HFP2 Zusammenarbeitsstruktur

Existieren irgendwo Vorschläge und/oder Grundlagen für die konkrete und praktische Zusammenarbeit und Kooperationsstruktur aller Fachpersonen die für ein Integrationsprojekt aus dem Pool 2 engagiert sind?

Mir fällt auf, dass der ganze Ablauf geregelt ist, bis zum Projektstart (Runder Tisch) und mir scheint, dass für die Projektzeit selber keine verschriftlichten Grundlagen oder Empfehlungen zur Verfügung stehen (Ausgenommen das Beratungsangebot des Pool 2). Stimmt das?

Liebes Adlerauge,
mit Deiner Frage thematisierst Du ein wichtiges und in letzter Zeit häufig angesprochenes Bedürfnis. Rund um integrativ beschulte Schülerinnen und Schüler (SuS) allgemein, bilden sich häufig recht komplexe interdisziplinäre Netzwerke von Fachpersonen. Diesbezüglich die jeweiligen Rollen und Funktionen und damit die „Spielregeln“ zu definieren, die die Zusammenarbeit regulieren sollen, ist sicher eine entscheidende Gelingensbedingung.
Grundsätzlich handelt es ich bei der Integration von SuS des Pool 2 nicht mehr um Projekte, sondern um den Regelfall. Damit ist eines klar, nämlich das die Hauptverantwortung für die Beschulung dieser Kinder bei der jeweiligen Schulleitung liegt, mit allen Rechten und Pflichten, die dadurch gegeben sind.

Welche konkreten Ebenen der Zusammenarbeit beschäftigen Dich besonders, vielleicht magst Du dazu noch ein paar Worte schreiben? Ich nehme an, in jedem Fall die der unterrichtsbezogenen Zusammenarbeit. Hier geht es bezogen auf SuS, die dem Pool 2 zugeordnet sind, eigentlich um die gleichen Themen wie in der Integration ganz allgemein. Daher möchte ich Dich auf folgende Publikation hinweisen, die sich genau mit dieser Thematik beschäftigt und in der Du möglicherweise interessante Anregungen findest.

http://www.phbern.ch/fileadmin/user_upload/Forschung_und_Entwicklung/Dokumente/nr2_unterricht_zusarbeit.pdf

Was die Zusammenarbeit der involvierten Fachpersonen/Fachstellen mit der Schule und untereinander anlangt, so würde ich sagen, dass es dazu regional eingespielte und bewährte Abläufe gibt, in die nun neu das von Dir erwähnte Beratungsangebot, Heilpädagogische Fachberatung Pool 2 (HFP2) der PHBern, einzubinden ist. Dazu laufen derzeit entsprechende Gespräche der Fachstellen untereinander. Ergebnisse daraus, die für die schulische Praxis relevant sind, werden in Form von Empfehlungen oder Merkblättern, häufig via Erziehungsdirektion, bekannt gemacht. In der Hoffnung, dass ich mit diesen Hinweisen den Kern Deines Anliegens getroffen habe verbleibe ich mit

lieben Grüssen
Adhei

Ich habe das Papier „Unterrichtsbezogene Zusammenarbeit“ gelesen. Es ist sehr Aufschlussreich, danke.

Weitere Fragen:

Unterschied Regelfall/Projekt: Im Protokoll des runden Tischs vom August 2012 ist ausdrücklich von einem „Integrationsprojekt“ die Rede. Die Lektionenzahl, so heisst es, gilt nur für das Jahr 2012/13 dann erfolge eine Neubeurteilung der Situation. Welche weiteren Schlüsse sind aus dieser Unterscheidung zu ziehen?

Gibt es Erfahrungen aus konkreten Zusammenarbeitsmodellen, z. Bsp: Begleitung der Lehrpersonen und Heilpädagogen durch eine Fachperson über eine lange Zeitdauer?

Gibt es Literatur und/oder praktische Hinweise zu was „systemisch“ Unterricht konkret heissen kann?

Liebes Adlerauge,
es freut mich zu hören, dass die Lektüre der Broschüre lohnenswert war.

Doch nun zu Deinen weiteren Fragen. Dass es mindestens einmal pro Schuljahr zu einer Neubeurteilung der Unterstützungsbedürfnisse von Schülerinnen und Schüler (SuS ) des Pool 2 und einer dementsprechenden Lektionenzuweisung kommt, ist vollkommen richtig. Es kann auch gut sein, dass in diesem Zusammenhang der Begriff Integrationsprojekt gebraucht wird. Mir ging es lediglich darum deutlich zu machen, da es sich hier nicht um einen zeitlich begrenzten Versuchslauf handelt, so könnte man den Begriff Projekt ja durchaus verstehen. SuS sind Lernende der Regelschule, das scheint mir zentral.

Du fragst ausserdem nach Erfahrungen bezüglich der langfristigen fachberaterischen Begleitung von Lehrpersonen und schulischen Heilpädagoginnen und –pädagogen, die unterrichtsbezogen zusammenarbeiten. Ich hoffe, ich fasse dein Anliegen so richtig auf. Ja, diese Erfahrungen gibt es in vielfältiger Form. Beispielsweise die Integrationsprojekte in den deutschsprachigen Nachbarländern , die in den 1980er Jahren starteten, wurden alle über viele Jahre nicht nur erforscht, sondern eben auch intensiv fachlich beraterisch begleitet und werden das in vielen Fällen, in veränderter Form, noch heute . In Wien wird die stadtweite schulische Integration von SuS mit Autismus ebenfalls durch umfassende fachliche Beratung und gezielte Fortbildungsangebote abgestützt.

Prozesse im Unterricht aus systemischer Perspektive zu betrachten bedeutet eine Grundhaltung einzunehmen, die beispielsweise sog. Verhaltensstörungen als Störungen der Verhältnisse , als Ausdruck dysfunktioaler sozialer Austauschprozesse betrachtet und nicht als Symptomatik einer nur dem einzelnen Lernenden zuzuschreibenden Störung. Neben der in der Broschüre erwähnten Literatur wäre sicher auch ein Blick in folgende Publikationen weiterführend:

Wettstein, A. (2008). Beobachtungssystem zur Analyse aggressiven Verhaltens in schulischen Settings (BASYS). Bern: Huber. Kapitel Intervention.
Wettstein, A. & Thommen, B. (2007). Unterrichtsstörungen stören. Darstellung und Begründung eines Interventionsmodells auf ko-konstruktivistischer Grundlage. Sonderpädagogik, 3, 156-164.
Molnar, A. & Lindquist, B. (2002). Verhaltensprobleme in der Schule. Lösungsstrategien für diePraxis. 7. Auflage. Dortmund: Borgmann.

Schöne Weihnachtstage, mit nicht nur fachlicher Literatur
Adhei

hallo

ich interessiere mich in dem Zusammenhang mit der Integration auch um die Spielregeln der Zusammenarbeit zwischen LP und Eltern. gibt es da auch exsistierende Hilfestellungen/Materialien/Broschüren? wie weit ist eine Zusammenarbeit (er-)tragbar?
Bsp. in meiner Kindergarten-Klasse habe ich ein Kind, welches seit Geburt IV hat. die Eltern haben uns LP’s darüber bei der Einschulung nicht informiert. inzwischen sind einige Elterngespräche und eine EB-Anmeldung zur Abklärung des Entwicklungsstandes unternommen worden, aufgrund der auffallenden Beobachtungen im Unterricht. Die Eltern zweifeln aber sehr an unserer Fachkompetenz als LP’s und finden ihr Kind falle nur so fest auf, weil das Niveau einfach zu hoch sei. ich finde diese Situation für eine positive und gelingende Zusammenarbeit sehr schwierig und im Moment auch recht belastend. Es fehlt vollkommen das Vertrauen der Eltern in uns LP’s, sowie auch wir in die Eltern das Vertrauen nach und nach verlieren, da sie die involvierten Personen untereinander ausspielen. ich bin inzwischen soweit, dass ich den Eltern kommuniziere, dass ich Informationen von anderen Fachpersonen nur noch aus direkter Hand und persönlich entgegen nehme.usw…

danke für die Infos und Tipps
anjetta

Liebe Anjetta
vielen Dank für Ihre Rückmeldung auf eine frühere Frage zur Integration. Schön, dass Sie Ihre Erfahrungen dazu einem weiteren Kreis von Lehrpersonen zugänglich machen. Ihre eingangs gestellte Frage habe ich an die entsprechende Expertin weitergeleitet und bitte Sie noch um einen Moment Geduld.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.

Liebe Anjetta,
die Zusammenarbeit zwischen Eltern eines - in Deinem Fall offenbar - behinderten Kindes und Fachpersonen, ist ein interessantes und sehr komplexes Themenfeld. Es gibt dazu nicht viele Forschungen und Publikationen, die existierenden sind dafür aber recht aufschlussreich. Du findest entsprechende Hinweise am Ende meiner Antwort.

Zunächst eine kleine Frage: Mir ist nicht ganz klar, was Du meinst, wenn Du schreibst, das Kind habe von Geburt an IV. Heisst das, es liegt bereits eine IV-anerkannte Diagnose vor und nun werden weitere Abklärungen bei der EB eingeleitet? Ich gehe jetzt einmal davon aus und antworte in diesem Sinne.

Ich entnehme Deiner Schilderung, dass sich die Zusammenarbeit, die Du aktuell erlebst, als sehr herausfordernd für Dich/Euch darstellt, es erscheint z.B. schwer nachzuvollziehen, warum die Eltern die Behinderung ihres Kindes nicht offengelegt haben. Du vermisst vor allem Vertrauen. Aus Deiner Perspektive kann ich das gut nachvollziehen. Doch wie sieht die Situation aus dem Blickwinkel der Eltern aus?

Als Eltern ein Kind mit einer Behinderung zu begleiten, bedeutet häufig schmerzhaft Abschied von bestimmten Erwartungen und Träumen in Bezug auf dessen Entwicklung, das Zusammenleben in der Familie und die Gestaltung der eigenen Zukunft nehmen zu müssen. Dieser Prozess kann sehr anstrengend sein und braucht viel Zeit oder ist unter Umständen nie abgeschlossen. Es kann bedeuten, plötzlich für Etwas zuständig zu sein, wofür sich Mutter und Vater gar nicht kompetent fühlen. Mit einer Diagnose für das eigene Kind konfrontiert zu werden, löst nicht selten phasenweise Auflehnung gegen „das Urteil“ der Ärzte oder Psychologen aus. Die Eltern denken vielleicht, das stimmt doch alles nicht, was mir die Fachleute da einreden wollen, denen beweisen wir jetzt das Gegenteil. Vielleicht haben also die Eltern in deinem Fall die Diagnose verschwiegen, weil ihnen so ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen. Möglicherweise möchten sie ihr Kind aber auch auf diese Weise beschützen, sie fürchten unter Umständen, dass es sich nachteilig auswirken könnte wenn sie „die Karten gleich auf den Tisch legen“.

Wie auch immer, zu entscheiden, was für das eigene Kind das Beste ist, haben wohl schon viele Eltern als grosse Herausforderung erlebt. Ich stelle mir vor, dass die diesbezüglichen Anforderungen an Eltern eines Kindes mit einer Behinderung noch viel grösser sein können.

Ich arbeite sehr viel mit Eltern zusammen, die mit ein Kind mit einer Behinderung zusammen leben. Mir hat in diesem Kontext sehr geholfen, immer davon auszugehen, dass diese Eltern gute Gründe für ihr Verhalten haben und in erster Linie zum Wohle ihres Kindes handeln, auch wenn das auf den ersten Blick aus unserer Sicht nicht so scheinen mag.

Die Eltern, von denen Du berichtest, wollen vermutlich nicht Dich/Euch angreifen oder ausspielen. Ich nehme eher an, dass Sie sich selber in höchstem Masse durch die Situation in der sie stecken bedroht fühlen und wahrscheinlich grosse Angst haben, dass sich die Dinge nicht im Interesse ihres Kindes entwickeln.

Was diese Überlegungen wohl bei Dir auslösen? Könnte es vielleicht sinnvoll sein, zusammen mit den Eltern fachliche Beratung beizuziehen, um die Situation zu entspannen?

Vielleicht höre ich wieder von Dir. Es würde mich freuen.

Liebe Grüsse
Adhei

Literatur:
Eckert, A. (2002). Eltern behinderter Kinder und Fachleute – Erfahrungen, Bedürfnisse, Chancen. Bad Heilbrunn: Klinkardt
Eckert, A., Sodogé, A. & Kern, M. (2012). Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenarbeiten ein Erfolg. Kriterien für eine gelingende Zusammenarbeit von Eltern und sonderpädagogischen Fachkräften im schulischen Kontext. Sonderpädagogische Förderung heute, 27 (1), 76-90
Kern, M.; Sodogé, A.; Eckert, A.(2012). Die Sicht der Eltern von Kindern mit besonderem Förderbedarf auf die Zusammenarbeit mit den heilpädagogischen Fachpersonen. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik. Heft 10, S.36-42
Ziemen, K. (2003). Kompetenzen von Eltern behinderter Kinder. Frühförderung interdisziplinär, 22/1, S. 28-37
Ziemen, K. (2010). Kompetenzen von Eltern behinderter Kinder. [on-line verfügbar] http://www.assista.org/files/Ziemen-Vortrag.pdf: [Stand: 3.10.10]

Danke Adhei für die ausführliche Antwort und Gedanken sowie Literaturangaben. ich werde da gerne in dieses oder jenes mal reinschauen.

in Bezug auf die Eltern versuchte ich im Gespräch natürlich schon mein Verständnis für ihre schwierige Situation entgegen zu bringen. und was sie geschrieben haben, ist mir völlig klar, dass dies für die Eltern überhaupt nicht einfach ist. (ich hatte auch schon mehrere Eltern mit „behinderten“ Kindern in der Klasse zur Integration.
trotzdem musste ich mich auch etwas „schützen“ und ich habe mit meiner Arbeitskollegin und den Eltern noch mal ein klärendes Gespräch abgemacht und dazu die Schulleitung zur Unterstützung eingeladen. Dieses Gespräch hat viel geholfen, aber war halt nicht ohne indirekte Vorwürfe der Eltern geblieben.

nun bin ich gespannt wie das Schlussgespräch auf der EB verlaufen wird, zu dem uns die Eltern jetzt doch dabei haben möchten. was ich sehr positiv finde, da wir ja alle jetzt gemeinsam weiterschauen müssen, was das beste für das Kind ist und welche Möglichkeiten überhaupt vorhanden sind.

liebe Grüsse
Anjetta

Liebe Anjetta,
ich danke für die Rückmeldung. Mir scheint der Einbezug der Schulleitung eine sehr gute Massnahme und es freut mich, dass er unterstützend wirken konnte. Für das Gespräch bei der EB wünsche ich einen zukunftsorientierten, alle Beteiligten stärkenden und insofern versöhnlichen Verlauf. Welche Optionen sich durch das Gespräch wohl ergeben werden?

Liebe Grüsse
Adhei