Hallo Forum
dieser verlinkte Artikel hat mich erschüttert, weil er, wie ich finde, in deutlichen Worten sagt, wie ungesund der Lehrberuf ist. Mag jemand darüber diskutieren?
Hallo unbequem
Mich verwundert oder schockiert der Artikel nicht, weil er das darlegt, was ich (und wohl auch viele andere Lehrpersonen) regelmässig erleben.
Für mich hat dieser Umstand zahlreiche Gründe. Einer dieser Gründe besteht darin, dass wir an vielen Schulen in einer alten Lernkultur verhaftet sind. Die Lehrperson hat 20 bis 30 Lernende „zwangszubeglücken“ und haftet für das Ergebnis des Lernprozesses.
Beste Grüsse
Philipp
Liebe/r unbequem
Ja, dieser Artikel, der sich auf deutsche Schulen bezieht, zeichnet ein «gefährliches» Berufsbild. «Werde ja nicht Lehrperson, sonst endest du im Burnout oder schaltest deine Selbstwahrnehmung ab, damit du in diesem pathogenen Umfeld funktionieren kannst!» Welcher junge Mensch will da noch den Beruf wählen?
Fakt ist, dass eine Lehrperson während des Unterrichtens von vielen Menschen umgeben ist, die -je nach Klassenklima- einen hohen Lärmpegel verursachen und Atemluft verbrauchen. Fakt ist auch, dass es im Kanton Bern verschieden grosse Klassen gibt und die Kinder sich während den Lektionen nicht immer adäquat verhalten. Fakt ist auch, dass es Lehrpersonen gibt, die an den verschiedenen Belastungen leiden und eine Auszeit auf Grund eines Burnouts brauchen oder sich frühzeitig pensionieren lassen, weil die Kräfte nachlassen.
Der Artikel suggeriert, dass die Lehrpersonen hilflos ausgeliefert sind, ohnmächtig und ohne Handlungsmacht. Dem möchte ich als Berater für Lehrpersonen und ehemaliger Lehrer etwas entgegensetzen.
Zum Glück gibt es sehr viele Lehrpersonen, die ihren Beruf über alles schätzen. Sie lieben es, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, gestalten kreative Lernumgebungen, finden im Klassenteam Wege, wie mit der Vielfalt konstruktiv umgegangen werden kann und erachten den Austausch mit den Eltern als einen wichtigen Teil ihrer Arbeit. Auch das selbstbestimmte Arbeiten, die Gestaltungsfreiheit und die Möglichkeit, in einem Teilpensum arbeiten zu können gehören zu den positiven Aspekten des Berufs.
Das bedeutet nun nicht, dass glückliche Lehrpersonen nicht an ihre Grenzen stossen, sich nicht mit herausfordernden Situationen konfrontiert sehen und hin und wieder nicht wissen, wie eine Situation zu meistern ist. Solche Momente gehören zum Leben und sind nicht den Lehrpersonen vorbehalten.
Die Frage ist viel mehr, wie eine Lehrperson wieder in ihre Teilmacht finden kann. Sicher muss sie sich zuerst eingestehen, dass das Leben ihr eine belastende Situation präsentiert. Dieses JA zur Situation und zum eigenen Befinden ist der Anfang, um Antworten zur Frage «Wie gehe ich damit um?» zu finden. Die PH Bern mit dem Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen bietet dazu eine grosse Unterstützungspalette an:
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Beratung für Lehrpersonen: Jede Lehrperson kann pro Jahr 6 Stunden Beratung beziehen, der Kanton subventioniert dieses Angebot.
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Es gibt viele Kurse zu diversen Themen. Sei das nun zur Klassenführung oder zur Persönlichkeitsentwicklung wie Achtsamkeit, Resilienz und Selbstwahrnehmung.
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Der Kanton Bern ermöglicht jeder Lehrperson, während der Berufskarriere 6 Monate Bildungsurlaub zu beziehen. Dabei können Angebote zur Selbstkompetenz, zur Berufskompetenz, zu individuellen Bildungsthemen oder zur Sprachkompetenzförderung gewählt werden, entweder ein Quartal lang oder gleich ein Semester.
Deshalb werbe ich dafür, diese Ohnmachtshaltung, die im Artikel durchdringt, zu verlassen und aktiv dafür zu sorgen, dass die LP ihre Teilmacht wieder ganz ausschöpfen und trotz all der Herausforderungen die Freude am Beruf beibehalten kann.
Mit herzlichen Grüssen
Kashgar