Lehrmittelobligatorien

  • wer ist berechtigt, Lehrmittel auszuwählen? (SL? ERZ? SchuKo? LP?)
  • wie sehr steht die Lehrmittelwahl mit der Methodenfreiheit im Zusammenhang?
  • ist die Gewährleistung der Methodenfreiheit für die SL Pflicht?
  • was geschieht, wenn man ein „verordnetes“ Lehrmittel nicht verwenden möchte?
  • kann eine SL einer LP kündigen, wenn diese ein vorgegebenes Lehrmittel nicht verwendet?
  • wie geht man vor, wenn man mit der Lehrmitteleinschränkung nicht einverstanden ist?

Liebe FrauHolle

Danke für ihre Anfrage. Als Berater für Lehrpersonen lese ich ihr Anliegen mit zwei verschiedenen Augen. Einerseits ist das juristische aktiv, was dazu führt, dass ich im Moment eine Fachperson ausfindig zu machen versuche, die diesen Aspekt wirklich auch fundiert beantworten kann. Ich kann mir vorstellen, dass sie ein wenig Geduld aufbringen müssen, bis diese Antwort aufgeschaltet ist.

Andererseits ist auch mein Beziehungsauge am Lesen. Und dieses löst in mir Hypothesen zu Themen aus, die sich hinter den sachlichen Fragen verstecken könnten.
Zum Beispiel frage ich mich, wie die Beziehung zwischen ihnen und der Schulleitung aussehen könnte. Erleben sie darin Druck und Unverständnis? Fehlende Wertschätzung für das bisher Geleistete?
Oder wie stehen sie zu den als obligatorisch erklärten Lehrmitteln? Sind diese für sie nur schwer umsetzbar oder in der Klassenstruktur aus ihrer Sicht ungeeignet? Oder sehen sie einen riesigen Vorbereitungs-Berg vor ihnen, wenn sie an die Umsetzung denken? Kommt in ihnen Angst auf, dies nicht mehr leisten zu können?
Vielleicht auch die Frage: Wie gingen sie bisher mit Begebenheiten um, die nicht zu ändern sind und die sie in ihrem Berufsalltag beengen?

Viele Fragen also, die vielleicht nichts mit ihrem Hintergrund zu tun haben. Falls doch, so wäre nebst der Erkenntnis aus den hoffentlich bald folgenden juristischen Antworten auch ein Austausch mit einer Beratungsperson oder eine konkretisierende Vertiefungsfrage hier im Forum sinnvoll.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Guten Tag Kashgar

auf die Antwort der Fachperson im juristischen Bereich bin ich gespannt…
Ich versuche auch Ihre anderen Fragen zu beantworten.
Von der SL verspüre ich eigentlich kaum Druck, jedoch sehr viele Instrumente der Kontrolle (Präsenzlisten z.B.) oder andere Momente in denen eine gewisse Machtdemonstration zu spüren ist. Wenn zum Beispiel ein Traktandum mit den Worten: „Zum Folgenden habt ihr nichts dazu zu sagen, sondern es einfach zu akzeptieren. Das ist einfach so… Wurde so bestimmt…“ etc. eingeführt wird und eine eigentliche Argumentation oder Erklärung, Begründung fehlt. Es scheint, dass in vielen Bereichen kein Mitdenken oder Nachfragen erwünscht ist. Veränderungen lösen offenbar Widerstand und Angst aus. Ich überlege immer öfter zwei - oder dreimal: gehe ich damit zur SL? Oder doch lieber nicht? Wie frage ich, dass es auch ankommt? Viele sagen mir: muesch eh nid probiere…
Dies schildert vielleicht in etwa die Beziehung, die da eben ist…
Wertschätzung? Vordergründig immer wieder ja. Einsätze werden schon geschätzt und dies wird auch geäussert. Aber als Fachperson fühle ich mich nicht immer wahrgenommen, wenn meine Meinung oder Erfahrung nicht gefragt ist. Entscheide, die über unsere Köpfe hinweg gefällt werden sind einfach zu schlucken, so kommt’s mir manchmal vor. Auch Entschiede, Reformen, Neuerungen, die von weiter oben kommen…
Zu den Lehrmitteln folgendes: ich habe mit beiden bereits gearbeitet und kann mit dem einen besser als mit dem andern. Mal sind sie mit der einen Klasse besser einzusetzen als mit einer andern. Da kommen ja immer wieder neue Kinder und Voraussetzungen. Die vorgegebenen Strukturen sind fundiert und finden sicherlich vielerorts Anklang. Es geht mir nicht darum, die Qualität dieser Lehrmittel zu kritisieren. Störend finde ich vielmehr, dass es nicht möglich sein soll, selber zu entscheiden, wofür z. B. das viele Geld ausgegeben wird. (Und dann jammert man wieder über fehlende Finanzen.) Ich möchte selber entscheiden, wie ich den Unterricht gestalte und gewichte und hätte Lust, aus meinem Erfahrungsschatz heraus zu unterrichten und auf meine Arbeitsmaterialien zurückgreifen zu dürfen. Mich persönlich dünkt ein Leselehrgang oft eine Einschränkung im Eigenen und eine Flut, die man zuerst eindämmen und kanalisieren muss. Da ist zwar Vieles praktischerweise schon strukturiert und geplant und auch echt gäbig zum umsetzen (also kein Berg von Arbeit, vor dem ich mich fürchte) aber es ist einfach nicht meins. Für Neueinsteiger sicher eine gute Sache. Für mich eher ein Klotz am Bein.
Es fragt sich also (oder ich frage mich immer öfter): wie gehen wir mit Veränderungen um, die uns direkt im Unterricht betreffen, und die uns unseren Beruf immer fremder und enger machen… Ob die von ganz oben oder von der SL kommen spielt keine Rolle. Es ist vielmehr die Fülle von solchen Eingriffen und das daraus resultierende Gefühl von: wann fragt mal einer bei der Basis nach, ob dies oder das genehm und überhaupt umsetzbar ist und Sinn macht.
Aus diesen Fragen heraus und aus der Tatsache, dass wir als Kollegium gemeinsam gerade mit der Frage der Lehrmittelwahlfreiheit konkret beschäftigt sind, habe ich Rat (Beratung) bie z.B. Ihnen gesucht.
Ich danke Ihnen für Ihre Mithilfe.
Gruss
FrauHolle

Guten Tag FrauHolle

Mein „Laut-Denken“ hat eine spannende Antwort bei Ihnen ausgelöst. Herzlichen Dank für Ihre Gedanken, Fragen und Ausführungen. Mit Vielem treffen Sie Bereiche, mit denen wir in der Beratung oft konfrontiert sind! Sie sind definitiv nicht alleine mit dem, was Sie im Moment bewegt.

Da ist einmal das Thema „Schulleitung und Führung“. Jede Schulleitung entwickelt ihr Führungsverständnis auf Grund ihres Menschenbildes, angereichert durch Ideen aus der Aus- und Weiterbildung für Schulleitungen, angepasst und erweitert im Austausch in Intervisionsgruppen. Daraus ergeben sich verschiedenste Stile, vom demokratischen, empathischen Führungsverständnis bis hin zum autoritären, eigenständigen Bestimmen. Dass in einer langjährigen Kultur der Selbstbestimmung und Autonomie, wie das der Lehrerberuf über Jahrzehnte mitgebracht hat, eine autoritäre Schulleitung grundsätzlich schlecht ankommt, vor allem bei den „alten“, erfahrenen Lehrpersonen, ist kaum erstaunlich. Hier tut eine Schulleitung gut, wenn Sie das Kollegium in gewisse Prozesse und Entscheidungen einbeziehen kann. Gleichzeitig gibt es aber auch Momente, in der eine starke Führung gefragt ist. Einerseits entlastet das ein Kollegium vor allzu vielen Diskussionen und Entscheidungsfindungsprozessen, anderseits kann es auch Klarheit und Schutz bedeuten. Gegen aussen sind die einzelnen Lehrpersonen nicht mehr alleine, sie können mit Schützenhilfe einer starken Schulleitung rechnen.

Fühlt sich ein Kollegium nicht mehr verstanden und eingebunden, so kann es durchaus Sinn machen, das Gespräch mit der Schulleitung zu suchen. Gibt es keine Lösung, so können die Schulkommission und später sogar die Inspektorate einbezogen werden, wobei diese Schritte einerseits Transparenz verlangen und andererseits auch eine mögliche Eskalation der Situation auslösen können.

Ihr zweites Thema betrifft die Veränderungen, die den Beruf „immer fremder und enger machen“. Nicht nur Sie als Lehrperson tun sich schwer mit diesen Veränderungen. Aus vielen Berufsgattungen höre ich ähnliche Klagen, sei das nun von Seiten Pflegepersonal wie auch aus Wirtschaftskreisen.
Wir Menschen sind gefordert, unser Tun immer wieder zu überdenken. Was kann ich in den gegebenen Umständen beibehalten, was muss ich unbedingt loslassen? Welchen Freiraum kann ich in den neuen Grenzen nutzen? Was ist das Gute im Neuen? Jeder Mensch muss für sich passende Antworten finden. Manchmal ist dieses Finden sehr schwierig und es macht Sinn, dafür eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Manchmal kommt man aber auch zum Schluss, dass es Zeit ist, neue Wege zu suchen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie für sich klare Antworten finden und auch den Mut haben, dementsprechend zu handeln.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Liebe FrauHolle

Nun kann ich fundiert eine Antwort geben und hoffe, Ihnen damit Klarheit verschaffen zu können.

Wer ist berechtigt, Lehrmittel auszuwählen?

Einige wenige Lehrmittel werden vom Kanton als verbindlich angegeben (Math, Franz). Andere werden nur empfohlen. Bei den empfohlenen Lehrmittel entscheidet die Schulleitung, oft auch in Absprache mit den betroffenen Lehrpersonen, ob es an der Schule für obligatorisch erklärt wird.
Beim Entscheid sollte sich die Schulleitung von Fragen nach der pädagogischen Sinnhaftigkeit leiten lassen: Wird dieses Lehrmittel in den vorangehenden oder in den nächsten Stufen auch verwendet? Erfüllt es inhaltlich den Lehrplan? Entspricht es dem neusten Stand der Lernforschung? Passt es ins Konzept der Schule?
Die Frage nach persönlichen Vorlieben einzelner Lehrpersonen muss dabei zweitrangig bleiben.

Wie sehr steht die Lehrmittelwahl mit der Methodenfreiheit im Zusammenhang?

Die Lehrmittelwahl steht über der Methodenfreiheit. Die Lehrperson behält aber diese Freiheit im Rahmen des Lehrmittels, des Lehrplanes und der Vorgaben (z.B. Leitbild) einer Schule beziehungsweise der Schulleitung.

Ist die Gewährleistung der Methodenfreiheit für die SL Pflicht?

Heute haben Schulleitungen viel Gewicht, was Vorteile bringt, manchmal aber auch als einschränkend erlebt werden kann. So ist es möglich, dass eine Schulleitung verlangt, dass in ihrem Schulhaus vor allem mit Wochenplan gearbeitet wird. Innerhalb dieser Vorgabe besteht aber wiederum die Methodenfreiheit für alle Lehrpersonen.

Was geschieht, wenn man ein „verordnetes“ Lehrmittel nicht verwenden möchte?

Verweigert eine Lehrperson die Vorgaben, so wird die Schulleitung vermutlich zuerst das Gespräch suchen und die Gründe erfragen. Bleibt sie aber beim Obligatorium und die Lehrperson arbeitet nach wie vor nicht mit dem geforderten Lehrmittel, kann die Schulleitung einen Verweis erteilen. Falls die Lehrperson weiterhin nicht kooperiert, kann das bis zu einer Kündigung führen.
Somit ist auch Ihre nächste Frage geklärt: Ja, die Schulleitung kann im äussersten Fall eine Kündigung aussprechen.

Wie geht man vor, wenn man mit der Lehrmitteleinschränkung nicht einverstanden ist?

Grundsätzlich muss das Gespräch gesucht werden. Wichtig dabei ist, dass die Lehrperson klare, pädagogische, schuldienliche Gründe darlegen kann. Wenn weitere Lehrpersonen der gleichen Meinung sind, so soll auch das transparent gemacht werden: Ich komme zu dir, Schulleiter, als Delegierte von … Dies ist wichtig, damit man nicht plötzlich als schwarzes Schaf dasteht.

Zeigt die Schulleitung kein Gehör, so könnte allenfalls auch die nächste Stufe, die Schulkommission, allenfalls danach sogar das Inspektorat angegangen werden. Diese weitere Schritte sollten aber unbedingt der Schulleitung kommuniziert werden.
Wenn all die Gesprächsbemühungen keine Änderungen bringen, gibt es noch zwei Möglichkeiten: Die Lehrperson kann sich mit der gegebenen Situation so anfreunden, dass sie mit gutem Gefühl unterrichten kann oder sie überlegt sich einen Schulhauswechsel.

Nun hoffe ich, dass sie für sich einen Weg wählen können, der Ruhe in all die Überlegungen, Empfindungen und Unannehmlichkeiten bringen kann.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Sehr geehrte Frau Holle, sehr geehrter Kashgar

Durch Zufall bin ich auf diese Diskussion gestossen, trotzdem erlaube ich mir, einige Zeilen dazu zu schreiben, weil sie mich an Angelegenheiten erinnern, welche ich auf dieser Ebene erlebt habe.

Da ich von der Forschung her komme, habe ich in dieser Beziehung wahrscheinlich eine grössere Affinität zu Lehrplänen und Lehrmitteln. Bezüglich den Lehrplänen möchte ich mich hier nicht im Detail äussern, bin jedoch auf Grund meiner gemachten Erfahrung der Meinung, diese müssten in mehrerer Hinsicht regelmässig den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Leider besteht hier dann ein Zwiespalt, wenn eine Sicht der Dinge vertreten werden muss, welche nicht die „Seinige“ ist. Inwiefern sich der Einzelne damit abfinden kann, lassen wir der Einfachheit einmal beiseite, ansonsten müsste jemand in regelmässigen Abständen das Schulhaus oder sogar den Beruf wechseln, was ja nicht immer möglich ist.

Bei den Lehrmitteln ist das so eine Sache, es gibt bessere und auch schlechtere, je nachdem, womit Konflikte auftreten können. Von so einem Konflikt möchte ich hier erzählen, weil er aufzeigt, wie heikel die Angelegenheit ist. Bei einem meiner Einsätze in einer BMS in diesem Lande war im Fach W + R oder W + G ein Lehrmittel vorgegeben, in welchem grundlegende Fehler enthalten sind. Da ich auf Grund meiner Forschungserkenntnisse eine andere Meinung vertrat, machte ich diese bei den Schülern publik und erklärte offen, ich betrachte diese Auffassung als nicht richtig. Oh weh, dies kam dort gar nicht gut an, notabene bei 18 – 20 Jährigen; obwohl regelmässig erklärt wird, die jungen Menschen seien zu kritischem Denken anzuhalten. Der stellvertretende SL war darob nicht erfreut – er war ohnehin ein eigenartiger Kautz und wollte die Lehrerschaft nach seinem Gusto erziehen – und erklärte, die Darstellung im Lehrmittel sei massgebend und selbst Proben müssten auf dieser Grundlage durchgeführt werden. Als Konsequenz wurde ich angehalten, Proben durchzuführen und deren Ergebnisse zu akzeptieren, selbst wenn ich wusste, dass diese so nicht richtig sind. Hier stellt sich doch die Frage, was der eigentliche Zweck von Bildung ist? Kritische Leute auszubilden oder Nachbeter heranzu-züchten, welche den Stoff auswendig lernen und diesen danach von sich geben (müssen). In dieser Beziehung bin ich sehr skeptisch geworden, ob der regelmässig wiederkehrende Ruf nach mehr Bildung und Ausbildung so berechtigt ist?

Zur Entschuldigung der Sekundarschulstufe II muss ich sagen, dass wir sogar auf der tertiären Stufe, von der ich herkomme, leider Gottes ähnliche Erscheinungen feststellen, die im Endeffekt noch viel Schlimmer sind, weil sie das Establishment eines Landes betreffen. Und dort wird ja über all das entschieden, welches das ganze Wirtschafts- und Gesellschafts-System betrifft. Nur weil man gewisse Sache nicht zugeben will, wird so getan, als sei alles Bestens. Dabei merkt man nicht, dass sich die ganze Sache in eine Richtung entwickelt, welche kein gutes Ende bescheren wird. So ist es schliesslich auch herausgekommen. Űber das letzte Vierteljahrhundert hinweg wurde einfach nach einem bestimmten Schema hinweg entschieden, ohne auf die berechtigten Einwände Einzelner eingehen zu wollen, was noch höflich ausgedrückt ist. In Tat und Wahrheit wurden diese Einwände totgeschwiegen und unter den Teppich gekehrt, bis ganz nach oben hinauf, das Rechtssystem miteingeschlossen (die Beweise liegen vor, was dort vor sich geht). Nachdem es zum Glück wieder einmal im Gebälke heftig gekracht hat, wofür die breite Bevölkerungsmasse auch hinhalten musste, wird nun wieder so getan, als sei nicht viel geschehen und man könne nach dem alten System weitergefahren. Nein, nein, nicht bei uns wurden die Fehler gemacht, sondern auf der anderen Seite des Atlantiks. Richtig ist, dass dort die Krise ausgebrochen ist, aber die Voraussetzungen dazu wurden selbst bei uns über viele Jahre hinweg vorher geschaffen.

Der Rede kurzer Sinn ist Folgender: in organisierten W + G-Systemen ist es nicht möglich, das hinterste und letzte deregulieren und privatisieren zu wollen, ohne damit die Systemstabilität zu beeinträchtigen. Genau dies ist jedoch selbst in der Schweiz eingetreten, aber davon dürfen die vorwiegend jungen Menschen (noch nichts) hören, weil man nicht zugeben will, dass wir es mit solchen Systemen zu tun haben.

Damit haben wir den Rahmen der Diskussion gesprengt und ziehen uns zurück, bis die nächste Krise ausbricht, hoffentlich nicht erst in 25 Jahren.

Mit freundlichen Grüssen

Fred von Gunten