Ich unterrichte an einer 1. Klasse und habe eine rechtliche Frage zur Mitbestimmung der Eltern:
Im Standortgespräch im Kindergarten wurde den Eltern eines Knaben empfohlen, ihn ein drittes Jahr in den Kindergarten zu schicken. Er hat eine Woche vor dem Stichtag Geburtstag und wird in seiner Entwicklung als noch nicht reif für die Schule eingestuft. Die Eltern wollten ihn aber in die Schule schicken.
Schon jetzt, nach wenigen Wochen Unterricht, ist es für mich und auch für die Heilpädagogin offensichtlich, dass er unbedingt noch einmal ein Kindergartenjahr absolvieren sollte. Die Eltern sind aber nach wie vor dagegen.
Nun meine Frage: Wie viel Recht haben die Eltern in Bezug auf solche Schullaufbahnentscheide? Können sie sich einfach dagegenstellen und wir müssen dann mit dem Kind zusammen ertragen, dass es am falschen Ort ist? Oder können Eltern gezwungen werden, sich der Einschätzung der Lehrperson unterzuordnen?
Deine Frage betrifft sog. „individuelle Schullaufbahnentscheide“ (s. Art. 9 Abs. 4 und Art. 11 der Direktionsverordnung vom 6. März 2018 über die Beurteilung und Schullaufbahnentscheide in der Volksschule [DVBS; BSG 432.213.11]).
Zu diesen äussert sich das Merkblatt der Abteilung Erziehungsberatung des Amts für Kindergarten, Volksschule und Beratung wie folgt:
Individuelle Schullaufbahnentscheide
Individuelle Schullaufbahnentscheide sind grundsätzlich jederzeit möglich und nicht an ein Schuljahr gebunden. Orientierungspunkte für einen Schullaufbahnentscheid sind die Grundansprüche am Ende des 1. Zyklus und die ganzheitliche prognostische Beurteilung des Entwicklungs- und Lernstandes des Kindes.
Das entsprechende Verfügungsformular findet sich hier.
Sind die Eltern mithin nicht einverstanden, können sie Beschwerde beim zuständigen Schulinspektorat führen.
Gelten in diesem Jahr wegen der Schullaufbahnentscheide nicht coronabedingte, spezielle Regelungen? Ich habe in Erinnerung (weiss leider grad nicht, wo ich das gelesen habe), dass in diesem Jahr bei einer Uneinigkeit bei einem Schullaufbahnentscheid die Eltern das letzte Wort haben.
Auch finde ich es schwierig, einen individuellen Schullaufbahnentscheid gegen den Willen der Eltern zu treffen. Gibt es die Möglichkeit, dass die Eltern einen Schulbesuch machen und sehen können, was euch dazu bringt, ein 3. KG-Jahr anzustreben?
Guten Tag toomai
Eben habe ich deine Anfrage gelesen. Leider hast du noch keine Antwort erhalten. Ich habe die Frage weitergeleitet und hoffe, dass bald eine Antwort publiziert wird.
Frau Regierungsrätin Häsler hat in ihrem Brief an die Schulen und Eltern vom 30. April 2020 u. a. Folgendes geschrieben: Es ist mir ein grosses Anliegen, dass den Kindern und Jugendlichen durch diese Krise kein Nachteil entsteht. Für die Beurteilungsberichte vor den Sommerferien heisst das, dass notenrelevante Beurteilungen zurückhaltend und mit Augenmass erfolgen. Es gelten grundsätzlich die Leistungen, welche vor dem 16. März 2020 erbracht worden sind, und ab dem 11. Mai 2020 werden nur Kompetenzen geprüft, die ausreichend vertieft und geübt werden konnten. In die Gesamtbeurteilung sollen zudem nur jene Leistungen einfliessen, die für die Schülerin oder den Schüler eine Verbesserung darstellen. Ein besonderes Gewicht werden die Lehrpersonen auf die Beurteilung legen, welche die mögliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen im Hinblick auf das nächste Schuljahr berücksichtigt. Da können der grosse Einsatz und die Selbständigkeit von Kindern und Jugendlichen honoriert werden. Im Zweifelsfall soll die Entscheidung bei Noten und Schullaufbahnentscheiden stets zu Gunsten der Schülerinnen und Schüler ausfallen.
Ein Blick in die mittlerweile nicht mehr in Kraft stehende Direktionsverordnung der BKD vom 30. April 2020 über Beurteilungen, Schullaufbahnentscheide und Aufnahmen in Schulen während der Coronavirus-Krise (BACDV; Gesetzessammlung) offenbart nun allerdings, dass die sog. individuellen Schullaufbahnentscheide gemäss Art. 9 Abs. 5 DVBS nicht Gegenstand derselben waren. Besonders geregelt wurden lediglich die Schullaufbahnentscheide auf der Primarstufe und auf der Sekundarstufe I (vgl. die Art. 6 und 7 BACDV i. V. m. Art. 9 Abs. 4 DVBS). Insofern ist davon auszugehen, dass es mit Blick auf den Übertritt vom Kindergarten in die Primarstufe per Schuljahr 2020/21 keine COVID-19-bedingte Rechtsänderung gegeben hat.
Hinsichtlich Deiner zweiten Frage verweise ich auf unseren Forumsbeitrag vom 7.8.2020. Dass Schullaufbahnentscheide im Interesse des Kindeswohls nötigenfalls auch gegen den Willen der Eltern gefällt werden, ist gesetzlich vorgesehen. Dazu, wie man Eltern von der allfälligen Notwendigkeit eines dritten Kindergartenjahrs überzeugen könnte, kann ich mich indes nicht qualifiziert äussern.