Liebe Christiane
Ich habe deine Frage im Forum mit Interesse gelesen. In der Beratung von Lehrpersonen tritt die Frage der Beurteilung von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten immer wieder auf. Gerne gebe ich dir ein paar Gedanken und Fragen mit.
So wie ich deine Angaben verstanden habe, wurde der betreffende Schüler umfassend abgeklärt und ihr habt vor allem Angaben zu seiner Intelligenz und seinen Wahrnehmungs¬schwierigkeiten erhalten?
Für den Bereich Sprache schilderst du Beobachtungen, welche mich annehmen lassen, dass der Junge auch eine Lese-Rechtschreibschwäche hat. Du erwähnst ja, dass sich seine Wahrnehmungsschwierigkeiten auch auf seine Lese- und Schreibfähigkeiten auswirken und ihn im Unterricht behindern.
Wurde er denn auch explizit auf eine Lese-Rechtschreibschwierigkeit (LRS resp. Legasthenie) abgeklärt? Meinst du mit einem Lega Attest die Diagnose Lese- Rechtschreibstörung?
Falls ja, wäre es möglich, ihn mit dieser Diagnose gemäss dem Merkblatt zur Beurteilung von Schülerinnen und Schüler mit einer isolierten Lernstörung im Erwerb der Schriftsprache und in der Mathematik (Legasthenie bzw. Dyskalkulie) im deutschsprachigen Kantonsteil der ERZ (Siehe Link) zu beurteilen. Dort steht explizit, dass eine individuelle Beurteilung mit einem Vermerk im Zeugnis möglich ist. Der Vermerk in Form eines Sterns verweist auf die Lernstörung und es wird ein zusätzlicher Bericht erstellt, in dem genau beschrieben wird, in welchen Lernbereichen der Schüler wie beurteilt worden ist. Dieses Vorgehen ist gemäss dem Merkblatt so lange möglich, wie der Schüler Spezialunterricht erhält.
Du schreibst weiter, dass die Psychologin und die Eltern befürchten, dass aufgrund der individuellen Beurteilung der Schüler zu wenig gefördert würde. Dies wäre dann genau nicht der Fall, da die individuelle Beurteilung ja an die zusätzliche Förderung gekoppelt ist. Daran erscheint mir wichtig, dass die individuellen Lernziele oder je nachdem zu einem späteren Zeitpunkt die ungenügende Note, mit der Lernstörung erklärt werden. Dies ist insbesondere nötig, da sich der Schüler offenbar mündlich in Fächern wie NMM gut beteiligen kann. Hier sollen ihm seine Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten nicht im Wege stehen, sondern es braucht im Unterricht einen angemessenen Umgang und entsprechende Hilfestellungen (z.B. beim Abschreiben von Wandtafeltexten, beim Entnehmen von Wissen in Texten usw.), so wir ihr das offenbar bereits begonnen habt. Für die Beurteilung im NMM müsstet ihr die Gewichtung der Lese- und Schreibleistung ebenfalls diskutieren.
Da du als Ursache für die Lese- und Schreibprobleme vor allem die Wahrnehmungsschwierigkeiten erwähnst, ist es auch möglich, dass der Schüler seine Probleme bis Ende Schulzeit nicht vollständig überwinden kann, so dass er mittel- und ev. langfristig ergänzend zum Unterricht Förderung in einer Einzel- oder Kleingruppe braucht. Insbesondere in späteren Schuljahren muss er auch Strategien erlernen, wie er mit seinen Schwierigkeiten umgehen kann. Weiter sollte er trotzdem die Möglichkeit haben, allenfalls eine Sekundarschule zu besuchen und hat auch später bei einer Berufsausbildung Anrecht auf angemessene Unterstützung. Vielleicht ist es hilfreich, wenn ihr dies den Eltern in Absprache mit der Psychologin aufzeigt.
Als Informationsbroschüre gibt es im Netz im Zusammenhang mit der Berufsausbildung das folgende Merkblatt (www.berufsbildung.ch/download/mb204.pdf), welches ich sehr interessant finde. Sicher ist es noch früh, schon von der Berufsausbildung zu sprechen. Wenn es sich aber um eine gravierende Lernstörung handelt, dann können diese Informationen bei der Entscheidung Attest ja oder Nein, hilfreich sein. Es ist zudem so, dass Schülerinnen und Schüler bei einer starken Lese- Rechtschreibschwäche sogar Anrecht auf eine IV finanzierte Förderung haben. Grundsätzlich erachte ich es als wichtig, dass die Förderung durch eine IF Lehrperson der Schule erfolgt, welche auch sehr eng und unterrichtsbezogen mit dem Schüler arbeiten und die Lehrpersonen entsprechend beraten kann. Die Finanzierung durch die IV sollte aber je nach Fall geprüft werden.
Obwohl ich zu mehr Punkten als der Beurteilung Stellung genommen habe, hoffe ich, dass dir diese Angaben weiterhelfen. Über eine Rückmeldung oder einen weiteren Austausch mit dir würde ich mich sehr freuen.
Liebe Grüsse inad