Schweizer Zahlenbuch zu anspruchsvoll

Guten Tag allerseits

Ich bin Oberstufen-Lehrer für Sprachen. Mit Schul-Mathematik bin ich wegen meinem Sohn konfrontiert, der momentan in der 4. Klasse ist.

Immer wieder fällt mir auf, dass das Zahlenbuch sehr hohe Anforderungen stellt. Wenn ich dann mit dem Berner Lehrplan vergleiche, sticht mir ins Auge, dass im Zahlenbuch Anforderungen gestellt werden, die im Berner Lehrplan erst in der nächst höheren Stufe vorkommen. (Stoff der 5./6. kommt im Zahlenbuch bereits in 3./4.) Aktuellerweise fällt mir das auf mit den Rechnungen im Millionenraum vom Zahlenbuch 4. Im letzten Schuljahr fiel es mir auf bei der maximalen Anzahl Wertziffern für Additionen und Subraktionen, die gemäss Berner Lehrplan ebenfalls auf die Stufe 5/6. gehörte hätten. Schaue ich rasch in den Lehrplan 21, so scheint mir das Zahlenbuch auch dort eher über das Ziel zu schiessen.

Was bedeutet dieser Unterschied bezüglich Beurteilung, die sich ja am Lehrplan orientieren sollte und nicht an einem (zu einfachen oder zu schwierigen) Lehrmitel?
Wie sehen dies die Mathexperten der PH?
Wie sehen dies die Math-Lehrpersonen hier im Forum?

Merci im Voraus für eure Meinungen!
R_Morgy

Guten Morgen
Es ist unbestritten, dass die Anforderungen in den neueren Lehrmitteln generell höher sind, als in früheren Lehrmitteln. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass sich die Anforderungen der Gesellschaft an die Bildung verändert haben, andererseits auch damit, dass der Kompetenzorientierung bereits ab Beginn der Schullaufbahn grosse Bedeutung beigemessen wird.
Grundsätzlich haben Sie mit ihrer Beobachtung recht. Der Berner Lehrplan sieht für die 3./4. Klasse eine Erweiterung vom 1’000-er-Raum auf den 10’000 Raum vor. Neue fachdidaktische Erkenntnisse zeigen aber, dass es für die Schülerinnen und Schüler, die die Struktur des Zahlenraumes verstanden haben, keinen Unterschied macht, ob sie sich im 10’000-Raum oder im Millionenraum bewegen. Da das Zahlenbuch neuer ist, als der Lehrplan 95 nimmt es auch neuere fachdidaktische Erkenntnisse auf. Im Beispiel des Zahlenraumes wird flächendeckend im ganzen Kanton vorwiegend bereits im Millionenraum gearbeitet.
Die Frage, wie man das in die Beurteilung einfliessen lassen kann, ist berechtigt. Grundsätzlich muss sich die Beurteilung an der Erreichung der Ziele des Lehrplanes messen. Das Lernziel erreicht haben Schülerinnen und Schüler also, wenn sie sich im Raum bis 10’000 sicher bewegen können. Die Frage ist nur, ob ein Kind, das sich im Millionenraum nicht zurechtfindet, sich im 10’000 Raum dann zurechtfindet? Vermutlich werden die meisten dieser Kinder auch im 10’000 Raum Mühe haben.
Grundsätzlich hat sich der Unterricht am Lehrplan zu orientieren. Die Lehrmittel sind Hilfsmittel zur Umsetzung des Lehrplanes. Allerdings gibt der Lehrplan die minimalen Ziele an. Der Unterricht geht aber oft - auch im Hinblick auf Individualisierung - ber diese minimalen Ziele des Lehrplanes hinaus.

Freundliche Grüsse

chosun
Experte

Hallo chosun

Danke für die ausführlichen Gedanken und Erklärungen.

Das Argument mit dem sich grundsätzlich Zurechtfinden in beiden Zahlenräumen (oder eben nicht), kann ich einigermassen nachvollziehen. Aber wie ist es mit der maximalen Anzahl der Wertziffern bei Rechnungen? Von denen hat es im Zahlenbuch jeweils mehr als vom Berner Lehrplan limitiert. Und eine Wertziffer mehr oder weniger macht auf dieser Stufe bedeutsam viel aus, sonst

R_Morgy

Im Zahlenbuch übersteigen die Anzahl der Wertziffern in verschiedenen Aufgaben die Vorgaben, die der Kanton fürs Kopfrechnen angibt. Das ist richtig. Die Inhalte des Zahlenbuchs, so wie dessen allgemeine Ausrichtung was der heutige Mathematikunterricht soll und kann, stimmen in hohem Mass mit dem Lehrplan überein. Der konstruktive Ansatz führt auch hier dazu, dass Aufgabenstellungen zu finden sind, die nicht von allen Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden müssen. Insofern bietet das Zahlenbuch auch Aufgaben an, die die bernischen Vorgaben überschreiten.
Auch hier gilt: Die Beurteilung hat sich am Lehrplan und der DVSB zu orientieren, nicht am Zahlenbuch.

chosun1
Experte