Lautes Vorlesen

Guten Tag
Meine Ausbildung zum Lehrer liegt schon eine Weile zurück. In der Lesedidaktik galt damals das Credo, die Schüler und Schülerinnen nicht laut im Plenum vorlesen zu lassen, man würde sie durch das laute Vorlesen unnötigem Stress aussetzen. Nun habe ich aber verschiedentlich gelesen, dass in der neuen Lesedidaktik das laute Lesen favorisiert wird und zwar im Sinne eines Lesegeläufigkeitstrainings (fluency). Meine Frage: Ist es aus heutiger Sicht zulässig, Schülerinnen und Schüler im Plenum laut vorlesen zu lassen ?

Guten Tag
Aus den bereits von dir genannten Gründen ist das laute Lesen m. E. durchaus am Platz. Als Lehrerin von bereits älteren Schüler/innen kann ich zurückmelden, dass viele kaum mehr spontan flüssig einen Text lesen können.
Wichtig scheint mir, dass damit niemand blossgestellt wird. Nach dem Lesen können die Schwierigkeiten besprochen werden, evtl. auf Betonungsregelmässigkeiten hinweisen. Schwierige Wörter können zudem z. B. einer Wortfamilie zugeordnet werden, das hilft dann wiederum beim Schreiben der schwierigen Wörter.
Und warum nicht auch zu Hause das laute Lesen üben lassen? Damit ist ein Teil des Stresses weg.

Guten Tag

Versteht man unter „Lautlesen im Klassenraum“ das Reihumlesen, bei welchem ein unbekannter Text im Plenum von je einem Schüler oder einer Schülerin satz- oder absatzweise laut vorgelesen wird, ist es in der Tat so, dass man davon abrät: Schülerinnen und Schüler sollen nicht zu oft unvorbereitet Situationen ausgesetzt werden, in denen sie laut vorlesen. In der Lesedidaktik herrscht heutzutage weitgehend Konsens, „dass das Reihumlesen keine positiven Auswirkungen auf die Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler zeitigt, sondern sie sogar die Lesekompetenz hemmen kann“ (Nix 2011; Rosebrock u.a. 2011). Mit welcher Begründung?

  1. Die Lesezeit pro Schüler ist zu gering, um einen Übungseffekt zu erzielen.
  2. Der Text wird nicht wiederholt gelesen, so dass keine Verbesserungsmöglichkeit besteht.
  3. Die Konzentration auf das Vorlesen lässt das Textverständnis in den Hintergrund treten.
  4. Lautlesen in der Klasse kann mit psychischem Stress verbunden sein, wie das folgende Zitat zeigt, welches ich im Internet gefunden habe: „In der Schule lesen wir sehr oft laut vor, und wenn ich lesen muss bin ich so verdammt aufgeregt das ich keine luft mehr bekomm & nichts mehr machen kann, ich weis einfach nicht was ich tun soll da mein lehrer mich auch noch immer extra dran nimmt.“

Da viele – vor allem ungeübte und schwächere – Leserinnen und Leser den Inhalt eines Textes eher schlecht erfassen und verstehen, wenn sie ihn auf Anhieb vorlesen müssen, macht lautes Vorlesen in der Klasse nur Sinn, wenn das Vorlesen vorher geübt worden ist. Warum also nicht Schülerinnen und Schüler, die gerne vorlesen, das laute Lesen vorgängig üben und danach den Text der ganzen Klasse vortragen lassen?

Wer sich für das Thema interessiert, findet im Internet unter den Stichworten „Lautlesemethoden“ oder „Lautleseverfahren“ viele weiterführende Informationen.

Es würde mich freuen, wenn meine Zeilen zu einer Diskussion über das Lautlesen im Klassenverband oder zumindest einem Erfahrungsaustausch aus Lehrer- oder Lernendensicht anregen würde.

Sandmann

Hallo Aus_der_Praxis

Ich unterrichte an der Oberstufe. Trotz den berechtigten Einwände (z.B. denen von sandmann) pflege ich ab und zu das laute Vorlesen; vor allem bei Klassenlektüren.

Ich handhabe es jeweils so, dass die Jugendlichen selber bestimmen dürfen, wie lange sie vorlesen; das nimmt bereits einigen Stress weg. Zudem spreche ich zuvor mit der Klasse über das laute Vorlesen und über mögliche Ängste und Stress. Ich lasse sie vorgängig auch formulieren, wie „zufrieden“ sie mit ihren Fähigkeiten des lauten Vorlesens sind. Und wir sprechen darüber, dass manche in diesen Bereichen Stärken haben und andere weniger und dass wir einander respektieren.

Daneben pflege ich natürlich auch andere Formen des Vorlesens: Partner, Kleingruppe, in Klasse mit nur einem Buch, Hörbuch-Leser zuhören etc.

R_Morgy

Guten Tag
Als Lehrkraft auf der Unterstufe lasse ich die Kinder ab und zu auf ein DIktiergerät vorlesen. So kann ich gezielte Rückmeldungen geben und höre auch das laute Lesen ab. Lautes Vorlesen innerhalb der Klassenlektüre befürworte ich nicht, da ich finde so geht wertvolle Zeit verloren, die ich den Schülern lieber fürs Selberlesen zur Verfügung stelle. Die Idee des Kollegen aus der Oberstufe, die Kinder selber die Lesezeit auswählen zu dürfen, gefällt mir und werde ich auch gerne mal ausprobieren, aber wahrscheinlich nur, wenn ich mit einer Gruppe arbeiten kann. Danke für den Tipp!

Guten Tag
Zum lauten Vorlesen benutze ich Diktiergeräte.Ich platziere sie draussen im Gang oder in einem anderen Raum und ihre Handhabung ist einfach und den Schülern gut bekannt.Ist ein Schüler mit seiner Leistung nicht zufrieden, kann er den Text nochmals aufnehmen.Ich als Lehrperson kann mir die Aufnahmen dann in Ruhe anhören und sooft ich will wiederholen. Die Geräte haben sich auch im Fremdsprachenunterricht bewährt.
Im Unterricht lasse ich selten laut vorlesen, etwa eine Arbeitsanweisung oder einen kurzen Sachtext.Ich nehme dann nur Schüler dran die sich selber melden.Für mich geht sonst zuviel Lern-Zeit verloren, die wir besser nutzen können und wo alle aktiv sein können.

Guten Tag
Lautes Vorlesen im Sinne eines Lesegeläufigkeitstrainings erachte ich als sehr sinnvoll, zumal sich auch das Leseverstehen mit zunehmender Lesegeläufigkeit verbessert.
Effektive Trainings sind solche, bei denen der Anteil tatsächlicher Trainingszeit hoch ist. Dies gilt meiner Meinung nach auch bei einem Lesetraining. Das heisst, die tatsächliche Vorlese- und auch Zuhörzeit sollte so hoch wie möglich gehalten werden. Beim Lesen im Plenum ist die Vorlesezeit der einzelnen sehr gering und das aufmerksame und genaue Zuhören gelingt nach meinen Erfahrungen mit Dritt- und Viertklässlern oft nur wenigen.
Bei einem Lesetraining zu zweit erhöht sich die Vorlesezeit jedes einzelnen enorm. Gibt man den Zuhörern und Zuhörerinnen den Auftrag, dem vorlesenden Kind eine Rückmeldung zu vorher besprochenen Punkten zu geben, wird zudem das aufmerksame und genaue Zuhören verstärkt. Im Sinne eines Trainings lasse ich die Kinder die gleichen Texte mehrmals laut vorlesen. So kann auch von den erhaltenen Rückmeldungen profitiert werden.

Guten Tag!
Als Unterrichtender an der Realschule habe ich mit sehr unterschiedlich begabten Leserinnen und Lesern zu tun. Es gibt durchaus Schüler und Schülerinnen in meiner Klasse, denen das Vorlesen vor der ganzen Klasse gar nichts ausmacht. Andererseits habe ich auch solche in der Klasse, die kaum zwei Wörter fliessend vorlesen können und sich daher kaum wohlfühlen beim Vorlesen. Ich bin bei Weitem kein „Wohlfühl-Lehrer“, bin aber überzeugt, dass das ungeübte Reihumlesen eines gemeinsamen Textes zu fest die Schwachen blossstellt. Zudem sind die Leseratten kaum gefordert und werden dadurch dazu verleitet, ihre Aufmerksamkeit ganz anderen Sachen zuzuwenden.
Bei mir gibt’s Vorlesen vor der Klasse eigentlich nur, wenn die Jugendlichen selbst verfasste und zum Vorlesen geübte Texte der Klasse vortragen. So haben die Zuhörenden einen wirklichen Grund, gut zuzuhören und die Lesenden sind zwar oft nervös, aber trotzdem vorbereitet.
Andererseits finde ich das Vorlesen in der Zweier-, Dreier- oder Vierergruppe sinnvoll, denn bei dieser Form ist die Intensität für meine Ansprüche genügend hoch. Die Rückmeldung aufs Vorlesen, so wie sie z.B. Renate beschreibt, finde ich toll und werde das demnächst auch mal ausprobieren.

GutenTag!
In den letzten Jahren habe ich die 3.Klässler nicht mehr so oft laut vorlesen lassen - bis ich gemerkt habe, dass sie bei Arbeitsanweisungen Wörter ganz falsch gelesen und auch nicht verstanden haben. So habe ich begonnen, sie jeweils zu zweit einen Text laut lesen zu lassen. Der schwächere Leser konnte so von dem besseren Leser profitieren.
Aber das reicht noch nicht: Ich beginne jetzt mit einem partnerschaftlichen Lesetraining, um den Lesefluss aller zu verbessern. Denn je besser ein Kind lesen kann, umso mehr kann es sich auf den Inhalt konzentrieren, um so mehr versteht es, was es liest!
Ich mache die Erfahrung, dass die Kinder grundsätzlich gerne vorlesen. Warum nicht ihre Erfolgserlebnisse intensivieren?

Da viele Kinder (6. Kl. QUIMS) gerne vorlesen, baue ich das oft in den Unterricht ein. Unter Berücksichtigung der genannten Bedenken und ergänzend zu Genanntem in folgenden Formen:

  • vorlesen darf, wer will, so lange er mag;
  • einen sehr langen Text teile ich in 24 verschieden lange Abschnitte, jedes übt seinen Text und in der Klasse lesen wir uns gegenseitig die ganze Geschichte vor
  • Leseclub: die Kinder lesen zu Hause 15 min vor gegen Unterschrift; nach 10x gibt es ein Diplom, zum 10. Diplom ein Taschenbuch. Der Club ist freiwillig und es ist immer spannend, wer da mitmacht und wer nicht; die Fortschritte im Bereich lesen und Wortschatz sind nach einem Jahr signifikant.