Liebes Forum, muss ich eigentlich Hausaufgaben erteilen?
Es besteht nach Lehrplan keine Vorschrift, Hausaufgaben erteilen zu müssen. „Sofern Hausaufgaben erteilt werden“, steht weiter im Lehrplan 95, „dürfen bei der zeitlichen Bemessung folgende Werte nicht überschritten werden.
1./2. Klasse 1 ½ Stunden pro Woche
3./4. Klasse 2 Stunden pro Woche
5./6. Klasse 3 Stunden pro Woche
7.–9. Klasse 4 Stunden pro Woche“
Weil Hausaufgaben aber meist ortsüblich sind, gilt es v.a. zwei Punkte bei der Erteilung zu beachten:
- zeitliche Richtlinien einhalten (alle Lehrpersonen, die an der Klasse arbeiten miteinbeziehen)
- die Art der Hausaufgaben variieren (z.B. nicht stets Arbeitspläne „fertigmachen“)
Besonders geeignet sind vorbereitende Hausaufgaben, die im Unterricht aufgenommen, wertgeschätzt und weiter bearbeitet werden.
Es empfiehlt sich, die Thematik auch im Kollegium zu diskutieren und gemeinsame Eckpfeiler zu formulieren.
Das bei uns seit Jahrzehnten bestehende Thema Hausaufgaben ist eng verbunden mit dem selektiven öffentlichen Schulsystem.
Das selektive Schulsystem muss Schülerinnen und Schüler zwingend nach willkürlichen prognostischen Kriterien verschiedenen Leistungsstufen zuordnen (Äussere Differenzierung). Dabei übergibt die Schule einen Teil der Verantwortung für die Hausaufgaben den Eltern, von denen einige damit überfordert sind.
Was dazu führen kann, dass finanzkräftige Eltern ihre Kinder ab der 2. Primarklasse in kostenpflichtige Privatstunden schicken.
Auf der Oberstufe in der Stadt Bern besuchen bis zu 50% einer Sekundarklasse bezahlte Nachhilfestunden.
Der Schulerfolg eines Kindes wird dadurch abhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern.
Was klar gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstösst (Bundesverfassung).
Kinder in Finnland haben Hausaufgaben, aber während 9 Jahren keinen selektiven Übergang (= Innere Differenzierung). Ein Hinweis, dass eine selektionsfreie öffentliche Schule möglich ist, mit international anerkannt hohen Schülerleistungen.
Und mit Hausaufgaben, welche dem einzelnen Kind entsprechen.
Treten Schwierigkeiten auf, helfen die Lehrpersonen.
Bezahlter Nachhilfeunterricht würde in Finnland als Bankrotterklärung der öffentlichen Schule verstanden.
Solange wir ein selektives Schulsystem haben, sind Energie raubende Konflikte mit Hausaufgaben nicht zu vermeiden.
Ich denke Hausaufgaben sind nicht etwas Schlechtes, es hilft den Schülern und bei uns ist es im Lehrplan festgelegt.
Im LP21 sind die Zeiten für Hausaufgaben stark reduziert, im Vergleich mit dem LP 95:
Zyklus 1 ohne KG: 30 Min pro Woche, ergibt 5 Min. pro Tag bei einer 6-Tage Woche
Zyklus 2: 30 bis max. 45 Min.: 5-8 Min pro Tag
Zyklus 3: 90 Min.: 15 Minuten pro Tag
Zusätzlich heisst es: Lehrpersonen können auch ganz auf das Erteilen von Hausaufgaben verzichten.
Klare Signale des LP 21, äusserst sparsam mit Hausaufgaben umzugehen. Wenn überhaupt.
Ob das selektive System diese Reduktion zulässt, bezweifle ich.
Ich unterrichte auf Stufe Sek II (Gymnasium und Fachmittelschule), wo sich die Frage der Selektion nicht mehr in gleicher Weise stellt. Vielleicht würde es sich lohnen, die Diskussion auch in dieser Richtung zu öffnen.
Meiner persönlichen Meinung nach können Hausaufgaben schon ihren Sinn haben, aber ich sehe sie recht ambivalent und setze sie recht sparsam ein.
Positiv an Hausaufgaben ist das Signal an die S.: ‚Beschäftigt Euch bitte gelegentlich mit den Unterrichtsinhalten auch ausserhalb der Unterrichtszeit, und zwar nicht erst am Abend vor einer Probe!‘ Wenn man eine Klasse vielleicht nur zweimal in der Woche sieht, kann man mit HA idealerweise für etwas mehr Kontinuität sorgen.
Negativ Ist: Wenn man HA stellt, muss man sie auch kontrollieren, und das kostet nun wieder Unterrichtszeit.
Wichtig scheint mir noch der Schwierigkeitsgrad - und wie man sie kommuniziert. Ich stelle in meinem Fach (Math) nur Hausaufgaben, bei denen ich guten Gewissens den S. sagen kann: ‚Das solltet Ihr ohne grössere Probleme können.‘ Also weiterer Übungsstoff, um im Unterricht behandelte Methoden und Aufgabentypen noch mehr zu trainieren. Oder aber ich sage ausdrücklich: ‚Versucht, diese Aufgabe zu lösen; denkt darüber nach, wie es gehen könnte. Vielleicht kommt Ihr darauf, vielleicht auch nicht - wichtig nur, dass Ihr Euch ernsthaft damit beschäftigt habt.‘ Dann erwarte ich von den S., dass sie mir in der nächsten Lektion sagen können, was sie versucht haben
Grundsätzlich sind vorbereitende Hausaufgaben sinnvoll und lernwirksam. Wenn Schülerinnen und Schüler merken, dass ihre Gedanken in folgenden Lektionen aufgenommen und weiterentwickelt werden, ist das auch motivierend.
„Fertig machen“ sollte höchstens als Disziplinierungsmassnahme eingesetzt werden.
Unterstützen möchte ich die Aussage von Peter, dass sich die Lernenden auch ausserhalb des Klassenzimmers mit Unterrichtsinhalten beschäftigen sollen. Dazu braucht es denkanregende Aufträge, die von allen in Angriff genommen werden können (es müssen nicht immer perfekte Lösungen sein!). Je vielfältiger die einzelnen Strategien der Lernenden ausfallen, desto mehr kann eine Klasse profitieren.
Kontrolle: Sind es vorbereitende Hausaufgaben, wird relativ schnell klar, wer sich mit den Inhalten beschäftigt hat und wer nicht. Bei Vertiefungshausübungen haben sich in meinem Unterricht Peer-Coachings bewährt: In einer kleinen Gruppe (max. 4) werden die Lösungen angeschaut, verglichen, besprochen, korrigiert. Ich als Lehrperson kann zuhören, beobachten, z.T. begleiten. Stellen sich bei ein oder mehreren Aufgaben Probleme, kann ich es im Klassenunterricht aufnehmen.
Teilweise Wiederholung: Das Grundproblem bei den Hausaufgaben besteht meines Erachtens darin, dass sie mithelfen können, sozial bedingte Unterschiede zwischen den Lernenden zu verstärken. Es gibt Oberstufenklassen in der Stadt Bern, in denen bis 50% der Schülerinnen und Schüler bezahlte Nachhilfestunden besuchen. Rund um das Thema „Hausaufgaben“ der Volksschule besteht ein florierender Markt, der sich dem Einfluss der Lehrpersonen entzieht, der Ungleichheiten fördert.
Eine Situation, die dem Auftrag der Volksschule diametral entgegengesetzt ist, indem ihr die Kontrolle über die optimale individuelle Förderung der Lernenden zum Teil entgleitet. Der Bildungserfolg hängt dann ab von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern. Persönlicher Hintergrund: Mehrjährige Beobachtungen an 10. Schuljahr (individuelle Lernförderung).
Sind es wirklich die Hausaufgaben, die „Schuld“ für externe, bezahlte Unterstützung sind? Wird der Erfolg wirklich grösser, wenn Schüler Nachhilfe erhalten? Nachhilfeunterricht wird oft wegen dem Übertritt Zyklus 2 zu 3 oder/und für die Berufswahl in Anspruch genommen, was wenig mit den Hausaufgaben zu tun hat, eher mit dem erwarteten Erfolg. Darauf haben wir keinen Einfluss und ja, Bildungserfolg hat (leider zu) viel mit dem Elternhaus zu tun.
Wie ich vorgängig beschrieben habe, würden durch vorbereitende Hausaufgaben weniger Nachteile für Lernende aus bildungsfernen Familien entstehen. „Fertig machen“ von Plänen, Ausgleich von Defiziten (schon im LP95 untersagt!) werden hoffentlich ab Sommer 2018 der Vergangenheit angehören.
Hausaufgaben sind Teil des ungelösten Dilemmas der Volksschule: Fördern, fordern UND auslesen/selektionieren/diskriminieren. Dieses anspruchsvolle Dilemma überlässt der LP 21 den Kantonen.