Guten Tag Frau Baur
An Ihrer Frage respektive derjenigen der Mutter am Elternabend lassen sich zwei Dinge beobachten, die im Zusammenhang mit dem Thema oft passieren: Erstens wird Schreiben auf Rechtschreibung reduziert, und zweitens werden die Aspekte Lernen, Üben und Beurteilen vermischt.
Da Ihre Formulierung vermuten lässt, dass es sich in Ihrem Fall um eine 5. Klasse handeln, Sie aber ihre Stufe nicht erwähnen und sich „Ihre“ Mutter um die Entwicklung bis ins Gymnasium sorgt, skizziere ich kurz die Entwicklung über die Stufen hinweg:
In der 3./4. werden die drei Fertigkeiten Hören, Lesen und Sprechen beurteilt. Schreiben wird, analog zu Deutsch auf der 1./2., in den ersten beiden Lernjahren noch nicht beurteilt. Trotzdem wird es immer wieder geübt, und es wird auf die Wichtigkeit hingewiesen, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, Wörter richtig abzuschreiben (insbesondere für ihren Fichier, wo das Abschreiben den Lernprozess unterstützt) und sie bei Bedarf auch im Wörterbuch nachzuschlagen. In der 5./6. wird dann Schreiben analog zu den anderen drei Fertigkeiten beurteilt, wobei man sich immer wieder in Erinnerung rufen muss, welches Niveau von den Schülerinnen und Schülern gemäss Lehrplan erwartet wird (siehe Lehrplan Passepartout S.6-7): Für Französisch Schreiben Ende 4. Klasse das Niveau A1.1, Ende 6. Klasse A1.2, d.h. auf der Primarstufe arbeitet man mit ihnen auf der tiefsten der sechs Niveaustufen (A1-A2-B1-B2-C1-C2). Hilfreich sind hier die Raster zu den entsprechenden Niveaustufen und Fertigkeiten, wie man sie in Lingualevel findet (siehe Anhang, wir arbeiten mit dieser Übersicht in den methodisch-didaktischen Kursen): Daraus geht hervor, dass Schreibkompetenz eben nicht nur das Kriterium Orthografie, sondern auch Wortschatz, Grammatik und Text umfasst, und Korrektheit auf den unteren Niveaustufen (bis und mit B1.1, d.h. bis Ende 9. Klasse) eine untergeordnete Rolle spielt; die Schülerinnen und Schüler können und sollen auch Hilfsmittel wie Wörterbücher zu Hilfe nehmen.
Zusammenfassend muss man also das Lernen und Üben vom Beurteilen trennen: Gelernt und geübt werden soll die schriftliche Produktion und als Teil davon auch die Rechtschreibung immer wieder, bei deren Beurteilung muss man sich aber an den Lehrplan halten und insbesondere, wenn es sich um freies Schreiben und komplexe Aufgaben (wie beispielsweise die tâche in Mille feuilles) handelt, Korrektheit nur zu einem geringen Mass berücksichtigen. Das diesem Beitrag beigefügte Raster sollte Ihnen helfen, eine entsprechende Beurteilung auch gegenüber kritischen Eltern zu begründen.
Gerne weise ich Sie zudem, wenn Sie im Bereich Beurteilung noch unsicher sind, auch auf die Beurteilungshilfe der ERZ hin, die für jede Stufe der Volksschule (3./4., 5./6., 7.-9.) entwickelt wurde und sich auf dem Fächernet befindet:
http://www.faechernet.erz.be.ch/faechernet_erz/de/index/fremdsprachen/fremdsprachen/unterricht/beurteilung1.htm
Ich hoffe, dass Sie mit meinen Ausführungen für den nächsten Elternabend oder folgende Elterngespräche gewappnet sind und würde mich über eine Rückmeldung dazu freuen,
coccinelle