riLz Leagattest und Beurteilung bei einer schweren Wahrnehmungsstörung

Ich begleite einen Schüler des dritten Schuljahres als Heilpädagogin IF. S. macht einen fröhlichen und zufriedenen Eindruck. Er ist gut in die Klasse integriert. In vielen Bereichen ist er unauffällig. Er ist sportlich, liebt das Fach NMM und kann sich altersentsprechen mündlich ausdrücken.

Es fand eine umfassende Abklärung statt und dabei wurde eine ausgeprägte Wahrnehmungs- und Integrationsstörung bei durchschnittlicher Intelligenz festgestellt.
In der Mathematik arbeitet S. seit diesem Schujahr mit individuellen Lernzielen.
Im Deutsch wirken sich seine Wahrnehmungsprobleme ebenfalls massiv auf seine Leistungen aus. S. liest sehr langsam verwechselt Buchstaben und buchstabiert längere Wörter. Wir lesen ihm Arbeitsanweisungen, Texte und Übungen oft vor, damit er inhaltlich mitmachen kann. Auch das Schreiben ist für ihn sehr anstrengend und komplex. Eigene Texte gelingen ihm nicht altersentsprechend. Es wird nun diskutiert, ob ein Legaattest sinnvoll wäre. Die Psychologin und die Eltern finden, dass riLz im Fach Deutsch die falsche Massnahme wäre, da sie befürchten dass S. dann zu wenig gefördert würde.
Nun zu meiner Frage:
Wenn S. ein Legaattest erhält, wie sollen wir ihn dann Ende Schuljahr in Deutsch und NMM beurteilen? Es geht ja um weit mehr als um die Rechtschreibung. Im Klassenvergleich wäre S. im Moment in Bereich Lesen und Schreiben deutlich ungenügend. Auch im NMM ist er auf intensive Unterstützung angewiesen.

Liebe Christiane,
Deine Frage möchte ich gerne an eine Fachexpertin weiterleiten, die Dir in der nötigen Differenziertheit antworten kann. Also bitte ich Dich noch um ein wenig Geduld. In Kürze wirst Du eine umfassendere Rückmeldung erhalten.

Mit lieben Grüssen
Adhei

Liebe Christiane
Ich habe deine Frage im Forum mit Interesse gelesen. In der Beratung von Lehrpersonen tritt die Frage der Beurteilung von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten immer wieder auf. Gerne gebe ich dir ein paar Gedanken und Fragen mit.

So wie ich deine Angaben verstanden habe, wurde der betreffende Schüler umfassend abgeklärt und ihr habt vor allem Angaben zu seiner Intelligenz und seinen Wahrnehmungs¬schwierigkeiten erhalten?

Für den Bereich Sprache schilderst du Beobachtungen, welche mich annehmen lassen, dass der Junge auch eine Lese-Rechtschreibschwäche hat. Du erwähnst ja, dass sich seine Wahrnehmungsschwierigkeiten auch auf seine Lese- und Schreibfähigkeiten auswirken und ihn im Unterricht behindern.

Wurde er denn auch explizit auf eine Lese-Rechtschreibschwierigkeit (LRS resp. Legasthenie) abgeklärt? Meinst du mit einem Lega Attest die Diagnose Lese- Rechtschreibstörung?

Falls ja, wäre es möglich, ihn mit dieser Diagnose gemäss dem Merkblatt zur Beurteilung von Schülerinnen und Schüler mit einer isolierten Lernstörung im Erwerb der Schriftsprache und in der Mathematik (Legasthenie bzw. Dyskalkulie) im deutschsprachigen Kantonsteil der ERZ (Siehe Link) zu beurteilen. Dort steht explizit, dass eine individuelle Beurteilung mit einem Vermerk im Zeugnis möglich ist. Der Vermerk in Form eines Sterns verweist auf die Lernstörung und es wird ein zusätzlicher Bericht erstellt, in dem genau beschrieben wird, in welchen Lernbereichen der Schüler wie beurteilt worden ist. Dieses Vorgehen ist gemäss dem Merkblatt so lange möglich, wie der Schüler Spezialunterricht erhält.

Du schreibst weiter, dass die Psychologin und die Eltern befürchten, dass aufgrund der individuellen Beurteilung der Schüler zu wenig gefördert würde. Dies wäre dann genau nicht der Fall, da die individuelle Beurteilung ja an die zusätzliche Förderung gekoppelt ist. Daran erscheint mir wichtig, dass die individuellen Lernziele oder je nachdem zu einem späteren Zeitpunkt die ungenügende Note, mit der Lernstörung erklärt werden. Dies ist insbesondere nötig, da sich der Schüler offenbar mündlich in Fächern wie NMM gut beteiligen kann. Hier sollen ihm seine Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten nicht im Wege stehen, sondern es braucht im Unterricht einen angemessenen Umgang und entsprechende Hilfestellungen (z.B. beim Abschreiben von Wandtafeltexten, beim Entnehmen von Wissen in Texten usw.), so wir ihr das offenbar bereits begonnen habt. Für die Beurteilung im NMM müsstet ihr die Gewichtung der Lese- und Schreibleistung ebenfalls diskutieren.

Da du als Ursache für die Lese- und Schreibprobleme vor allem die Wahrnehmungsschwierigkeiten erwähnst, ist es auch möglich, dass der Schüler seine Probleme bis Ende Schulzeit nicht vollständig überwinden kann, so dass er mittel- und ev. langfristig ergänzend zum Unterricht Förderung in einer Einzel- oder Kleingruppe braucht. Insbesondere in späteren Schuljahren muss er auch Strategien erlernen, wie er mit seinen Schwierigkeiten umgehen kann. Weiter sollte er trotzdem die Möglichkeit haben, allenfalls eine Sekundarschule zu besuchen und hat auch später bei einer Berufsausbildung Anrecht auf angemessene Unterstützung. Vielleicht ist es hilfreich, wenn ihr dies den Eltern in Absprache mit der Psychologin aufzeigt.
Als Informationsbroschüre gibt es im Netz im Zusammenhang mit der Berufsausbildung das folgende Merkblatt (www.berufsbildung.ch/download/mb204.pdf), welches ich sehr interessant finde. Sicher ist es noch früh, schon von der Berufsausbildung zu sprechen. Wenn es sich aber um eine gravierende Lernstörung handelt, dann können diese Informationen bei der Entscheidung Attest ja oder Nein, hilfreich sein. Es ist zudem so, dass Schülerinnen und Schüler bei einer starken Lese- Rechtschreibschwäche sogar Anrecht auf eine IV finanzierte Förderung haben. Grundsätzlich erachte ich es als wichtig, dass die Förderung durch eine IF Lehrperson der Schule erfolgt, welche auch sehr eng und unterrichtsbezogen mit dem Schüler arbeiten und die Lehrpersonen entsprechend beraten kann. Die Finanzierung durch die IV sollte aber je nach Fall geprüft werden.

Obwohl ich zu mehr Punkten als der Beurteilung Stellung genommen habe, hoffe ich, dass dir diese Angaben weiterhelfen. Über eine Rückmeldung oder einen weiteren Austausch mit dir würde ich mich sehr freuen.

Liebe Grüsse inad

Liebe/r Inad

Für deine ausführliche Antwort danke ich dir herzlich.
Das Merkblatt der ERZ kenne ich und habe es in andern Fällen auch schon angewendet.
Die Indformationsbroschüre habe ich mit Interesse gelesen. Sie ist in Bezug auf die Schullaufbahn sehr hilfreich.

Im vorliegenden Fall finde ich es vor allem schwierig festzulegen, auf was sich denn die Beurteilung nun bezieht.
Die Wahrnehmungsstörung hat Auswirkungen die im schriftlichen Bereich über die Rechtschreibung hinaus geht. Wenn der Schüler einen eigenen Text schreibt, wird der sehr kurz und auch inhaltlich und grammatikalisch nicht altersentsprechend. Das obwohl er sich mündlich richtig ausdrückt.
Wie weit ist die Rücksichtnahme in diesem Fall bei der Beurteilung sinnvoll und angebracht?
Dass der Unterricht in einem angepassten Rahmen stattfinden muss und der Schüler die nötigen Hilfestellungen bekommt ist für mich klar. Wir suchen immer wieder Lösungen, um den Schüler seinen Möglichkeiten entsprechend integirert zu fördern und machen dabei selber auch Fortschritte (nicht nur der Schüler) :wink:

Liebe Christiane

Ich kann die ausführliche Antwort von Inad nur noch ergänzen:
Das Richtziel „Schreiben“ in der Beurteilung bezieht sich nicht nur auf die Rechtschreibung sondern umfasst die gesamte Schreibkompetenz.
So, wie du den Schüler beschreibst, müsste deshalb wohl das gesamte Richtziel „Schreiben“ individuell beurteilt werden und nicht nur ein Teilbereich (sprich die Orthografie). Egal, ob dann nach iLz oder nach Leagsthenie beurteilt wird, ist es sicher sinnvoll, einen kurzen Bericht zu verfassen, in welchem die Kompetenzen des Schülers aufgelistet werden (bei iLz müssen zusätzlich die individuellen Lernziele, nach denen gearbeitet wurde, aufgeführt werden).
Die Note selber hat in diesem Fall nicht denselben Aussagewert wie bei einer regulären Beurteilung, da sie sich entweder auf eine individuelle Norm (bei individuellen Lernzielen) oder auf eine spezielle Norm (bei Legasthenie) bezieht. Da die spezielle Norm bei Legasthenie nicht klar definiert ist (weder durch die ERZ noch durch die EB oder eine andere Fachstelle) landen wir de facto auch hier wieder bei der individuellen Norm. In der Praxis heisst das: Die Note orientiert sich an den Lernfortschritten des Kindes gemessen an seinen individuellen Möglichkeiten und an seinem Einsatz. In der Regel soll diese Note im genügenden Bereich liegen - es darf auch eine „gute Note“ sein! Wichtig ist jedoch, dass die Note mit Stern gekennzeichnet ist und dass der Kurzbericht Klarheit schafft über den effektiven Lernstand.

Ich hoffe, dass ich mit meiner Antwort etwas mehr Klarheit und nicht zusätzliche Verwirrung geschaffen habe.

Mit liebem Gruss
Chica

Liebe Chicas

Dein Beitrag ist für mich ebenfalls wertvoll. Er gibt mir zu den umfangreichen Ausführungen von Inad zusätzliche praktische Hilfen.
Du hast meine Annahme bestätigt, dass eine Beurteilung sowohl mit rilZ als auch mit Legastheniestatus nach individuellen Normen gemacht werden muss. Da ich mich nun auf Ausführungen von Fachpersonen berufen kann, wird die Form der Beurteilung sicher besser akzeptiert werden können.

Mit liebem Gruss und ganz herzlichem Dank Christiane