Liebe Adhei,
ganz lieben Dank für deine Hilfestellungen!
Den TEACCH-Ansatz habe ich nicht gekannt.
Ich bin froh über den Hinweis darauf, und ich habe dadurch bereits sehr wertvolle Hinweise für meine Arbeit gewonnen!
ich habe heute die 9. Lektion (3.Woche) an der Klasse mit einem Kind mit Asperger Syndrom erlebt.
Im folgenden nenne ich dieses Kind Lisa. (Name geändert.)
Den Klassenlehrer nenne ich Theo. (Name geändert.)
In dieser Woche hat sich bei mir etwas verändert. Während ich zu Beginn den stark durchstrukturierten und lehrerzentrierten Unterricht als einengend empfunden habe, erlebe ich ihn nun als eine Wohltat. Die Atmosphäre in der Klasse ist sehr ruhig und wohlwollend. Eine engagierte, konzentrierte Arbeitsatmosphäre ermöglicht ein vertieftes Eingehen auf den Stoff. Dies vermittelt das Gefühl in diesem Klassenzimmer gut aufgehoben zu sein. Struktur verschafft eine Klarheit die es ermöglicht, sich wirklich auf seinem Stuhl hinzusetzen, zu entspannen und sich einzulassen.
Da ich in diesen ersten 9 Lektionen einfach mal zuschauen und hie und da zudienen konnte, wurde mir bewusst, dass die angenehme Atmosphäre im Schulzimmer stark geprägt ist von Theos Persönlichkeit. Es ist spürbar, dass er seinen Unterricht ganz auf die Bedürfnisse von Lisa ausrichtet, und dies mit einer sehr einfühlsamen und liebevollen Haltung. Die Aussage, dass dieser lehrerzentrierte Unterricht etwas starr wirkt muss ich korrigieren: Da Theo viel Engagement und Begeisterung für das zu behandelnde Thema ausstrahlt, in der Klasse sehr präsent ist und auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingeht, ist dieser Unterricht doch sehr lebendig. Es ist die Persönlichkeit Theos und sein Humor, die diese stille und konzentrierte Lebendigkeit, fokussiert auf das Unterrichtsthema, prägt.
Ich sehe jetzt, dass stark strukturiertes und lehrerzentriertes Unterrichten ein Aspekt von Unterrichten ist, der allen Kindern gut tut. Insofern ist es wahr, dass Kinder mit Asperger Syndrom eine Qualität in die Klasse hinein bringen, die den grundsätzlichen Bedürfnissen aller Kinder gerecht wird.
Heute konnte ich mit Theo austauschen, welche Themen wir in der Zukunft angehen könnten: Soziales Verhalten, Beziehungen, Gefühle, selbständiges Arbeiten. Wir haben uns aber darauf geeinigt, langsam und behutsam vorzugehen. Ich finde es gut, die Unterrichtsstruktur wie sie jetzt eingeführt ist beizubehalten, damit sie einen sicheren und vorhersehbaren Rahmen für Lisa bieten kann.
Theo hat zudem einen farbigen Stundenplan entworfen, aus dem ersichtlich wird, welche Arbeitsform oder welche Themen jeweilen in einer Lektion im Zentrum stehen. Auf diesem Plan ist angegeben, in welcher Singstunde gesungen oder Theorie erarbeitet wird, wann in Deutsch gelesen oder geschrieben wird. Das finde ich eine sehr schöne Idee!
Ich bin sehr froh, dass Theo so überlegt und verantwortungsvoll in dieses neue Schuljahr mit Lisa eingestiegen ist.
Ich wäre wahrscheinlich experimentierfreudiger vorgegangen und hätte dadurch zwar herausgefunden, was geht und was nicht, hätte damit aber auch unnötige Verwirrung gestiftet.
Es ist dies mein erstes Asperger-Kind, das ich in einer Klasse begleite. Obwohl ich natürlich darüber gelesen habe sehe ich nun, dass ich erst in der Praxis wirklich verstehe, worum es bei dieser Aufgabe geht.
Was ich bisher gelernt habe ist, dass es wichtig ist, die Situation in der Klasse zuerst so klar und strukturiert wie möglich zu gestalten und dann behutsam und achtsam den Raum für neue Herausforderungen zu öffnen.
Nun möchten wir natürlich wissen, wie es unserer Lisa eigentlich geht.
Das Kind fällt in der Klasse überhaupt nicht auf. Niemand könnte es im Klassenverband als KInd mit Asperger Syndrom erkennen. Wir werten dies als gutes Zeichen.
Wie es aber in Lisa drin aussieht, das wissen wir nicht.
Es stellt sich die Frage, wie wir dies herausfinden können.
Theo hat mir heute die Aufgabe gestellt, in einer der nächsten Lektionen eine Unterrichtseinheit zu gestalten, in der die Schüler die ersten Schulwochen reflektieren und ihre Erfahrungen und Bedürfnisse formulieren können.
Am liebsten würde ich Lisa beiseite nehmen und sie fragen, wie es ihr geht, was ihr gefällt, was nicht und was sie braucht. Ich möchte aber verhindern, dass sie dadurch auffällt. Ich weiss, dass sie wie wie alle anderen Kinder behandelt werden möchte. Mit allen Kindern kann ich das aber wohl kaum bewältigen, da die Zeit dafür nicht reicht. (Oder doch?)
(Ausserdem möchten wir natürlich wissen, wie die anderen so genannt „normalen“ Kinder die Schule erleben!)
Ich bin auf der Suche nach einem geeigneten Instrument, das die Strukturierung einer Reflexion der eigenen Befindlichkeit in Bezug auf die Schule erfassbar macht.
Kennt jemand geeignetes Unterrichtsmaterial zu diesem Thema?
Wer hat Ideen/Erfahrungen?
Welche Aspekte wären in Bezug auf Lisa von besonderer Bedeutung?
Und noch eine Frage:
Theo hat bisher (in den Klassen, die er früher begleitet hat), alle drei Wochen jedem Kind eine/n neue/n Pultnachbarn/in zugewiesen, damit sich alle Kinder begegnen, kennen lernen und zusammen arbeiten.
Wir sind uns nicht sicher, ob dies für Lisa gut ist.
Ich tendiere einerseits dazu, es auszuprobieren, weil ich diese Idee für die Kinder sehr wertvoll finde.
Andererseits finde ich es unklug, Lisas gewonnene Sicherheit zu stören.
Was meint ihr dazu?
Vielleicht gibt es Hinweise, wie wir das Wechseln des/r Pultnachbarn/in geschickt begleiten können, so dass es auch für Lisa eine Bereicherung sein kann?
Ich freue mich auf euer Mitdenken, eure Hinweise und auf eure Hilfestellungen!
Ich bin sehr froh darüber, dass es dieses Forum gibt!
Es ist ein gutes Gefühl, als Gruppe an den selben Interessen zu arbeiten.
Und am meisten freue ich mich, wenn Kinder gerne in die Schule kommen, weil es ein Ort ist, an dem sie ernst genommen werden und in ihren Bedürfnissen unterstützt werden.
Dass ihr mich darin unterstützt, dafür möchte ich euch ganz herzlich danken!
Mit lieben Grüssen,
Malena