Standortgespräch mit geschiedenen Eltern

Guten Tag

Die Eltern einer meiner Schülerin sind geschieden.
Sie verstehen sich überhaupt nicht mehr und weigern sich, gemeinsam an einem Elternanlass zu erscheinen.
Sie fordern von mir, dass ich 2 Standortgespräche durchführe, 1 mit der Mutter und 1 mit dem Vater.

Bin ich dazu verpflichtet?

Vielen Dank und herzliche Grüsse
Kennari

Liebe(r) Kennari

Wenn ein heftiger Konflikt die Eltern nach der Scheidung spaltet, besteht leider die Gefahr, dass Lehrpersonen in diesen elterlichen Konflikt hineingezogen werden. Deine Frage ist je nachdem, ob die Eltern nach der Scheidung über die gemeinsame elterliche Sorge verfügen (heutzutage die Regel) oder die elterliche Sorge nur einem Elternteil zusteht, unterschiedlich zu beantworten:

  • Gemeinsame elterliche Sorge:
    Die gemeinsame elterliche Sorge dient primär dem Kindeswohl (vgl. Art. 296 Abs. 1 ZGB). Demnach sind die geschiedenen Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge einerseits dazu verpflichtet, mit der Schule zusammenzuarbeiten (vgl. Art. 302 Abs. 3 ZGB und Art. 31 Abs. 3 des bernischen Volksschulgesetzes [VSG; BSG 432.210]); andererseits müssen sie dazu in der Lage sein, in schulischen Fragen Informationen auszutauschen und miteinander zu kommunizieren. Dazu gehört in der Regel auch die Bereitschaft, gemeinsam an Standortgesprächen teilzunehmen. Getrennte Gespräche sind somit nur in Ausnahmefällen durchzuführen.

  • Elternteil ohne elterliche Sorge:
    Nicht sorgeberechtigte Elternteile verfügen nur über eingeschränkte Rechte. Gemäss Art. 275a Abs. 2 ZGB dürfen sie bei Drittpersonen lediglich Auskunft über den Zustand und die Entwicklung des Kindes einholen und sollen über besondere Ereignisse im Leben des Kindes benachrichtigt und vor Entscheidungen, die für die Entwicklung des Kindes wichtig sind, angehört werden. Sie haben aber kein allgemeines Recht auf Mitwirkung, sofern ihnen das Gesetz ein solches nicht ausdrücklich zugesteht. Folglich müsste die Schule dem Wunsch des sorgeberechtigten Elternteils Folge leisten und den nicht sorgeberechtigten Elternteil nicht zum Standortgespräch einladen.

Elterliche Konflikte können für alle Beteiligten zur Belastung werden. In schwierigen Situationen steht den Eltern (und auch den Lehrpersonen) die regionale Erziehungsberatung beratend zur Seite.

Liebe Grüsse, der schlaue Bison