Guten Tag
Wie kann ich mit dem Dilemma des Doppelauftrags „Fördern und Auslesen“ in der Beurteilung umgehen?
Mit besten Dank und lieben Grüssen
Pluto
Lieber Pluto
gerne versuche ich die Frage zu beantworten:
Ein erster Schritt ist, dass sich Lehrpersonen der Unterschiedlichkeit dieser beiden Aufträge bewusst sind und diese auch gegenüber den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern sichtbar machen. Zu besonderen Problemen führt es, wenn versucht wird diese beiden Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen. Dies führt zu einem Rollenkonflikt der sowohl von den Lehrpersonen wie auch von den Schülerinnen und Schülern erlebt wird. Darum ist es sinnvoll, die beiden Tätigkeiten möglichst sauber voneinander zu trennen: Wenn ich fördere mache ich nicht gleichzeitig bilanzierende Aussagen und umgekehrt
Ein zweiter Schritt ist die Orientierung an Lernzielen. Es ist für die Lernenden besser akzeptierbar eine Rückmeldung in Bezug auf ein klar definiertes Ziel zu erhalten als über eine reine Note primär einen Rangplatz innerhalb der Klasse zu erkennen.
Ebenso ist es für die Lehrperson: Zu sehen, dass gewisse Ziele erreicht wurden andere aber trotz aller Fördermassnahmen nicht, löst die Dilemmasituation auf: Ich habe so gut gefördert wie es unter den gegebenen Umständen möglich war. Der Schüler oder die Schülerin zeigt nun, ob das gesteckte Ziel erreicht werden konnte oder nicht.
Eine dritte Überlegung: Das Verrechnen von Zwischenergebnissen zu einer Schlussnote widerspricht der Lernzielorientierung und verschärft das Problem. Jede Beurteilung wird Teil eines unter Umständen bedrohlichen Schlussresultates, dem Notendurchschnitt.
Wer gerne den Autofahrausweis erlangen möchte, geht in die Fahrschule. Hier ist es erlaubt Fehler zu machen, zu lernen. Am Schluss wird eine Prüfung abgelegt. Wie oft beim Lernen der Motor beim Anfahren am Berg aufgeheult hat, spielt keine Rolle mehr. Was zählt ist, was beim Prüfungstermin gezeigt wird. Und wenn die Prüfung nicht bestanden wird, kann sie sogar mehrmals wiederholt werden. Davon kann die Schule vieles übernehmen. Lehrpersonen werden zu Lernbegleitern. Am Schluss des Lernprozesses wechseln sie in die Expertenrolle. Beide Rollen sind wichtig und wertvoll.
freundliche Grüsse
Networker
Leider lässt sich dieses Dilemma kaum beheben, solange wir so streng selektionieren Ende der 6. Klasse. Was für eine Belastung das für alle Betroffenen ist, ist aus der Praxis bekannt. Nicht wenige Lehrpersonen geben aus diesem Grund auf.
Prof. Ursula Streckeisen hat dieses Dilemma erforscht und in ihrem Buch „Fördern und Auslesen“ dokumentiert. Prof. Winfried Kronig spricht von willkürlicher Selektion und dass nur ca. 15% der Schüler/innen an beiden Enden ihren Fähigkeiten gemäss selektioniert werden. Die grosse Mehrheit könnte ebenso gut im andern Niveau unterrichtet werden, wenn sie z. B. an einem andern Ort lebte.
Damit möchte ich sagen, dass wir Lehrpersonen unsere Energie vor allem ins Fördern fliessen lassen sollen, in die Stärkung des Selbstvertrauens der Kinder und uns wehren sollten für sie und damit gegen diese Doppelrolle. Andere Länder oder Schulen können das - mit hervorragenden Resultaten, zufriedenen Lehrpersonen und gestärkten Kindern. (Wenn du dazu noch mehr wissen möchtest, melde dich, bitte.)
Die Arbeit mit Lernzielen ist eine gewisse Hilfe. Besonders empfehlenswert ist auch das kooperative Lernen als Unterrichtsform.
Eva