Dybuster

Seit einem halben Jahr arbeite ich meinen Kindern (iF, Legasthenie und Diskalkulie) mit Dybuster Orthograph und Dybuster Calcularis. Ich bin von beiden Programmen begeistert und mache gute Erfahrungen. Der wissenschaftliche Hintergrund überzeugt mich. Dybuster Orthograph erhielt den Dyslexia Quality Award 2011 und Dybuster Calcularis den Worlddidac Award 2014. Von allen meinen Anwendern, seien es Schülerinnnen und Schüler, Eltern und/oder Lehrpersonen bekam ich nur positive Rückmeldungen.
Nun hörte ich, dass die PH Bern diese Programme nicht, oder nur zurückhaltend empfehle. Leider habe ich keine näheren Angaben zu dieser Aussage.
Darum wende ich mich auf diesem Weg an die Fachleute der PH Bern. Wie beurteilen Sie Dybuster?
Vielen Dank für Ihre Stellungnahme!
Mit freundlichen Grüssen Katrin

Liebe Katrin,
Sie werfen da eine Frage auf, die wirklich von einer ausgewiesenen Fachexpertin in diesem Bereich beantwortet werden muss. Eine solche konnte ich unterdessen finden. Sie wird Ihnen morgen antworten.

Freundliche Grüsse
Adhei

Liebe Katrin

An den beiden Computerprogrammen Dybuster und Calcularis gibt es tatsächlich aus Fachkreisen (Fachdidaktiker/innen, Heilpädagog/innen, renommierte Fachleute wie Elisabeth Moser Opitz, Margret Schmassmann, Esther Brunner etc.) seit längerem breite Kritik. Ich versuche hier, einige Kritikpunkte darzustellen. Eine Vollständigkeit würde den Rahmen des Forums sprengen.

Zu Calcularis

  • Das Programm funktioniert sehr kleinschrittig und basiert auf „Rechnen nach Rezept“. Dies verunmöglicht den Schülerinnen und Schülern, grössere Sinnzusammenhänge und Gesetzmässigkeiten zu erkennen. Gerade dies wäre aber für rechenschwache Kinder zentral, denn das blosse Auswendiglernen durch Wiederholen, Wiederholen bewirkt keinen langfristigen Kompetenzzuwachs.
  • Hier ist auch die bisherige Forschung zu Calcularis in Frage zu stellen: Bis jetzt wurden keine Langzeiteffekte nachgewiesen und im Design fehlt eine echte Kontrollgruppe, so dass die rapportierten Verbesserungen der Trainingsgruppen stark relativiert werden müssen.
  • Die in Calcularis verwendeten Veranschaulichungen sind problematisch: Der Zahlenstrahl ist zwar eine zentrale Veranschaulichung für den ordinalen Zahlaspekt (lineare Anordnung der Zahlen). Die Einsicht ins Dezimalsystem bzw. in den dezimalen Aufbau der Stellenwerte und die Operationsvorgänge können jedoch nicht am Zahlenstrahl erfolgen. Für rechenschwache Kinder ist das dezimale Verständnis zentral. Hier zeigen sich grundlegende Schwierigkeiten bei rechenschwachen Schülerinnen und Schülern. Auch die Repräsentation durch Ziffern in der Stellentafel genügt nicht, um das dezimale Verständnis aufzubauen, es braucht dazu sinnvolle Repräsentanten wie z.B. das Material zum Dezimalsystem (Einerwürfel, Zehnerstäbe, Hunderterplatten). Calcularis veranschaulicht die Stellenwerte je als dreidimensionale Stangen mit Griffen in verschiedenen Farben. Der zentrale des Vorgangs Bündeln kann dadurch jedoch nicht verstanden werden und die Darstellung erschwert auch das Erkennen der Basis 10, auf welcher die Bündelung beruht, da die einzelnen Einheiten (Einer, Zehner, Hunderter, Tausender) nicht entsprechend ihrer Anzahl visualisiert werden.
  • Damit Förderprogramme erfolgreich sind, ist es wichtig, dass die verwendeten Aufgaben, Arbeitsmittel und Vorgehensweisen anschlussfähig sind an den Mathematikunterricht bzw. die verwendeten (obligatorischen) Schulbücher. Calcularis erfüllt dieses Kriterium klar nicht: im Gegenteil, es werden andersartige Veranschaulichungen verwendet, die mathematische Inhalte unvollständig oder missverständlich abbilden.
  • Im Zusammenhang mit Rechenschwäche ist bekannt (und gut erforscht), dass viele Kinder zählende Rechenstrategien verwenden. Förderprogramme müssen deshalb die Ablösung vom zählenden Rechnen unterstützen. Calcularis jedoch fördert explizit das abzählende Rechnen, indem die Kinder bei den Aufgaben aufgefordert werden, abzuzählen.

Zu Dybuster

  • Die Autoren werben mit dem Slogan „Legasthenie ist verlernbar“. Effektiv wird aber nur Rechtschreibung trainiert. Die Lesekompetenz wird nicht berücksichtigt.
  • Das Programm wählt einen komplett anderen Zugang als alles, was in Lehrmitteln zur Rechtschreibförderung angeboten wird. Eine Verknüpfung mit Unterrichtsinhalten ist also nicht möglich. Fachleute empfehlen klar einen linguistischen Zugang, wie ihn neuere Lehrmittel vertreten (Sprachstarke, Grundbausteine etc.).
  • Damit mit Dybuster Effekte erzielt werden, muss sehr regelmässig und zeitintensiv geübt werden. Es stellt sich die Frage, was dafür weggelassen wird bzw. zu kurz kommt.
  • Bis jetzt wurde nicht untersucht, ob ein Rechtschreibtraining z.B. nach dem Prinzip der „Grundbausteine der Rechtschreibung“ im selben zeitlichen Rahmen nicht dieselben (oder bessere) Ergebnisse erzielt.
  • Der multimodale Ansatz (Farbcode, Ton, 3d-Bild) kann für Lernende eine Reizüberflutung darstellen. Zudem sind Menschen mit synästhetischen Veranlagungen (z.B. Zahlen, Buchstaben, Wörter in Farben sehen) nicht so selten. Für diese sind solche Programme völlig verwirrend, da die vorgegebenen Farbcodes höchstwahrscheinlich nicht mit ihren persönlichen Farbsystemen übereinstimmen.

Liebe Katrin
Ich hoffe, dass ich dir unsere Bedenken an den beiden Lernprogrammen verständlich darlegen konnte. Für weitere Fragen stehe ich dir gern zur Verfügung.
Chicas

Liebe Chicas

Ganz herzlichen Dank für deine umfangreiche und ausführliche Antwort. Teils kann ich die Kritik nachvollziehen, Dybuster hat teils schon darauf reagiert und Veränderungen bei der Mengenerfassung, beim Stellenwert und beim Bündeln wahrgenommen, teils finde ich sie unberechtigt. Die Argumentation überlasse ich „Dybuster Zürich“. Nach meinen Informationen ist ein Austausch mit den Fachdozentinnen geplant.
Für mich tönt es sehr nach einem Expertenstreit zwischen Fachdidaktik und Neuropsychologie. Die Leitragenden sind die Kinder und die Lehrpersonen, die verunsichert werden.

Ich persönlich finde Dybuster nach wie vor eine wunderbare Ergänzung zu den Lehrmitteln, die im Unterricht gebraucht werden (Bausteine der Rechtschreibung, Sprachstarke und Zahlenbuch). Das eine muss ja das andere nicht ausschliessen.
Eine Frage stellte sich bei mir bei den Diskalkulie- und Legastheniekindern halt immer wieder: Was soll ich tun, wenn immer noch mehr vom Gleichen nicht den gewünschten Erfolg bringt? Da greife ich halt mit Wonne nach Dybuster Orthograph und Dybuster Calcularis und plötzlich öffnen sich für diese Kinder neue Welten!

Besonders wertvoll finde ich die Motivation der Kinder. Alle machten Dybuster gern. Zugegeben, nach acht Monaten lässt die Motivation bei einigen Kindern doch etwas nach. Eine längere Pause ist angesagt, neue Lernziele müssen abgemacht, neue Einstellungen beim Programm getätigt werden oder es kann wirklich ganz aufgehört werden, weil die Kinder das Training nicht mehr brauchen. Der Transfer der richtigen Rechtschreibung in die Spontanschrift ist ein grosser Schritt ist. Doch das ist bei allen Trainingsmethoden der Rechtschreibung so, auch bei den Grundbausteinen.

Das Automatisieren von Verstandenem und möglicherweise noch nicht ganz Verstandenem kommt beim Zahlenbuch eindeutig zu kurz und wird nach meinen Erfahrungen zu wenig gewichtet. Es wird als einem „blossen Auswendiglernen“ zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, vermutlich weil der Kompetenzzuwachs nicht sofort sichtbar ist. Der kleinschrittige Aufbau, das Automatisieren bei Calcularis gibt Sicherheit und Selbstvertrauen. Mathematische Zusammenhänge werden von den Kindern genau dadurch erkannt und begriffen.

Das sind meine Erfahrungen. Ich kann allen Lehrpersonen nur empfehlen: Probiert Dybuster aus und bildet euch euer eigenes Urteil!

Mit freundlichen Grüssen und bestem Dank für alle Bemühungen Katrin

Liebe Katrin

Du bist überzeugt von Dybuster – und das ist schon mal ein wichtiger Punkt, um mit einem Förderporgramm (oder Lehrmittel oder Material) zu arbeiten.
In der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten gilt es jedoch auch noch weitere Punkte zu beachten:

  • Kompatibilität bzw. Anschlussfähigkeit: Wie bereits geschrieben, passen weder die Konzepte noch die Veranschaulichungen von Dybuster zu den Lehrmitteln in den Schulen. Warum ausgerechnet lernschwache Kinder zwei Konzepte und verschiedene Veranschaulichungen erlernen sollen, ist nicht einsichtig. Jedes Konzept, jede Veranschaulichung erfordert Lernzeit, und parallele Konzepte können Verwirrung stiften.
  • Mehr desselben: Richtig, das kann es nicht sein. Professionelle Förderung erfordert eine genaue Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten und Stolpersteinen der Materie und dem Lern- und Entwicklungsstand und den Ressourcen des Kindes. Man spricht von der „Passung“ von Unterrichtsinhalt, Vermittlungsart und Voraussetzungen des Kindes.
    Die PH Bern (IWB) bietet Fachberatungen und Praxisbegleitgruppen zum Umgang mit LRS bzw. mathematischen Lernschwierigkeiten an. In diesem Rahmen erhält die Heilpädagogin/der Heilpädagoge Anregungen, wie die Förderung gestaltet werden könnte und welche ergänzenden Materialien und Veranschaulichungen sich eignen.

Bei der Diskussion um Dybuster geht es nicht so sehr um einen Expertenstreit zwischen Fachdidaktik und Neuropsychologie sondern viel mehr um ein unterschiedliches Lehr-/Lern- und Übungsverständnis. Dass Üben sinnstiftend und vernetzend sein muss, damit ein echter, anhaltender Kompetenzzuwachs im Sinn eines flexibel und sicher anwendbaren Wissens erfolgt, wird heute zunehmend durch neurologische Forschung belegt. Ein Teil der FachdidaktikerInnen vermutet dies schon lange und hat dieses Übungsverständnis ihren Konzepten (z.B. mathe2000) zu Grunde gelegt. Es wäre wünschenswert, dass bei der Entwicklung neuer Programme eine echte Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen stattfinden würde. Davon könnten insbesondere Kinder mit Lernschwierigkeiten profitieren.

Mit freundlichen Grüssen
Chicas

Liebe Chicas

ja, ich machte wirklich gute Erfahrungen mit Dybuster. Ich sehe aber die Einwände der PH durchaus auch. Deine differenzierten, kompetenten und verständnisvollen Antworten haben mich sehr gefreut, und mir die Bedenken der PH verständlich gemacht, herzlichen Dank! Deine letzten zwei Sätze gefallen mir besonders gut: „Es wäre wünschenswert, dass bei der Entwicklung neuer Programme eine echte Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen stattfinden würde. Davon könnten insbesondere Kinder mit Lernschwierigkeiten profitieren.“

Vielleicht gelingt ja eine Zusammenarbeit von Dybuster mit den pädagogischen Hochschulen. Das wäre ein grosser Gewinn!

Mit lieben Grüssen

Katrin