Welcher ist der richtige Weg

Guten Tag

Ich bin hin und her gerissen, ob ich mich eineinhalb Tage krankschreiben lassen oder unbezahlten Urlaub beziehen soll. Ich habe einen sehr korrekten Schulleiter, den ich sehr schätze, und es ist mir sehr wichtig, dass ich ihm mit der gleichen Korrektheit begegne wie er uns Lehrkräften. Jedoch habe ich Angst, dass er meine Situation nicht ernst nimmt und meine subjektive Befindlichkeit nicht wahrnimmt.

Es steht mir in der kommenden Woche eine belastende familiäre Situation bevor. Meine Mutter muss sich einer Herzoperation unterziehen lassen (Setzen eines Stents). An sich kein schwerwiegender Eingriff. Mein grosses Problem ist, dass ein gleicher Eingriff bereits vor zwei Jahren im gleichen Krankenhaus durchgeführt wurde und alles schief lief, was schief laufen konnte. Aus einem zweitägigen Spitalaufenthalt wurde ein dreiwöchiges Martryrium, weil eine Komplikation nach der nächsten auftrat. Zweimal war ich zum Glück zum richtigen Zeitpunkt im Spital, ansonsten meine Mutter aufgrund mangelhafter Aufsicht des Pflegepersonals wegen inneren Blutungen gestorben wäre.

Ich habe mit meiner Mutter schon einiges durchgestanden: Blasenkarzinom mit anschliessender Chemo, Herzklappentransplantation, Bypässe, etc. Ich war stets zuversichtlich. Jedoch dieser Eingriff vor zwei Jahren hat bei mir ein Trauma hinterlassen.

Mein Vater und mein Stiefvater sind vor sechs Jahren verstorben, Geschwister, die mich entlasten könnten, habe ich nicht, ebenfalls keine weiteren Angehörigen.

Ich bin Klassenlehrerin. Ich habe einfach Angst, dass der Schulleiter sagen wird, dass ich wegen einer solchen Kleinigkeit nicht eineinhalb Tage lang fehlen kann auf der Arbeit…

Es geht mir wirklich schlecht, seit das Aufgebot vom Spital angekommen ist. Ich stehe neben mir und kann nicht mehr richtig schlafen.

Was soll ich tun? Ich möchte gerne korrekt handeln, habe aber Angst, dass der Schulleiter mich nicht ernst nimmt.

Entschuldigung für dieses sehr ungewöhnliche Problem. Aber für mich ist es tatsächlich ein grosses Problem.

Danke für Ihren Rat.

Mit liebem Gruss

Calimero

Liebe Calimero

Herzlichen Dank für Ihre Anfrage mit dem „ungewöhnlichen Problem“. So ungewöhnlich ist es aus meiner langjährigen Beratungserfahrung nicht. Immer wieder sind vor allem alleinerziehende Mütter mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. Und auch Ihre Schilderung ist mir nicht unbekannt!
Private Belastungen können Menschen immer wieder stark herausfordern. Wie sie mit diesen Belastungen umgehen können ist sehr individuell geprägt und hat viel mit der eigenen Biografie, mit dem Erlebten zu tun. Dass Ihre Seele stark reagiert, dass sie sich „neben Sie“ stellt und Schlafstörungen produziert, ist für mich leicht nachvollziehbar. Sobald Sie sich nicht richtig erholen können, steigt der Druck, in der Schule zu genügen. Die eigenen Erwartungen an die Qualität des Unterrichts, an den Umgang mit (störenden) Schülerinnen und Schülern, kann oft nicht mehr erfüllt werden. Die Unzufriedenheit steigt, zu den privaten Sorgen gesellen sich abwertende Gedanken über das eigene Berufserleben und rauben zusätzlich den Schlaf. Die Abwärtsspirale dreht… Deshalb macht es durchaus Sinn, dass Sie sich bei Ihrem Hausarzt melden und um eine Krankschreibung bitten. Je nachdem, wie weit die Spirale schon gedreht hat, reichen zwei Tage, vielleicht braucht es aber auch eine längere Zeit, damit Sie sich wieder ins Gleichgewicht bringen können.

Anders sieht es aus, wenn Sie dieser Belastung gesundheitlich ohne Probleme gegenüber stehen können. Dann können Sie nach Art. 49 der LAV einen Antrag für einen Kurzurlaub an die Schulleitung stellen. Allerdings haben Sie keinen Anspruch auf diesen Kurzurlaub, es liegt im Ermessen der Schulleitung, ob sie diesen gewähren kann oder will. Hier der Verordnungstext:

Kurzurlaube und andere bezahlte Urlaube
1 Die Schulleitung kann bezahlte Kurzurlaube im Einzelfall wie folgt bewilligen:
a bis zu vier Arbeitstagen wegen Krankheit oder Todes einer oder eines nahen Familienangehörigen,
c im Rahmen der benötigten Zeit wegen dringender privater oder familiärer Verpflichtungen, die sich nicht ausserhalb der Unterrichtszeit erledigen lassen.

Es wäre schön, wenn Schulleitungen ihre Mitarbeitenden auch in solchen Themen ernst nehmen könnten. Zum Glück erlebe ich das mehrheitlich so!

Nun wünsche ich Ihnen viel Kraft und Zuversicht!
Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Herzlichen Dank für Ihre Antwort, die mich sehr unterstützt.

Ich habe mit dem Schulleiter geredet und ihm meine Situation geschildert. Er hat sehr verständnisvoll reagiert, und für ihn gibt es gar keine Diskussion, dass ich diesen Urlaub von eineinhalb Tage erhalte. Er sei als Arbeitgeber sogar dazu verpflichtet. Demzufolge müsse er diesen Entscheid auch nicht begründen vor dem Team.

Ich bin froh, dass ich den Mut hatte, mich offen an den Schulleiter zu wenden. Er war mir sogar sehr dankbar für mein Vertrauen in ihn. Innerhalb einer Stunde hat er sogar sämtliche Stellvertretungen für mich organisiert.

Nun kann ich beruhigt meine Mutter begleiten.

Herzlichsten Dank für Ihre Antwort und Hilfe. Es ist schön, dass es dieses Forum gibt.

Mit liebem Gruss

Calimero

Ihre Rückmeldung freut mich sehr. Einmal mehr zeigt sich, dass es sich lohnt, offen zu sein, sich auch verletztlich zu zeigen! Toll auch, dass Ihr Schulleiter so unterstützend reagiert hat!

Nun wünsche ich Ihnen eine gute Begleitung Ihrer Mutter und vor allem eine heilende Erfahrung in Sachen Spitalaufenthalt.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar