Präventiver Ausschluss Lagerteilnahme

Dürfen Lehrpersonen, allenfalls gestützt durch die Schulleitung, präventiv Schülerinnen und Schüler von Projektwochen, Schulreisen oder Lager ausschliessen? Der Ausschluss erfolgt einseitig, die Erziehungsberechtigten sind damit nicht einverstanden.
Als Grund für den Ausschluss wird unangebrachtes Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten im alltäglichen Unterricht genannt. Er wird also nicht wegen Befürchtungen, dass im anstehenden Lager etwas schief laufen könnte, angeordnet.
Sollten die Schülerinnen und Schüler auf einer Teilnahme bestehen, werden sie für die vollständige Absage der geplanten Anlässe verantwortlich gemacht.
Bräuchte es für all diese Massnahmen nicht eine korrekte Anwendung von Art. 28 VSG?

Lieber berner
deine Fragen scheinen sehr komplex zu sein und juristisch relevant zu sein.
Der Rechtsdienst der Erziehungsdirektion möchte sich jedenfalls dazu nicht äussern, da diese Stelle im Falle einer Beschwerde erste Beschwerdeinstanz ist und sich nicht dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen möchte.
Der Rechtsdienst der PHBern liess uns folgende Stellungnahme zu, die aus meiner (nicht fachlichen) Sicht sehr differenziert ausgefallen ist:

"Unklar ist aus meiner Sicht vorab, ob der Ausschluss einzelner Schüler von Schulreisen u. dgl. unter Art. 28 Abs. 2 VSG (als Massnahme zur Aufrechterhaltung des geordneten Schulbetriebs) und damit in die Zuständigkeit von Lehrerschaft und Schulleitung oder aber unter Art. 28 Abs. 5 VSG (als Ausschluss vom Unterricht) und damit in die Zuständigkeit der Schulkommission fällt.
Wäre ersteres der Fall, stünde der Zulässigkeit der Ausschlussanordnung seitens der Lehrerschaft bzw. der Schulleitung grundsätzlich nichts im Weg – solange die Massnahme freilich verhältnismässig, d. h. zur Aufrechterhaltung des geordneten Schulbetriebs „nötig“ ist. Würde dagegen Art. 28 Abs. 5 VSG zur Anwendung kommen, müsste grundsätzlich die Schulkommission – nach Anhörung des Schülers und seiner Eltern (Art. 28 Abs. 7 Satz 1 VSG) – den Ausschluss verfügen. Vorausgesetzt wäre ausserdem eine „erhebliche“ Beeinträchtigung des geordneten Schulbetriebs sowie die Gewährleistung einer „angemessenen Beschäftigung“ des Schülers während seines Ausschlusses (Art. 28 Abs. 6 Satz 1 VSG). Ob tatsächlich die Schulkommission aktiv werden muss, hängt sodann davon ab, ob die jeweilige Gemeinde die Kompetenz zur Verfügung von Unterrichtsausschlüssen an die Schulleitungen delegiert hat oder nicht (vgl. Art. 34 Abs. 3 VSG).
Was in unserem Fall gilt, geht aus dem Leitfaden „Disziplinarmassnahmen und Unterrichtsausschluss in den Volksschulen des Kantons Bern“ der Erziehungsdirektion (Fassung vom Juli 2013) hervor: Gemäss demselben fällt der „vorbeugende Ausschluss“ von Schülern aus „besonderen Schulveranstaltungen“, zu denen namentlich Projektwochen und Klassenlager gehören, generell in den Zuständigkeitsbereich der Schulleitung (vgl. S. 12, auch zum Folgenden). Der Entscheid muss den Eltern rechtzeitig mitgeteilt und begründet werden; die Eltern dürfen zur Situation Stellung nehmen. Im Übrigen ist, wenn möglich, dafür zu sorgen, dass anstelle der Schulveranstaltung der Unterricht in einer anderen Klasse oder in einem anderen Schulhaus besucht werden kann. Sollten die Eltern eine Verfügung verlangen, ist der Ausschluss zusätzlich zu verfügen (vgl. Art. 50 VRPG).
Zusatzbemerkungen:

  • Ausschlüsse vom Unterricht oder von besonderen Veranstaltungen erfolgen immer „einseitig“. Deshalb ist es nach meiner Einschätzung auch nicht denkbar, dass der ausgeschlossene Schüler auf seiner Teilnahme am Klassenlager erfolgreich „bestehen“ und damit dessen Absage bewirken kann. So oder so kann er jedoch im Fall einer Absage nicht für dieselbe (im Sinn einer allfälligen Schadenersatzpflicht) „verantwortlich“ gemacht werden.
  • Wenn nicht befürchtet wird, „dass im anstehenden Lager etwas schief laufen könnte“, scheint mir die Verhältnismässigkeit der Massnahme von vornherein äusserst fraglich. Aus Sinn und Zweck von Art. 28 VSG ergibt sich m. E. klar, dass es bei Massnahmen wie einem Ausschluss stets um die Aufrechterhaltung des geordneten Schul- bzw. Klassenbetriebs gehen muss – und nicht um die Bestrafung einzelner Schüler, insbesondere dann nicht, wenn diese die Veranstaltung, von der sie ausgeschlossen werden sollen, ohnehin nicht zu beeinträchtigen drohen."

Ich hoffe, dass du damit etwas anfangen kannst und grüsse dich freundlich.
Die Redaktion des Forums für Lehrpersonen

Ganz herzlichen Dank für die umfassenden Ausführungen.

Guten Tag „berner“

Ich bin etwas erstaunt, wie „juristisch“ dieses Lagerthema hier besprochen wird. Ich finde, das müsste eher „menschlich“ betrachtet werden:

Als erfahrene Lehrperson bin ich der Meinung, dass ein Vertrauens- und Respektverhältnis zwischen Lehrperson und Jugendlichem nötig ist für ein Lager. Nur mit einem solchen Verhältnis kann ich bereit sein, während einer Lagerwoche die 24-Stunden-Verantwortung für die mir anvertrauten Jugendlichen zu übernehmen. Ebenso braucht es ein Vertrauensverhältnis zwischen mir und den Eltern: sie sollen mir vertrauen, ihr Kind während einer Woche gut zu betreuuen. Während einer Lagerwoche geht ja mein Einsatz weit über den normalen Schulalltag hinaus, ist von keinem Lehrplan mehr geregelt, betrifft meine Freizeit, mein Privatleben und meine Nachtruhe. Niemand kann mir also sinnvollerweise einen Jugendlichen „aufzwingen“, wenn ich für ihn die Verantwortung nicht übernehmen kann/will. Das wäre absurd!

Fehlt dieses Vertrauensverhältnis, so fehlt auch die Grundlage, einen Schüler in ein Lager mitzunehmen. Und diese Grundlage kann nicht mit Paragraphen „erzwungen“ werden! Der einzige konstruktive Weg wären Gespräche zwischen der Lehrperson, dem Schüler und den Eltern, in welchem (vielleicht) eine solche Vertrauensbasis (wieder) geschaffen werden könnte. In einem solchen Gespräch würde dann auf den Tisch kommen, was aus dem Bereich „Sozialverhalten“ (dort vermute ich den Knackpunkt) die Lehrperson zum Ausschluss bewegt und ob wieder ein Vertrauensverhältnis als Lagergrundlage geschaffen werden kann.

R_Morgy

Ich stimme R_Morgy absolut zu.

Die Juristerei in Ehren, aber diese Paragraphenreiterei führt letztlich nur dazu, dass immer weniger Lehrpersonen überhaupt noch bereit sind, Lager durchzuführen.

Lustig finde ich die Formulierung Wenn nicht befürchtet wird, „dass im anstehenden Lager etwas schief laufen könnte“. Im Lager kann immer etwas schief laufen. Und hat ein Lehrer das nötige Vertrauen in einen Schüler nicht, ist diese Befürchtung eben bereits gegeben.