Rechtschreibung lernen/bewerten

Guten Tag

Ich habe eine Frage betreffend Schriftlichkeit bei mille feuilles.
Während meines Elternabends wunderte sich eine Mutter sehr darüber, dass die Rechtschreibung im Französisch noch immer nicht bewertet wird. Sie wollte wissen, ab wann die Schülerinnen und Schüler auch die Rechtschreibung französischer Wörter lernen, ob das in der Sek sei oder erst im Gymnasium. Leider konnte ich ihre Frage nicht beantworten. Können Sie mir weiterhelfen?

Mit freundlichen Grüssen
Lara Baur

Guten Tag Frau Baur

An Ihrer Frage respektive derjenigen der Mutter am Elternabend lassen sich zwei Dinge beobachten, die im Zusammenhang mit dem Thema oft passieren: Erstens wird Schreiben auf Rechtschreibung reduziert, und zweitens werden die Aspekte Lernen, Üben und Beurteilen vermischt.

Da Ihre Formulierung vermuten lässt, dass es sich in Ihrem Fall um eine 5. Klasse handeln, Sie aber ihre Stufe nicht erwähnen und sich „Ihre“ Mutter um die Entwicklung bis ins Gymnasium sorgt, skizziere ich kurz die Entwicklung über die Stufen hinweg:
In der 3./4. werden die drei Fertigkeiten Hören, Lesen und Sprechen beurteilt. Schreiben wird, analog zu Deutsch auf der 1./2., in den ersten beiden Lernjahren noch nicht beurteilt. Trotzdem wird es immer wieder geübt, und es wird auf die Wichtigkeit hingewiesen, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, Wörter richtig abzuschreiben (insbesondere für ihren Fichier, wo das Abschreiben den Lernprozess unterstützt) und sie bei Bedarf auch im Wörterbuch nachzuschlagen. In der 5./6. wird dann Schreiben analog zu den anderen drei Fertigkeiten beurteilt, wobei man sich immer wieder in Erinnerung rufen muss, welches Niveau von den Schülerinnen und Schülern gemäss Lehrplan erwartet wird (siehe Lehrplan Passepartout S.6-7): Für Französisch Schreiben Ende 4. Klasse das Niveau A1.1, Ende 6. Klasse A1.2, d.h. auf der Primarstufe arbeitet man mit ihnen auf der tiefsten der sechs Niveaustufen (A1-A2-B1-B2-C1-C2). Hilfreich sind hier die Raster zu den entsprechenden Niveaustufen und Fertigkeiten, wie man sie in Lingualevel findet (siehe Anhang, wir arbeiten mit dieser Übersicht in den methodisch-didaktischen Kursen): Daraus geht hervor, dass Schreibkompetenz eben nicht nur das Kriterium Orthografie, sondern auch Wortschatz, Grammatik und Text umfasst, und Korrektheit auf den unteren Niveaustufen (bis und mit B1.1, d.h. bis Ende 9. Klasse) eine untergeordnete Rolle spielt; die Schülerinnen und Schüler können und sollen auch Hilfsmittel wie Wörterbücher zu Hilfe nehmen.

Zusammenfassend muss man also das Lernen und Üben vom Beurteilen trennen: Gelernt und geübt werden soll die schriftliche Produktion und als Teil davon auch die Rechtschreibung immer wieder, bei deren Beurteilung muss man sich aber an den Lehrplan halten und insbesondere, wenn es sich um freies Schreiben und komplexe Aufgaben (wie beispielsweise die tâche in Mille feuilles) handelt, Korrektheit nur zu einem geringen Mass berücksichtigen. Das diesem Beitrag beigefügte Raster sollte Ihnen helfen, eine entsprechende Beurteilung auch gegenüber kritischen Eltern zu begründen.

Gerne weise ich Sie zudem, wenn Sie im Bereich Beurteilung noch unsicher sind, auch auf die Beurteilungshilfe der ERZ hin, die für jede Stufe der Volksschule (3./4., 5./6., 7.-9.) entwickelt wurde und sich auf dem Fächernet befindet:
http://www.faechernet.erz.be.ch/faechernet_erz/de/index/fremdsprachen/fremdsprachen/unterricht/beurteilung1.htm

Ich hoffe, dass Sie mit meinen Ausführungen für den nächsten Elternabend oder folgende Elterngespräche gewappnet sind und würde mich über eine Rückmeldung dazu freuen,
coccinelle

Guten Tag coccinelle

Vielen Dank für Ihre ausführliche und hilfreiche Antwort.

Gerne wüsste ich noch, ab wann die Rechtschreibung beurteilt wird. Geschieht das ab der 7. Klasse oder erst im Gymnasium?

Freundliche Grüsse
Lara Baur

Guten Tag Frau Baur

Meine letzte Antwort beinhaltete auch die Antwort auf die Frage nach der Beurteilung der Rechtschreibung, wobei die Frage eben nicht lautet, ab wann, sondern wie, da man nicht von einer Stufe zur nächsten abrupt von 0 auf 100 wechselt.
Nehmen Sie das Raster, das meinem letzten Beitrag angehängt ist, und schauen Sie in der Kolonne „Orthografie“ die Niveaus von A1.1 (Ende 4. Klasse), A1.2 (Ende 6. Klasse), A2.1 (Ende 7. Erweiterte Anforderungen resp. Ende 8. Grundanforderungen), A2.2 (Ende 8. Erweiterte Anforderungen) und B1.1 (Ende 9. Erweiterte Anforderungen) durch. Daraus geht hervor, wie man Rechtschreibung als ein Kriterium von vieren innerhalb der Fertigkeit Schreiben beurteilen sollte, resp. wieviel Korrektheit in der Rechtschreibung erwartet werden kann.

Freundliche Grüsse, coccinelle

Guten Tag coccinelle

Vielen Dank für Ihre genauen Ausführungen! Dies hat mir geholfen, ein paar Fragen zum Thema Rechtschreibung zu klären. Eine ist noch offen geblieben und diese stelle ich Ihnen gerne (hat sicher auch einen Zusammenhang mit dem Beitrag „Quizlet, was genau, und sinnvoll?“).

Meine SuS brauchen sehr lange, bis sie die Wörtli gemäss Lehrmittel auf ihre Fichierkarten übertragen haben. Ich habe ausserdem die fichierkarten mehrheitlich für Vocispiele benutzt, sie sind daher nicht in einem regen Gebrauch. Ich bin gerade ein bisschen ratlos, wie ich mit dem fichier weiterfahren soll. Sollen die SuS nach wie vor viel Zeit investieren, um ihre Vocikärtchen zu schreiben? Rechtfertigt diese Schreibtätigkeit das Erfassen des Wortes, auch wenn es nur 1x geschrieben wird? Wie sehen Varianten wie das s-fichier, Quizlet Kartensets erstellen (abgestimmt auf die parcours) aus?

Momentan mache ich es so, dass ich die Mehrheit der Vociwörtli in mündliche Spiele einbaue und die SuS diese rege verwenden müssen (dies klappt auch sehr gut und die Kinder sind sehr motiviert!). Die Rechtschreibung spielt in diesem Fall jedoch keine Rolle, ich achte auf die korrekte Verwendung der Sätze (z.B. Cet animal est brun) und helfe wenn nötig mit der Aussprache.

Was sind Ihre Gedanken dazu?

Vielen Dank für die Antwort.

Liebe Grüsse
valora

Liebe/r valora

Vielen Dank für Ihre wertschätzenden Rückmeldung zu bisherigen Beiträgen rund um Rechtschreibung und Wortschatz.
Aus Ihrem Beitrag schliesse ich, dass Sie auf der 3./4. unterrichten, und da ist es sicher richtig, dass der Fokus auf dem Mündlichen inklusive Aussprache liegt. Die SchülerInnen und Schüler sollen die Wörter möglichst oft primär mündlich spielerisch üben.
Was das Erstellen der Fichierkarten und das Üben der Rechtschreibung betrifft, geben ich Ihnen gerne folgende Gedanken mit: Erst kürzlich habe ich wieder gelesen, dass das Schreiben von Hand dem Eintippen überlegen ist, was das Verstehen und Behalten betrifft. Und wenn die Schülerinnen und Schüler die Karten sowohl fürs individuelle Lernen als auch für Wortschatzspiele wiederverwenden können, kann sich die Zeitinvestition beim Schreiben von Hand durchaus lohnen. Anderseits gibt es, wie von Ihnen erwähnt, auch die Möglichkeit, eine elektronische Plattform einzusetzen, mit der Wörter sowohl mündlich als auch schriftlich trainiert werden können, was das zeitaufwändige Erstellen von eigenen Fichierkarten ersparten. Zudem können Sie die Schülerinnen und Schüler die Wörter auch ab und zu gegenseitig schriftlich abfragen und korrigieren lassen, oder eine spielerische Übungssequenz einbauen, in der auch das Schreiben zum Zug kommt (z.B. in einem Kreuzworträtsel).
Dass bereits ab der 3.Klasse das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Laut und Schrift geschärft und in diesem Zusammenhang auch die Rechtschreibung geübt wird, ist wichtig, denn über die Schuljahre hinweg steigt der Anspruch an Korrektheit, und was vorher nicht oder kaum geübt wurde, kann nicht plötzlich auf einer neuen Stufe vorausgesetzt werden. Das bedeutet aber nicht, dass bereits im Anfängerunterricht eine perfekte Rechtschreibung erwartet wird – die Fehlertoleranz bleibt, insbesondere beim Schreiben von ganzen Sätzen oder gar Texten, hoch. Und wird Schreiben summativ beurteilt, soll der Inhalt mindestens so stark gewichtet werden wie die Sprache, und bei letzterer die Rechtschreibung als ein Kriterium unter anderen berücksichtigt werden, auf dem vom Lehrplan eingeforderten Niveau (Ende 4. Klasse: A1.1, siehe z.B. Beitrag « Beurteilung Schreiben Franz 3./4. mit LP21»).

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern weiterhin viel Erfolg und Spass beim Wortschatzlernen,

coccinelle

Guten Abend coccinelle

Vielen Dank für Ihre Ausführungen! Es ist richtig, dass ich auf der 3./4. Klasse unterrichte. Momentan habe ich 4. Klässler.

Dank Ihrer Antwort weiss ich jetzt wie weiter - merci! Ich bin nun motiviert, mit den fichier-Kärtchen bekannte und unbekannte Spiele zu spielen und auch Spiele einer anderen Art (Kreuzworträtsel) einzubinden.

Die anderen Beiträge werde ich mir in Ruhe mal noch anschauen, danke für den Hinweis. :slight_smile:

Salutations
valora