Sonder-/Blockwochen - pro und contra

Als Lehrperson mit einer Vergangenheit als Seminarlehrer und Erfahrungen an einem darauf aufgebauten Gymnasium sind für mich Blockwochen (auch Sonder- oder Projektwochen genannt) eine wertvolle Unterrichtsform. Im Rahmen von Schulfusionen wurde und werde ich mit ganz anderen, ablehenden Haltungen dazu konfrontiert. In zahlreichen Gesprächen haben in meinen Augen sehr persönlich gefärbte Argumente eine sachliche Diskussion über das dafür und das dawider von Unterricht ausserhalb des Stundenplanrasters und in grösseren Zeitgefässen verhindert.

Da ich erneut in einem Fusionsprozess mittun darf/muss/soll/will, möchte ich mich über den Stand der Forschung zu diesem Thema auf der Sekundarstufe II (Gym / FMS / WMS) informieren. Gibts es zum Sinn (oder Unsinn) von derartigen Unterrichtsgefässen Erkenntnisse aus Untersuchungen? Gibt es Gründe, einige oder eher wenige solcher Projektwochen innerhalb eines Schuljahres durchzuführen? Sind Wochen innerhalb des Klassenverbandes klassenübergreifenden Wochen vorzuziehen?
Explizit interessiert mich weniger die Arbeit ausserhalb der Schule (in Lagern, Landschulwochen oder im Ausland), sondern Sonderwochen im Schulhaus, insbesondere interdisziplinär und wohl meistens mit zwei Lehrkräften.
Hinweise auf Quellen im Netz, Bücher, Zeitschriftenartikel oder schulinterne Untersuchungen verdanke ich schon jetzt vielmals.

Guten Tag
Danke für Ihre interessante Frage, welche einer differenzierterer Antwort und einer Suche nach pädagogischer Dokumentation einer Fachperson bedarf. Leider sind momentan unsere SpezialistInnen nicht erreichbar, da müssen Sie sich noch eine Woche gedulden! Aber dem Fachspezialisten wurde Ihre Frage zugewiesen.
Mit freundlichen Grüssen
artemisia

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Guten Tag
Zurzeit recherchieren wir den Stand der Forschung zum Dafür und Dawider von Blockwochen im Gymnasium resp. auf der Sekundarstufe II. Wir hoffen Ihnen gegen Ende Monat antworten zu können.
Freundliche Grüsse

Dann bedanke ich mich schon im voraus ganz herzlich. Der Prozess zur Meinungsfindung hin zu einem neuen Konzept an unserer sich in Fusion befindlichen Schule ist bereits am Laufen.

Guten Tag

Eine Kollegin hat sich mit Ihren Fragen auseinandergesetzt und einen Bericht verfasst, den wir Ihnen gerne zur Verfügung stellen.

In Ihrer Anfrage sprechen Sie ein Problem an, das an vielen Maturitätsschulen immer wieder kontrovers diskutiert wird. Wie Sie festhalten, geht es dabei oft um unterschiedliche pädagogische Traditionen, die durch die Überführung der einstigen Seminarien in Maturitätsschulen und durch die Zusammenlegung von alten und neuen Maturitätsschulen aufeinander stossen. Ich will im Folgenden versuchen, ein paar klärende Überlegungen anzuführen.
Blockwochen oder Projektwochen sind primär eine spezielle Organisationsform des Lernens; sie können dabei sehr unterschiedliche Formen und Zielsetzungen aufweisen – in den meisten Fällen jedoch wird in diesen Sonderwochen projektartiges Lernen praktiziert. Deshalb werde ich mich im Folgenden bei der Beantwortung Ihrer Frage auf die Projektmethode/projektartiges Lernen beziehen.
Projektartiges Lernen geht wahrscheinlich bis auf die Renaissance zurück (Architekturprojekte); im Kontext von Schule und Unterricht wurde es im Rückgriff auf Dewey und die Tradition der Reformpädagogik insbesondere seit den 70-er Jahren thematisiert und propagiert.
Obschon projektartiges Lernen in unterschiedlichen Formen ausgeübt werden kann, gibt es doch einige gemeinsame Merkmale, bezüglich derer sich die Didaktik einigermassen einig ist (vgl. Knoll, 2006). Nämlich:

  • Schülerorientierung (Bezug auf deren Lebenswelt, auf deren Interessen – insbesondere bei der Wahl des Themas)
  • Handlungsorientierung (Konzept der sog. „vollständigen Handlung“, welches Zielformulierung, Planung, Umsetzung und Ergebniskommunikation beinhaltet)
  • Selbstorganisation und kooperative Lernformen
  • Ergebnis- resp. Produktorientierung
    Hinzu können wahlweise zusätzliche Merkmale treten wie: Umformung bzw. Auflösung der Klassenstruktur, Interdisziplinarität, Einbezug ausserschulischer Lernorte, Team-Teaching.
    Für Projektwochen auf der Sekundarstufe II dürften gerade diese letzteren von Bedeutung sein. Ich nehme an, dass auch an Ihrer Schule die Sonderwochen einen mehr oder weniger ausgeprägten interdisziplinären Charakter haben, dass ausserschulische Lernorte bewusst integriert werden und dass im Team-Teaching unterrichtet wird.

Bezüglich der empirisch nachgewiesenen Wirkung von projektartigem Lernen ist die Forschungslage ausgesprochen dürftig. Dies liegt wahrscheinlich auch daran, dass der ganzheitliche, situative und praxisorientierte Charakter dieser Lernform forschungsmethodisch grosse Probleme stellt. Labudde (2003) bemerkt in seinem Forschungsüberblick zum naturwissenschaftlichen Fachbereich, dass die Studien zwar sehr oft positive Effekte nachweisen würden, genauso oft aber auch methodische Mängel enthielten. Und Knoll (2006) stellt fest, dass die wenigen Studien, die es zu diesem Thema gibt, z.T. den euphorischen Praxisberichten und den theoretischen Abhandlungen der Pädagogen, die sich der Projektidee verschrieben haben, widersprechen würden.
Sie sehen also: die ambivalente Einschätzung des projektartigen Lernens findet nicht nur in Ihrem Kollegium, sondern auch in der Forschung statt.
Kritiker weisen v.a. auf folgende Schwächen resp. Risiken hin: eine Verwässerung des Begriffs (alles und jedes wird als Projekt bezeichnet) führe dazu, dass Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrpersonen und andere Beteiligte Projektlernen vorrangig als Methode zur Auflockerung des traditionellen Unterrichts und des Schulalltags halten würden. Weiter wird darauf hingewiesen, dass Projektlernen als spezifische Form des Lernens nicht in einmaligen, herausgehobenen Sonderveranstaltungen, die oft noch in Isolation zum Regelunterricht stattfinden, erlernt werden kann. Es bedürfe deshalb einer sorgfältigen und überlegten Anbindung an Themen und Methoden, welche im systematisch aufgebauten Fachunterricht erlernt werden. Nur so könnten die eigenständigen Zielsetzungen, die das fachliche Lernen des Regelunterrichts gerade erweitern und aufbrechen sollten, erreicht werden.
Wie für jede Lehr-Lernmethode gilt auf für die Projektmethode, dass sie nicht per se anderen Methoden überlegen ist. Entscheidend ist, wie sie im Gesamtsetting des Unterrichtens und Lernens platziert wird.
Eine Analyse von Best Practice Beispielen kann zeigen, worauf zu achten ist, damit die Zielsetzungen, die mit der Projektmethode anvisiert werden, auch wirklich erreicht werden können.
Dies leisten z.B. Caviola, Kyburz-Graber u.a. (2011) in ihrem Buch zum fächerübergreifenden Unterricht. Da es sich bei den Projektwochen in Maturitätsschulen in den meisten Fällen um fächerübergreifende Vorhaben handelt, kann ich Ihnen dieses wärmstens empfehlen. Caviola u.a. erachten es insbesondere als wichtig, dass in der Konzentration auf das Handlungsziel der „bewusste Umgang mit der Fachperspektive“ nicht zu kurz kommt. „Im fächerübergreifenden Projektunterricht ist es deshalb ratsam, durch entsprechende methodische Massnahmen die Fachperspektiven in ihrem Zugang zum Problem bewusst zu machen und zu stärken“ (ebd., p.7). Für eine fruchtbare Durchführung von fächerübergreifendem Projektunterricht gelte die Voraussetzung, dass „die forschungsähnlichen, auf Selbständigkeit ausgerichteten Ansprüche mit Fachlichkeit und Reflexion verbunden werden.“ (ebd., p.126).
Ich denke, dass Sie hier bei Ihren skeptischen Kolleginnen und Kollegen am ehesten einen Konsens erwirken könnten: gegen Projektwochen, in denen forschendes, selbstgesteuertes Lernen, verbunden mit der Reflexion auf Fachkulturen und deren je unterschiedliche Perspektiven geübt und praktiziert wird, kann m.E. eigentlich niemand etwas einwenden. Sie entsprechen dem gymnasialen Auftrag, wie er im Rahmenlehrplan festgehalten ist.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen weiterhin erfolgreiche, befriedigende „Sonderwochen“ und grüsse Sie freundlich.

Literatur:

Apel, H.J. & Knoll, M. (2001). Aus Projekten lernen: Grundlegung und Anregungen. München: Oldenburg.
Caviola, H., Kyburz-Graber, R. & Locher, S. (2011). Wege zum guten fächerübergreifenden Unterricht. Ein Handbuch für Lehrpersonen. Bern: hep Verlag.
Knoll, M. (2006). Projektmethode. In: Arnold, K.H., Sandfuchs, U. & Wiechmann, J. (Hrsg.), Handbuch Unterricht, p. 270-275, Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Labudde, P. (2003). Fächerübergreifender Unterricht in und mit Physik: Eine zu wenig genutzte Chance. In: Physik und Didaktik in Schule und Hochschule, 1.Feb., p.48-66.
Labudde, Peter (2014). Fächerübergreifender naturwissenschaftlicher Unterricht Mythen, Definitionen, Fakten. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften. 2014. Jg.
URL: Fächerübergreifender naturwissenschaftlicher Unterricht – Mythen, Definitionen, Fakten | Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften. Zugriff: 28.10.2014
www.scfv.ch/de/Faecheruebergreifender_Unterricht_Publikation_Leitfaden_24_03_2006.pdf Slovak, B. , Labudde, P. u.a. (2004). Fächerübergreifenden Unterricht planen und durchführen. Ein Leitfaden für Lehrpersonen. Bern und Zollikofen: AHL und SIBP. Online: Zugriff: 22.10.2014

Allerherzlichsten Dank für diese sehr gute und sachliche Rückmeldung. Sie wird uns/mir sicher helfen. Und v.a. merci für die weiterführende Literatur!