Sterbenskranker Vater

Guten Tag

Der Vater eines Schülers hat einen Hirntumor, an dem er wahrscheinlich (vielleicht schon bald) sterben wird. Entdeckt wurde der Tumor letzten Sommer, seitdem geht es ihm kontinuierlich schlechter. Mittlerweile ist er auf sehr viel Hilfe angewiesen, der Schüler bekommt vieles hautnah mit. Therapien schlagen nicht (wirklich) an.

Der Schüler frisst alles in sich rein, spricht nicht über die Situation.
Die Eltern sind sehr engagiert und versuchen immer wieder, das Ganze mit ihm aufzuarbeiten. Der Schüler weiss erst seit ungefähr einem Monat, wie schlimm die Situation wirklich ist. Seit Januar hat er oft Albträume, kann schlecht einschlafen und will oft nicht in die Schule kommen. Er fehlte schon mehrere Mal aufgrund von Bauchschmerzen, meistens schafft er es aber trotzdem. Die Mutter sagt, dass er mittlerweile zu Hause immer komisch drauf ist und sie fast nicht mehr an ihn herankommt. Er will nicht, dass die Klasse Bescheid weiss und dass es in der Schule Thema ist. Alles soll einfach normal sein.
In der Schule merkt man ihm nicht viel an, er arbeitet fast so, wie vor der Diagnose. Die SSA kommt für ihn gar nicht in Frage, mit mir als KLP will er auch nicht sprechen. Was mich nicht verwundert, da er schon vorher nicht besonders mitteilungsfreudig war.

In den Ferien ist von einem anderen Kind der Klasse der Vater gestorben. Darüber habe ich jetzt nach den Ferien die Klasse informiert, später am Tag ergab sich dann noch ein spontaner, sehr guter Austausch über das Thema Tod im Klassenverbund.
Da habe ich beobachtet, dass es für den oben erwähnten Schüler eine schwierige Situation war. Er war sehr angespannt, schaute zum Fenster raus und beteiligte sich nicht mündlich (hätte ich auch nicht erwartet). Ich habe am Anfang des Austauschs gesagt, dass man das Zimmer auch verlassen kann, wenn es einem zu viel wird. Dies hat er nicht gemacht. Später habe ich der Mutter meine Beobachtungen mitgeteilt und wir besprachen weitere Hilfestellungen (z.B Telefon/Chat mit 147, Gedanken aus dem Körper bringen mittels Tagebuch/ins Leere sprechen/…, ein Buch mit guten Momenten führen, kindgerechte Literatur zum Thema).

Diese Fragen beschäftigen uns:
Wie könnte er sich noch mitteilen? Wie sinnvoll ist es überhaupt, seine Gedanken aus ihm „herausprügeln“ zu wollen? Welche Bücher könnten helfen? Was könnte gegen die psychosomatischen Symptome helfen? Wenn er am Morgen nicht zur Schule will: Wie verhält man sich am besten? Inwiefern würde es ihm helfen, wenn die Klasse informiert ist?

Vielen Dank für eure Antworten/Tipps!
Eichhörnchen29

Liebe Eichhörnchen29
Sie erleben gleich zwei aussergewöhnlich schwierige, familiäre Ereignisse innerhalb Ihrer Klasse. Dem Sterben des Vaters entgegenzuschauen oder dessen Tod zu verarbeiten, bedeutet einen grossen psychischen Stress für das Kind und eine einschneidende, prägende Krise in seiner noch jungen Biografie. Dies geht einher mit vielen Veränderungen, die auf das Kind zukommen können: plötzliches Fehlen der geliebten männlichen Bezugsperson, möglicher Statusverlust mit dem Wegfall des Einkommens des Vaters, neue Rollenbesetzung in der Familie, Umgang mit dem Schmerz und der Trauer der Mutter…

Je nach Entwicklungsstufe gehen Kinder verschieden mit dieser schmerzvollen Erfahrung um. Im Anhang finden Sie einige Folien, die ich einmal für einen Kurs zum Thema «Mit Kindern zum Thema Sterben und Tod sprechen» zusammengestellt habe.

Wichtig ist, dass Sie das Kind in seiner Art mit dem Schmerz umzugehen ernst nehmen. Nichts darf von Seiten der Schule erzwungen werden. In Ihrem Fall sucht der Schüler einen Ort der Normalität. Zu Hause ist alles ganz anders – in der Schule soll vom Schmerz, von der Verzweiflung und von der Angst nichts spürbar sein. Geben Sie ihm diese Insel – gepaart mit viel Verständnis und Raum für seine Art der Verarbeitung. Und achten Sie seinen Wunsch, die Klasse nicht zu informieren. Vielleicht willigt er später einmal dazu ein.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bauchschmerzen, dieses Nicht-in-die-Schule-gehen-Wollen, eine wichtige Funktion hat. Vielleicht hat er Angst, dass sein Vater beim Nachhausekommen nicht mehr da ist. Vielleicht liegt auch etwas ganz anderes dahinter. Dies herauszufinden ist aber nicht Ihre Aufgabe.

Gut ist, dass Sie im Kontakt mit der Mutter bleiben. Aber nicht, um ihr zu helfen, das ist nicht Ihre Rolle als Lehrerin. Bei diesem Kontakt geht es viel mehr darum zu klären, was der Schüler aus Sicht der Mutter von Ihnen und von der Schule brauchen kann. Offenbar will er im Moment einfach normal behandelt werden. Und falls er in den nächsten Monaten viel Stoff verpassen sollte, könnte einmal die Wiederholung des Schuljahres ein Thema sein. Aber nicht jetzt.

Die Mutter braucht unbedingt Hilfe. Einerseits, um den Verlust Ihres Mannes - und damit verbunden die neue alleinige Verantwortung für das Kind - tragen zu können, und andererseits braucht sie Unterstützung im Begleiten des Kindes in seinem Schmerz. Die Erziehungsberatung ist sicher eine gute erste Anlaufstelle. Im Internet finden sich weitere Angebote zur Trauerverarbeitung. Dieser Schritt braucht aber Zeit! In diesem Prozess kann nichts beschleunigt werden. Lassen Sie die Mutter mit ihren Kindern entscheiden, wann sie so weit sind.

Falls Sie weitere Fragen haben oder selber Unterstützung im Umgang mit dem Schüler wünschen, melden Sie sich gerne bei einer Beratungsperson.

Ich wünsche Ihnen viel Verständnis und Zuversicht für die betroffenen Familien.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Lieber Kashgar

Vielen Dank für deine schnelle und hilfreiche Antwort! Das schätze ich sehr! Die Folien kann ich gut gebrauchen.

Liebe Grüsse
Eichhörnchen29

Guten Abend

Die beschriebene Situation von Kindern, die davon ausgehen müssen, dass ein Elternteil an den Folgen eines Hirntumors stirbt, kenne ich aus meinem persönlichen Umfeld. Im privaten Bereich dominiert der Krebs alles. In diesem Alltag ist nichts mehr normal. Im Gegenteil, alles wird zusehends schlimmer, schmerzlicher. Daher verstehe ich diesen Jungen. Ich denke, für ihn ist es wichtig, dass die Schule noch ein Ort ist, der nach wie vor „normal“ funktioniert und nicht auch noch von der Krankheit seines Vaters dominiert wird. Der Junge gibt deutliche Signale, dass er in der Schule nicht darüber reden will und ich denke, es ist ganz wichtig, das zu respektieren. Vielleicht rückt der Krebs damit auch mal in die zweite Reihe. Denn neben dem vielen Traurigen gäbe oder gibt es auch immer noch Schönes zu erleben und das tut gut.
Die betroffenen Geschwister, neun- und zwölfjährig, die aus meinem Umfeld stammen, teilten ihr Leid in der Schule vor fünf Jahren auch nicht. Eines davon besuchte jedoch eine Gesprächsgruppe für Kinder krebskranker Eltern der Krebsliga und nach dem Tod des Vaters wurde es über längere Zeit von einem Kinderpsychologin oder -psychiaterin begleitet.

Im Internet gibt es Adressen, die für betroffene Familien wie auch Lehrpersonen hilfreich sein können. Z. B.:

https://zentralschweiz.krebsliga.ch/beratung-unterstuetzung/kinder-krebskranker-eltern

Freundliche Grüsse, Alberta

Liebe Alberta

Vielen Dank für deine Rückmeldung!

Liebe Eichhörnchen29

In der Mediothek der PHBern am Helvetiaplatz finden sich viele Medien zum Thema Tod, Sterben und Verlust, die für den Einsatz im Unterricht gedacht sind. Diese können Sie selbständig über den Bibliothekskatalog swisscovery bestellen. Bei Bedarf dürfen Sie auch gerne eine Themenkollektion unter https://www.phbern.ch/dienstleistungen/unterrichtsmedien/themenkollektionen in Auftrag geben. Somit würde die Mediothek Ihnen eine Auswahl an Medien zum Thema kostenlos zusammenstellen.

Viele Links sowie kompetente Beratung erhalten Sie auch bei der MBR-Beratung (https://www.phbern.ch/dienstleistungen/unterrichtsmedien/medien-religion-ethik-lebenskunde).

Herzliche Grüsse
Alina

Hallo Eichhörnchen 29

Der Vater meines Sohnes 11.J (mein Partner) starb vor einem halben Jahr.

Mein Sohn wollte in der Schule gar nicht darüber sprechen. Er wollte einfach „normal“ sein und es sollte in der Schule weiterhin alles „normal“ sein. Ich habe seine KLP informiert (auch schon als mein Partner noch lebte aber es ihm bereits sehr schlecht ging).

Ich habe seinen Wunsch respektiert und die KLP auch. Kinder trauern anders als wir Erwachsenen und haben nicht dasselbe Bedürfniss darüber zu sprechen wie wir. Sie verabeiten vorallem im Spiel und das habe und tue ich immer noch, so viel wie möglich ermöglicht.

Als mein Parnter bereits sehr krank war, war die Situation zu Hause ausserordentlich schwierig und anspruchsvoll. Auch hier habe ich die KLP informiert und gebeten, mich zu informieren, sollte sich mein Sohn im Unterricht verändern. Die KLP konnte dann 1-2 sehr emotionale Ausbrüche sehr gut begleiten und hat sich hier für meinen Sohn viel Zeit genommen = ohne gross über das Thema zu sprechen.

Ich finde es wichtig, in einer solchen Situation achtsam zu sein, das Kind zu beobachten, dennoch nicht alles auf die Goldwaage zu legen und dem Kind so normal wie möglich zu begegnen.

Zu Hause habe ich verschiedene Bücher zum Thema Tod „herumliegen“. Diese schaut er manchmal an. Vielleicht wäre das auch etwas für die Schule?

Liebe Alina, liebe Mirtha0

Vielen Dank auch für eure wertvollen Rückmeldungen. Ich werde mich mal in der Mediothek umschauen.

Liebe Grüsse

Hallo Eichhörnchen 29

Jeder Mensch geht anders mit Problemen um. Das müssen wir respektieren. Nicht jeder kann „darüber“ reden.
Ich denke, wichtig ist sicher, dass wir der betroffenen Person signalisieren, dass wir da sind für sie. Da sein kann man auch ohne zu reden. „Herausquetschen“ kann man sowieso nichts.
Eine gute Möglichkeit ist auch die Ausdrucksarbeit. Ich bin ausser Kindergartenlehrperson auch Gestaltungspädagogin. Da arbeitet man in einem Atelier mit malen oder Gestalten mit Ton. Das kann sehr hilfreich sein. Das weiss ich aus langjähriger, eigener Erfahrung. Man wird begleitet, muss aber nicht reden. Man kann, wenn man will.
Du könntest dem Jungen Malsachen oder Ton zur Verfügung stellen. Wichtig ist, nicht zu interpretieren (auch andere Kinder nicht!) oder zu fragen, einfach teilhaben. Wenn du noch mehr darüber wissen möchtest, frag einfach.
Auch in der Natur sein ist hilfreich oder Tiere (z.B. Hund, Katze) können eine positive Wirkung haben.

Herzlich
Fran65