Beurteilung der Mitarbeit in der Schweiz

Hallo,
ich bin Lehrer in Deutschland und hier gibt es immer wieder viele Diskussionen über die sogenannte „Mitarbeitsnote“, die häufig auch „mündliche Note“ genannt wird.

Mich würde daher interessieren, ob es so ein Format der Beurteilung auch in Nachbarländern von uns gibt,
Ich erläutere kurz, wie diese Note zustandekommt und was sie bewirkt:

Die Zeugnisnote, die ein Schüler für ein bestimmtes Fach erhält, setzt sich ungefähr 50-50 auch zwei Komponenten zusammen:

  • Ca. 2 Klassenarbeiten pro Halbjahr
  • Die Mitarbeitsnote.

Letzere wird von den Lehrern „irgendwie“ vergeben und soll die mündliche Mitarbeit während des Unterrichts bewerten. I.A. erhalten hier Schüler, die sich häufig melden, deutlich bessere Noten. Obwohl offiziell untersagt, fließt meist auch das „Wohlverhalten“ im Unterricht ein. Kleine Tests und Hausaufgaben (obwohl offiziell ebenfalls verboten) bilden einen weiteren Bestandteil. Die genaue Zusammensetzung und Gewichtung legt der Lehrer nach eigenem Ermessen fest. Das Verhalten im Unterricht sollte vom Lehrer notiert werden, dieses nach jeder Stunde zu machen, ist natürlich unmöglich. D.h. die Lehrer setzen sich i.A. außerhalb des Unterrichts hin und notieren aus dem Kopf ihre persönliche Beurteilung der Mitarbeit.

Diese so zu Stande gekommene Note bildet dann, wie gesagt, zwischen 40 und 70% der Zeugnisnote.

Ergebnis sind natürlich Schüler, die ständig versuchen, sich zu melden und immer „sehr freundlch“ zu den Lehrern sind, weil sie ja wissen, dass die Mitarbeitsnote von den Lehrern im Wesentlichen nach „Gutdünken“ gegeben, nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist und daher kaum in Frage gestellt werden kann.

Wie man sicher heraushört, halte ich das Ganze für ziemlich willkürlich, es ist aber nun einmal Gesetzeslage.

Was mich interessieren würde:

→ Gibt es so etwas auch in der Schweiz?

Gespannt…

Uli

Lieber Uli_Dtld

Besten Dank für deine Frage. Schön, dass wir uns über die Landesgrenzen hinweg austauschen können.

Zuerst muss ich darauf hinweisen, dass die Vorgaben und Rahmenbedingungen hinsichtlich Beurteilung für die Schulen kantonal festgelegt werden. Es gibt dabei teilweise beträchtliche Unterschiede. Meine folgenden Ausführungen beziehen sich ausschliesslich auf die Regelung im Kanton Bern und können nicht auf die ganze Schweiz übertragen werden.

Die Beurteilung im Form einer Schlussnote stützt sich auf die im Verlauf eines Schuljahres erfolgten summativen Beurteilungen. Diese können in Form einer Note oder eines Prädikats oder verbal (kurze schriftliche Formulierung) gesetzt werden.

Die summative Beurteilung umfasst folgende drei Beurteilungsgegenstände:

  • Produkt
  • Lernkontrolle
  • Lernprozess

Diese drei Beurteilungsgegenstände beinhalten alle summativen Beurteilungssituationen. Die Noten im Beurteilungsbericht sind ein Instrument zur Kommunikation der Beurteilung von Leistungen der Schülerinnen und Schüler und das Ergebnis eines professionellen Ermessensentscheids durch die Lehrpersonen. Sie basieren nicht auf Berechnungen von Durchschnitten.

Die von dir geschilderte «Mitarbeitsnote» gibt es also bei uns nicht. Der Schwerpunkt unserer Beurteilung liegt im formativen Support. Auf dieser Ebene können natürlich Rückmeldungen zur mündlichen Aktivität gegeben werden. Alle summativen Beurteilungen müssen aber transparent sein, sich an Kriterien orientieren und sich auf das beziehen, was vorher gelernt und geübt werden konnte.

Hier ist ein Link, der dich zu differenzierten Beschreibungen das Konzepts und auch den entsprechenden kantonalen Beurteilungsinstrumenten führt.

Herzliche Grüsse
Apostroph

Werter Uli,

nicht ungern möchte ich dazu auch ein paar Worte sagen – immerhin bin ich ein wenig mit beiden Systemen vertraut (wenn ich auch das deutsche nur aus der Perspektive des ehem. Schülers und des Vaters kenne).

Zunächst einmal: Was ‚Apostroph‘ für die Schweiz vorausschickt, gilt natürlich i. W. auch für Deutschland. Auch dort liegt das Bildungswesen ja in der Kompetenz der einzelnen Bundesländer; welches Gewicht also die ‚mündliche Note‘ jeweils hat, ist also ganz sicher nicht überall gleich.

Ich denke schon, dass die Bewertung der Mitarbeit im Unterricht einige grundsätzliche Nachteile hat, wie Du ja auch schreibst. Am gewichtigsten scheint mir, dass sie eben nur schwer objektivierbar ist. Dennoch denke ich, dass die einzelne Lehrkraft schon versuchen wird, sie möglichst transparent und nachvollziehbar durchzuführen.
Ich persönlich bin ganz froh darüber, dass es mir hierzulande erlaubt ist, auf jede Art von Mitarbeitsnoten zu verzichten – und zwar vor allem deshalb, weil ich sonst während des Unterrichts permanent zu einer Art Rollenwechsel gezwungen wäre: Ich müsste dann nicht nur das Unterrichtsgespräch moderieren oder Dinge erklären oder Gruppenarbeiten anleiten, sondern zugleich auch immer noch als Bewertungsinstanz fungieren.
Zweiter Punkt: Ich finde, dass die Bewertung der ‚mündlichen Mitarbeit‘ – so fortschrittlich sie einmal intendiert gewesen sein mag – im Grunde eng mit dem sogenannten ‚fragend-entwickelnden Unterricht‘ verbunden ist, also einer Spielart des Frontalunterrichts. Sobald man also andere Sozialformen einsetzen möchte (Gruppenarbeiten, Partnerarbeit usw.), wird die Bewertung der ‚Beiträge‘ unter Umständen schwierig.
Trotzdem hat das Instrument natürlich auch Vorteile: Es gibt den S. einen Anreiz, kontinuierlich am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen, statt lediglich durch erfolgreiches ‚learning to the test‘ auf die gewünschte Note zu kommen. Natürlich ist es eine Form der extrinsischen Motivation (und wir haben ja alle auf der PH gelernt, dass das der weniger gute Weg ist) (andererseits halte ich inzwischen die Unterscheidung zwischen ex- und intrinsischer Motivation für etwas naiv und künstlich), aber immerhin IST es im günstigsten Falle tatsächlich eine Motivation, zum Unterricht beizutragen und bei Diskussionen mitzuwirken.

Schöne Grüße aus dem Kanton Bern,

PeterSpäter