorziehen. Wir werden nun diese Woche das Gespräch mit der Schulleitung suchen und schauen, ob diese Möglichkeit überhaupt besteht. Sollten diese Gespräche in für uns nicht tragbaren Bedingungen enden, was nicht auszuschliessen ist, muss ich die Möglichkeiten der Kündigung doch in Betracht ziehen. Ansonsten stünde mir wohl eine Krankschreibung bevor, da ich nicht glaube, einer solchen Mehrbelastung erneut standhalten zu können. Dies möchte ich unbedingt vermeiden können.

Mit freundlichen Grüssen
seamon45

Hallo seamon45

Herzlichen Dank für Ihre Antwort, Ihre Gedanken. Aus meiner Erfahrung als Berater ist eine Krankschreibung nie ein leichter Schritt. Wir Menschen wollen funktionieren, wollen die an uns gestellte Aufgabe meistern können. Hat der Mensch noch die Wahl zwischen „arbeiten gehen“ oder „aussteigen“, so wählt er meist das Arbeiten. Sicher sind Ihnen die SL, die Eltern der betroffenen SuS wie auch die SuS dankbar, wenn Sie Ihre Arbeit zu Ende führen. Manchmal ist es aber wichtiger, dass die Selbstfürsorge stärker ist als die Pflichterfüllung.

Nun wünsche ich Ihnen ein gutes Gespräch und vor allem Lösungen, die Ihnen helfen werden, gesund Ihre Arbeit zu Ende zu führen.

Liebe Grüsse
Kashgar

Hallo seamon45

Als Lehrperson, die schon über 25 Jahre unterrichtet, rate ich Ihnen vor allem, nein zu sagen, zu stoppen, Grenzen zu ziehen!
So makaber es klingt, aber schauen Sie nicht auf die Klasse. Für diese wird es irgendeine Lösung geben und die Schulzeit wird weitergehen. Schauen Sie auch nicht auf die Schule, denn auch dort wird sich irgendeine Lösung geben - halt ohne Sie!
Und setzen Sie sich auch wegen dieser Corona-Situation nicht noch zusätzlich unter Druck!
Nehmen Sie stattdessen Ihre Bedenken so ernst wie möglich und schauen Sie auf sich selber und Ihre Ressourcen!

Denn wenn Sie sich beim jetzigen Spagat zwischen Studienabschluss und erstem Klassenlehrerpensum „verheizen“, riskieren Sie, nach all den Jahren Studium den Einstieg ins Berufsleben bleibend zu vermasseln.

Alles Gute!

Liebe Seamon45

Schau für dich! Auch wenn es dir für die Kinder leid tut, oder du deswegen ein ungutes Gefühl hast. Ich bin im 2. Jahr nach dem Studium am IVP und kann mir so gut vorstellen, wie es dir geht.

Schau für dich und kündige bis Ende April.
Stellvertretungen findest du im Handumdrehen. Entscheide dich dann für ein kleines Pensum, ohne KL-Verantwortung.

Du hast so viele, tolle Projekte → Masterstudium. Dafür musst du fit sein.
Ich wünsche dir alles Gute und heb dir Sorg.

Hallo Seamon45

Das tut mir richtig leid, was du da erfahren musst(est).

Ich bin im 4. Jahr ab PH und habe auch gerade eine Situation hinter mir, wo die SL ihre Aufgabe nicht wahrnahm.
Über mehrere Wochen habe ich ihr gesagt, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr schlafe. Es passierte nichts.
Erst als ich ihr sagte, ich komme morgen nicht mehr, wurde gehandelt.

Klar war dies kein schöner Moment, aber was nachher passiert ist, ist super!
Wir hatten ein Gespräch mit Inspektorin, Schulkommission und Schulleitung. Es haben mich alle sooo toll unterstützt und sehr viel Verständnis gezeigt. Auch in Gesprächen mit dem Kollegium wurde mir klar, dass ich eigentlich schon viel zu lange gewartet habe.

Daraus nehme ich mit, dass man meist viel zu lange wartet. Die Überlastungssymptome müssen nicht sein!
Ich verstehe zu 100% dass es sehr viel Mut braucht, zu sagen „ich kann nicht mehr“, aber es ist unglaublich stark!
Stehe zu dir und vor allem SCHAUE zu dir!
Zieh die Notbremse! Eine solche Schulleitung ist dir keine Stütze und so musst du nicht weiterarbeiten!

Klar ist es schlimm für die Kinder, aber es sagt dir niemand danke, wenn du im Sommer einen totalen Zusammenbruch hast. Im Gegenteil, nach einem (fast) Burnout, ist es unglaublich schwierig, wieder zu Energie zu kommen. Lass es nicht soweit kommen!

Mir gefällt die Geschichte von Frosch:
Wenn du einen Frosch in heisses Wasser wirfst, hüpft er sofort raus.
Wenn du einen Frosch in kaltes Wasser wirfst und stetig heisses Wasser zuführst, verpasst er den Moment vom Raushüpfen.
Passt das nicht ziemlich gut zu deiner Situation?

Ich wünsche dir, dass du den Mut findest, wirklich STOPP zu sagen und dazu zu stehen! Im Nachhinein wirst du merken, dass es schon viel früher hätte sein sollen.

Liebe Grüsse und alles Gute!

Hallo Seamon45
Ich kann gut verstehen, dass der Blick auf die Kinder und deren Klassensituation deinen Entscheid beeinflusst. Du hättest wohl nicht diesen Beruf gewählt, ohne ihrer Situation gegenüber empathisch zu sein.

Die Frage des Abschlusses des Studiums ist auch der: Mit einem Diplom kriegst du mehr Lohn. D.h. wenn du deinen Abschluss nach hinten schiebst, hat das für dich Lohneinbussen zur Folge. Die Frage ist: Kann die Schulleitung für euch weibeln, dass ihr bei eurem Engagement und der Rückstellung der Abschlussarbeit trotzdem ab nächstem Schuljahr voll bezahlt würdet? Ich hoffe, die ERZ wird hier Kulanz zeigen mit dem anstehenden LP-Mangel…

Bachelor-Arbeit: Kannst du das Thema ev. so anpassen, dass du diese schriftliche Arbeit in deine aktuelle Anstellung integrieren kannst? Indem ihr eine Sequenz oder Methode plant oder einen Beurteilungsraster entwickelt, den/die ihr in der Klasse anwenden und im Sommer evaluieren könntet? Ich lege meinen Teilzeit-Studierenden immer nahe, die Arbeiten auf ihre Unterrichtspraxis zu beziehen. Dann könnt ihr zeitlich zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen…

Gibt es eine Möglichkeit, dass ihr bei der Administration ausserhalb der Klasse runterfahrt und zB nicht mehr alle Schulsitzungen besuchen müsst? Ich habe meinen Studis folgende Links empfohlen, damit sie ihre zeitlichen Verpflichtungen, aber auch die Rechte ausserhalb des direkten Unterrichts, zB bei Schulprojekten einschätzen können. Im Kanton Bern entspricht gemäss ERZ eine 100%-Anstellung 28 Lektionen bei 39 Arbeitswochen auf der Primarstufe:

  • Bildung Bern (Gewerkschaft): Die Ratgeber „Personaldossier“, „Sitzungen an unterrichtsfreien Tagen“ und „Spesen“

  • Verband Lehrerinnen und Lehrer Solothurn (Gewerkschaft): „Jahres-Arbeitszeit Lehrpersonen“ inkl. Excel-Vorlage mit Beispiel „Zeiterfassung 15%-Bereich“

Könnten ev. auch SOS-Lektionen eingesetzt werden? Indem ihr Hilfe bei sehr zeitintensiven Projekten wie Korrekturen freier Texte in Deutsch erhält?

Wisst ihr, dass euch die Mediothek/Schulwarte bei der Themenrecherche stark hilft und euch Medien zusammen- und bereitstellt?

Ich hoffe, dass euer Unterricht in Zukunft zu euer Zufriedenheit verläuft und ihr erfolgreich abschliessen könnt!