Kindergarten

Ich arbeite neu am Kindergarten und habe einem Elternpaar aufgezeigt, dass ihr Kind den Anforderungen der regulären Einschulung nicht gewachsen sein wird. Das Kind ist in mehreren Bereichen seiner Entwicklung verzögert und arbeitet zudem sehr langsam. Die Eltern wünschen für das Kind jedoch eine Einschulung. Wie soll ich mich als Lehrperson verhalten?
Danke für eine Antwort und Grüsse, Belpberg

Guten Tag Belpberg

Immer wieder werden Sie in Ihrer Laufbahn mit der Situation konfrontiert werden, dass Ihre Sichtweise nicht mit der der Eltern übereinstimmen wird. Das kann sehr schmerzhaft sein, vor allem dann, wenn Sie sich mit dem Kind sehr verbunden fühlen und ahnen, dass ihm die Einschulung nicht gut tun wird.

Wichtig ist, dass Sie den Entscheid der Eltern ernst nehmen können. Vielleicht hilft im Gespräch eine Formulierung wie „Ich höre von Ihnen, dass Sie Ihr Kind doch einschulen wollen“. Eltern haben immer Gründe, warum sie sich gegen die Empfehlung der Lehrperson stellen.

Als nächsten Schritt empfehle ich, diese Gründe zu erforschen. Vielleicht so: „Was wäre für Sie schlimm, wenn Ihr Kind ein zweites Jahr im Kindergarten bleiben müsste?“ Damit werden die Interessen der Eltern transparent. Nun können über diese Interessen verhandelt werden. Über Positionen zu diskutieren führt nie zu einer gewinnbringenden gemeinsamen Lösung.

Falls auch das nicht zu einem Einlenken führt, müssen Sie den Entscheid der Eltern annehmen. Jetzt heisst es innerlich loslassen (das Kind muss seine eigenen Erfahrungen machen, Sie können nicht alles verhindern).

Wichtig ist auch, dass Sie das Gespräch protokollieren oder mindestens eine inhaltliche Zusammenfassung unterschreiben lassen, damit Sie die nachfolgende LP entsprechend informieren können.

Ob Ihnen meine Gedanken weiterhelfen?

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Vom Gesetz her hat das Kind ein Anrecht auf den Schulbesuch, wenn es vor dem 1. Mai das sechste Altersjahr zurückgelegt hat. Eine altersgemässe Einschulung ist anzustreben (siehe auch KG-LP, S. 71/72). Die Eltern haben also das Recht, an der altersgemässen Einschulung festzuhalten. Die Lehrperson kann die Eltern bei der Entscheidungsfindung nur begleiten und beraten.

Ich finde wichtig, dass die folgenden Punkte geklärt sind:
• Gibt es in Ihrer Gemeinde die Möglichkeit der Einschulung in eine Einschulungsklasse (integriert od. seperativ)?

• Die Einschulung in eine besondere Klasse (z.B. Einschulungsklasse) ist eine Ausnahme und nur in begründeten Fällen vorzusehen. Die Prognose, dass ein Kind das Pensum des 1. Schuljahres nicht in einem Jahr bewältigen kann, ist durch differenzierte Beobachtung zu begründen (vgl. „Voraussetzungen erfassen, beobachten und beurteilen“, KG-LP, S. 41/42).

• Könnten sich die Eltern vorstellen, das Kind so einzuschulen?

• Für die Zuweisung in die Einschulungsklasse ist eine Abklärung auf der Erziehungsberatung nötig. Können sich die Eltern eine Abklärung auf der Erziehungsberatung vorstellen?

• Lassen Sie die Eltern ein Gesprächsbeschlussprotokoll unterzeichnen, in welchem der Entscheid der Eltern auf Einschulung und ihre Empfehlungen festgehalten sind. Teilen Sie den Eltern mit, dass Sie dieses Beschlussprotokoll der Schulleitung weiterleiten werden.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben weiterhelfen zu können.

Mit lieben Grüssen, mars

Liebe/r Belpberg,

als Heilpädagogin erfahre ich tagtäglich, wie sich Eltern dagegen wehren, dass ihr Kind nicht den regulären Weg mit allen anderen „normalen“ Kindern gehen kann.

Und, ich muss dir ganz ehrlich gestehen, als Mutter von drei Kindern, ich würde auch so reagieren.

Kannst du dich mal für einen Moment in das Kind, in seine Eltern versetzen?
Es kann nichts Schönes und Förderliches sein, wenn ein Kind aus der Gruppe herausgenommen wird.
Es kann nichts Schönes und Förderliches sein, wenn man gesondert beschult wird.

Für das Kind wie auch für die Eltern birgt sich darin das Gefühl des Versagens.
Nur sehr selten wünschen sich die Eltern, dass ihr Kind noch lange spielen und im Kindergarten bleiben kann.
Normalerweise wünschen sich Eltern eine gesunde und normale Entwicklung für ihr Kind.
Jedes Kind möchte dazu gehören. Zu seiner Gruppe, die es kennt.
Wenn ein Kind mit einer Gruppe zusammen den Kindergarten besucht hat, dann möchte es ganz sicher auch mit dieser Gruppe weiter gehen. Schliesslich hat es sehr viel psychische und soziale Arbeit in dieser Gruppe geleistet.
Aus einer Gruppe ausgeschlossen zu werden ist einfach sehr schmerzhaft.

Und bitte, wer kann voraussagen, wie sich dieses Kind entwickeln wird?
Wer weiss, was passiert, wenn es dann mal eingeschult ist?

Ich plädiere für eine Erstklasslehrerin, die sich diesem Kind mit besonderer Sorgfalt annimmt und ihm hilft, sich in der ersten Klasse zu integrieren.
Natürlich sollte der Unterricht an der ersten Klasse spielerisch und liebevoll an die kognitiven Anforderungen herangehen. Aber das käme nicht nur diesem einen Kinde zugute, sondern allen, denn alle Ersteler spielen gern!

Verstehst du meine Impulse?

Ich denke, wir sollten endlich von diesem Selektionsdenken weg kommen und den Weg zu einer herzlichen Ganzheitlichkeit einschlagen.

Sprich mit der Erstklasslehrerin und frage sie, ob und wie sie dieses Kind tragen kann. Damit steht und fällt deine Entscheidung.

Mit lieben Grüssen,
Malena