Angst vor Betreuungsperson Tagesschule

Guten Abend zusammen

Ich unterrichte als Klassenlehrperson an einer 5./6. Klasse. Am Nachmittag kamen zwei meiner Schülerinnen völlig aufgelöst zu mir und baten mich um ein Gespräch, da sie mir etwas anvertrauen wollten. Unter Tränen erzählten sie von einem Vorfall in der Tagesschule, welche die beiden Mädchen jeweils mittags besuchen.
Nach ihren Angaben hatten sie eine kleine Auseinandersetzung (Wer bekommt das Spielzeug?) mit einem anderen Kind. Als der Betreuer in der Tagesschule dies sah, habe er eine der beiden Schülerinnen heftig geschubst. Alle Kinder seien über dieses Verhalten des Betreuers stark erstaunt gewesen und weggerannt.
Die beiden Mädchen erzählen mir, dass sie bereits seit ca. einem Jahr immer wieder durch denselben Betreuer angeschrien, am Handgelenk gezogen oder geschubst würden. Wenn sie sich wehrten und ihm sagen würden, er dürfe sie nicht berühren, sage er, ihnen würde sowieso niemand glauben.

Eine der beiden Schülerinnen hätte bereits im letzten Schuljahr das Gespräch mit der Leiterin der Tagesschule, der Schulleitung und den Eltern gesucht. Sie fühlt sich von niemandem ernst genommen. Alle Erwachsenen hätten bisher gesagt, sie würden dem Betreuer der Tagesschule glauben, welcher die Vorwürfe der beiden Schülerinnen, er habe sie mehrmals am Handgelenk gepackt, sie ausgelacht und angeschrien, von sich weist.
Alle Erwachsenen hätten bisher stets gesagt, die beiden Mädchen würden Lügengeschichten erzählen. Eine der beiden Schülerinnen sagt zudem, ihr sei bereits gedroht worden, dass sie von der Tagesschule ausgeschlossen würde, wenn sie sich nochmals über den Betreuer in der Tagesschule beschweren würde. Eine der beiden Schülerinnen traut sich nicht, ihren Eltern von den Vorfällen in der Tagesschule zu berichten, da sie fürchtet, von den Eltern statt verstanden bestraft zu werden. Sie habe zudem bereits mehrmals mit der Schulsozialarbeiterin gesprochen.

Ich sagte den Mädchen, ich würde mir Gedanken machen und ihre Erzählungen der Schulleitung weiterleiten. Der Betreuer der Tagesschule hatte sich unterdessen bereits bei der Schulleitung über die beiden Mädchen beschwert. Als ich später der Schulleitung von den Erzählungen meiner Schülerinnen berichten wollte, sagte diese, sie würde sich bei der Tagesschulleitung melden, ich solle mir keine Gedanken machen. Ich fühlte mich nicht verstanden. Es lässt mir keine Ruhe und ich möchte meine Schülerinnen nicht enttäuschen.

Wie würdet ihr euch in meiner Lage verhalten? Soll ich mich mit der/dem Schulsozialarbeiter/in oder der Tagesschulleitung in Verbindung setzen (wobei diese zurzeit eine Stv. hat)? Mir ist bewusst, dass mich als Lehrperson die Tagesschule zwar nichts angeht, und trotzdem bin ich der Ansicht, dass ich hinschauen muss, da sich die Mädchen mir anvertraut haben…

Ich wäre sehr dankbar um einen Ratschlag. Die beiden Mädchen haben nun Angst, in die Tagesschule zu gehen…

Guten Tag MadameC

Ihre Schilderung stimmt mich nachdenklich. Zwei Mädchen, die seit einem Jahr mutig versuchen, für sich einzustehen. Sie werden nicht gehört. Ihnen wird gedroht. Sie haben Angst. Nun werden Sie in diese Not eingeweiht, quasi als letzte Hoffnung für die Mädchen. Und Sie erleben eine Wiederholung des Dramas: Sie werden von der Schulleitung nicht verstanden, werden mit dem Satz «Machen Sie sich keine Gedanken» stillgelegt. Und jetzt?

Folgende Fragen stellen sich mir:
Das eine der beiden Mädchen fürchtet sich, von ihren Eltern nicht verstanden, stattdessen bestraft zu werden. Da liegt bereits etwas im Argen. Was genau?

Das andere Mädchen hat offenbar ein Gespräch am runden Tisch mit den Eltern erlebt. Wie wird sie von zu Hause aus unterstützt?

Wie schätzen Sie die beiden Mädchen ein? Sind es zwei, die gerne emotional in Themen einsteigen und gerne im Zentrum stehen? Oder sind sie eher ruhige, unscheinbare Schülerinnen? Fällt es Ihnen leicht, ihre Schilderungen (ihre Wahrheiten und Sichtweisen) zu glauben?

Was wissen Sie über die Schulsozialarbeiterin und über den Betreuer?

Wie auch immer die Antworten ausfallen, die Situation zwischen den Mädchen und der Betreuungsperson ist unhaltbar und es muss Bewegung in diese festgefahrene Interaktion kommen. Mir kommen verschiedene Möglichkeiten in den Sinn:

Elternkontakt
Melden Sie sich bei den Eltern, die bereits am runden Tisch mit dabei waren. Es könnte wichtig sein, dass sie erneut intervenieren und sich allenfalls bei der Schulkommission (oder bei der Gemeinde, je nach Anstellungsbehörde) melden, wenn erneut keine Besserung spürbar wird.

Die Mädchen coachen
Interaktionen sind immer systemisch bedingt. Wenn sich die eine Seite anders verhält, so passiert auch auf der anderen Seite etwas. Angenommen, die Mädchen hätten nur 5% Anteil an dieser schwierigen Situation, was könnten sie in diesen 5% ändern? Wie könnten sie sich anders verhalten? Sprechen Sie mit ihnen in diese Richtung. Vielleicht können Sie sie dazu bringen, dass sie mit verschiedenen Verhaltensvariationen experimentieren.

Schulleitung
Bleiben Sie hartnäckig. Zeigen Sie auf, dass Sie einen Auftrag der Mädchen übernommen haben und dass Sie den Mädchen ein «Ich-werde-ernst-genommen-Gefühl» ermöglichen wollen. Fragen Sie immer wieder nach, was jetzt genau in die Wege geleitet wurde.

Informieren Sie die Mädchen immer wieder, was Sie unternehmen werden. Erzählen Sie ihnen, was läuft.

**Letztendlich geht es für Sie aber nicht darum herauszufinden, wer nun recht hat.**Möglicherweise hat der Betreuer mit seiner Wahrnehmung genau so recht, wie das die Mädchen aus ihrer Erlebniswelt haben. Es könnte durchaus sein, dass die Mädchen ein Spiel treiben. Genau so gut könnte es sein, dass der Betreuer sich rollenunwürdig verhält.
Es geht einzig und allein darum, den Mädchen Gehör zu schenken und die Situation so zu klären, dass in der Tagesschule wieder Ruhe einkehrt.

Dafür wünsche ich Ihnen und Ihrem System viel Erfolg.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Guten Tag Kashgar
Besten Dank für Ihre ausführliche Antwort! Ich bin sehr froh um Ihre Ratschläge und probiere, diese umzusetzen.
Freundliche Grüsse
MadameC

Guten Abend Madame C.

Hier einige spontane Gedanken beim Lesen Ihres Berichts (Irrtümer vorbehalten):
Gut finde ich, dass eine tragfähige Vertrauensbasis besteht zwischen Ihnen und den beiden Schülerinnen. Ebenso Ihr berufliches Engagement, Ihr Verantwortungsgefühl. Ich gehe davon aus, dass Sie an einer schwierigen Schule unterrichten: unklare Aufträge, wenig Vereinbarungen, unqualifiziertes Personal, wenig Vernetzungen, kaum verbindliche Grundsätze für das Kollegium, für die gesamte Schule.
Die Schülerinnen verhalten sich erstaunlich aktiv, die Schule muss mehr Verantwortung für die beiden übernehmen.
Der übergeordnete Auftrag der öffentlichen Schule lautet unter anderem:
„Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung“. BV Art.11.
Sie üben ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit aus.
Ein eindeutiger Auftrag der öffentlichen Schule, für dessen Umsetzung Sie die entsprechenden Ressourcen einfordern können.
Kurzfristige Lösung: Vereinbaren Sie wöchentlich ein Gespräch mit den beiden Schülerinnen, 5-10 Minuten reichen, Thema: Rückblick auf die vergangene Woche und Ausblick und Zielsetzungen für die nächste Woche. Tagesschule, Sozialarbeiter und Schulleitung werden jeweilen per Mail informiert über die Entwicklung.
Sie übernehmen sozusagen die „Federführung“ für das weitere Vorgehen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.
Mit freundlichen Grüssen

jomali

Guten Tag MadameC

Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung auf meine Gedanken. Ich bin natürlich sehr gespannt, wie sich die Situation entwickeln wird. Vielleicht sind Sie bereit, uns im Forum vom Verlauf zu berichten. Fühlen Sie sich aber frei dazu.

Gutes Gelingen Ihnen, mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Hallo Freunde, ich würde zuerst andere Kinder fragen, ob sie ähnliche Erfahrungen mit dem Betreuer gemacht haben. Es ist für den Betreuer echt schwer in so einem Fall das Gegenteil zu beweisen.