…war an meinem letzten Elternabend eine gestellte Frage, die mich etwas stutzen lassen hatte. Ich unterrichte an einer 3./4. Mehrjahrgangsklasse und das sehr gerne, einfach noch nicht lange. Am letzten Elternabend habe ich das Lehr- und Lernmittel MF vorgestellt (wurde ja in den Medien immer wieder gerne „diskutiert“). Ich versuchte auch, anhand des Rasters von lingualevel aufzuzeigen, welches Niveau die SuS in der 3. resp. der 4. Klasse erreichen sollten, und das auch im Bereich „Schreiben“. Da unterbrach mich eine Mutter sichtlich genervt und fragte: Wann lernen sie denn richtig schreiben? Das sei ja alles gut und recht, aber sie können ja gar nicht schreiben, und wenn sie dann ins Gymnasium müssten, dann gälten dann andere Anforderungen, das Schreiben sei dann wichtig, und wenn sie das dann noch nicht können, etc.etc.
Was antwortet man/frau da sachlich, und fachlich korrekt, wenn Eltern von Kinder in der 3./4. Klasse fragen, wann ihre Kinder schreiben lernen?
Die ganz einfache Antwort auf diese oft gestellte Frage lautet: Von Anfang an, ab der 3. Klasse. ABER: Schreiben lernen in ein langer und komplexer Prozess, der viel Zeit und Übung braucht, denn die SchülerInnen und Schüler brauchen dafür Wortschatz, Grammatik, Textaufbau/Struktur, … Die Rechtschreibung (darunter versteht „deine“ Mutter wohl das „richtig“ schreiben) stellt also nur ein kleiner Teil dar. Gerne verweise ich an dieser Stelle auf einen bereits zu diesem Thema bestehenden Beitrag Rechtschreibung lernen/bewerten, in dem sich eine Mutter an einem Elternabend besorgt darüber äussert, dass Rechtschreibung im Französisch „immer noch nicht bewertet wird“. Die Antwort darauf skizziert die Entwicklung des Schreib-Lernprozess und die dazugehörige Bewertung von der 3. bis zur 9. Klasse. Dort findest du auch das von dir erwähnte und am Elternabend verwendete Raster. Deshalb gehe ich davon aus, dass du die Frage sachlich und fachlich korrekt beantwortet hast.
Daneben könnte man auch anfügen:
dass für dich als Lehrperson der Lehrplan der Volksschule verbindlich ist, und sich die abnehmenden Schulen daran zu orientieren haben. Die Gymnasiallehrpersonen des Kantons Bern haben im vergangenen Schuljahr eine Weiterbildungssequenz besucht, in der sie sich über die Mehrsprachigkeitsdidaktik, die Lehrmittel, den Passepartout-Lehrplan und den sich daraus abgeleiteten Anforderungen, die man an eine/n SchülerIn beim Übergang ins Gymnasium stellen kann, informiert haben. Ab dem Schuljahr 2017/2018 wird zudem im Kanton Bern ein neuer Lehrplan für das Gymnasium eingeführt.
dass Schreiben auch am Gymnasium nur eine von vier Fertigkeiten ist, und dieser Fertigkeit in internationalen Sprachdiplomen (die auf der Sek II z.T. angestrebt werden) ¼ des Gewichtes beigemessen wird, wobei dort Korrektheit nochmals nur einen kleinen Teil ausmacht (5 von insgesamt 100 Punkten). Das gleiche sollte eigentlich auch für Aufsätze u.ä. gelten, wie sie an Gymnasien geschrieben und anhand von Kriterienraster beurteilt werden (sollten).
dass bei weitem nicht alle SchülerInnen der 3. Klasse später ans Gymnasium gehen werden, und Schreiben in einer Fremdsprache in der beruflichen Zukunft nur für wenige wirklich von Bedeutung sein wird. Zudem haben auch viele Erwachsene noch Mühe mit Schreiben, sogar in ihrer Muttersprache!
Also: Lasse dich nicht von ehrgeizigen Müttern und schlechten Medienberichten (die i.A. von immer gleichen AutorInnen stammen) verunsichern und bleib bei deiner professionellen Haltung. Last but not least: wenn du selber gerne mit dem Lehrmittel unterrichtest, dann wird der Funke auch auf deine SchülerInnen überspringen.
Auf was ich in diesem Zusammenhang noch hinweisen möchte ist, dass wir Lehrpersonen uns bewusst sein müssen, dass die heutige Generation der Eltern „Bonne-Chance-geprägt“ ist. Sie sind geprägt von ihren Erfahrungen und ihren Einschätzung wie man „richtig lernt“ und in welcher Art „richtig geschrieben“ wird. Und weil das neue Franzlehrmittel derart anders ist, sind Unverständnis und Ablehnung für „Normalbürger“ auch die „normale“ Reaktion.
Also können wir derzeit eigentlich bloss geduldig versuchen den Eltern Einblick zu geben ins Konzept und die Ideen des neuen Lehrmittels und so versuchen, den veränderten Stellenwert des „korrekt Schreibens“ darzulegen.