Seit 2 Jahren arbeite ich als Heilpädagogin ohne KG-Erfahrung 1-2x pro Woche in 2 Kindergärten mit Kindern aus bildungsfernem Milieu. viele Kinder sind es nicht gewöhnt mit andern Kindern zu spielen und zu befolgen was eine Lehrperson sagt. Ich arbeite mit Gruppen von meist 4 Kindern an Themen, wo wir Defizite orten. Es geschieht immer wieder, dass Kinder sich weigern mitzumachen. "Wott nid spiele! / „Wott nid zeichne!“ sagen sie mir, setzen eine abweisende Mimik auf und sitzen nur da, unter Umständen eine halbe Stunde lang. Andere Kinder machen Unsinn anstatt das, was ich befehle.
Wer hat Erfahrungen mit solchen Situationen und/oder kreative Ideen, was ich ändern / verbessern oder wie ich reagieren könnte?
Liebe Anne,
ich danke für Deine Frage. Ich bin krankheitsbedingt nicht ganz so arbeitsfähig wie sonst und erlaube mir deshalb, Dir erst morgen ausführlicher zu antworten.
Mit bestem Dank für Dein Verständnis und lieben Grüssen
Adhei
Liebe Anne,
nun, wie versprochen, die ausführlichere Antwort.
Zunächst danke für Deine interessante und denkwürdige Frage und für den Mut, sie ins Forum zu stellen. Dass Du die von Dir geschilderte Situation als unbefriedigend erlebst und Dir eine Veränderung wünscht, kann ich gut nachvollziehen. Dass Du in Sachen Veränderung bereit bist, bei Dir zu beginnen, stellt, so finde ich, eine sehr gute Ausgangsvoraussetzung dar.
Ich selber habe viele Jahre im Kindergarten und in der Familienbegleitung gearbeitet. Die Themen, die Du anschneidest sind mir daher bestens vertraut.
Zunächst habe ich mich beim Lesen gefragt, was genau belastet Dich an der Situation am meisten? Vielleicht magst Du diesem Aspekt nur für Dich nachgehen, vielleicht aber auch den einen oder anderen Gedanken und mir, bzw. den Lesenden des Forums teilen?
Das Leben in einer anderen Kultur beginnt oftmals nicht erst jenseits der Landes- oder Sprachgrenzen. Vielleicht hilft es Dir, wenn Du die Kinder, für die Du Bildungsferne annimmst, als Kinder betrachtest, die in einer anderen Kultur gross werden, als sie der Kindergarten anbietet, als Du sie zu vermitteln versuchst. Du bist also in gewisser Hinsicht Kulturvermittlerin, Botschafterin für die Vorzüge des sozialen Miteinanders, des Spielens, des Malens usw…Wie für jede gute Botschafterin, so würde auch für Dich gelten, zunächst die „Sprache“ der Kinder sprechen zu lernen. Was könnte das heissen?
Kinder, die es nicht gewöhnt sind, mit anderen zu spielen. Vielleicht sind dies Kinder, die selten die Erfahrung machen konnten, dass andere, insbesondere Erwachsene, sich Zeit nehmen, lustvoll, anhaltend und anregend mit ihnen zu spielen.
Kinder die nicht befolgen, was Lehrpersonen, Erwachsene sagen. Ich habe aus meiner eigenen Ausbildung den Grundsatz mitgenommen, dass Kinder nur dann bereit sind Regeln von Erwachsenen zu befolgen, wenn sie die Erfahrung gemacht haben, dass eben diese Erwachsenen ihnen mehrheitlich helfen, ihre Bedürfnisse einzulösen und wenn das, was die Erwachsen einfordern, sinnvoll erscheint. Regeln einhalten, Anweisungen befolgen bedeutet in gewisser Hinsicht Bedürfnisverzicht und der gelingt eben nur, wenn andernorts Bedürfnisbefriedigung stattfindet. Vielleicht hast Du es also mit Kindern zu tun, die einen grossen Nachholbedarf hinsichtlich einer entwicklungsfördernden Bedürfnisbefriedigung durch Erwachsene im gemeinsamen Spiel haben?
Du merkst, so nehme ich an, worauf ich hinaus möchte. Ich glaube es könnte ein grosse Chance darin liegen, wenn Du dich zunächst als attraktive Erwachsene präsentierst, die sinngemäss mithilft, Kissenburgen zu bauen und zu erklimmen, die aus Pappkartons Piratenschiffe entstehen lässt, die über die Weltmeere schippern usw. In so einem Zusammenhang liesse sich das Malen ganz natürlich einbauen und vielleicht auch so, dass Du zu malen beginnst und dann einfach unbedingt Hilfe brauchst… Aber im Kern geht es nicht um das Malen, sondern darum, mit einer erwachsenen Person gute Erfahrungen im gemeinsamen Spiel zu machen.
Vielleicht kannst Du in einem ersten Schritt Deinen Einsatz für eine gewisse Zeit auch ins Gruppengeschehen verlegen und Dich zunächst wie ein Schatten neben, den Kindern bewegen, die Du sonst in der Kleingruppe begleitest. Für WAS und WEN interessieren sie sich? Wann reagieren sie mit Aufmerksamkeit. Hier können schon Sekunden relevant sein, oder eine häufigere Blickzuwendung etc… D.h., Du gehst auf die Suche nach Stärken, Kompetenzen, kurz um nach Ressourcen. Du könntest probieren, den Fokus zu wechseln, weg von den Defiziten hin zu den Kompetenzen. Mit Deinen zukünftigen Angeboten würdest Du Dich dann viel mehr in einem Bereich „gemeinsamer Sprache“ bewegen.
Fühlst Du Dich durch diese Anregungen angesprochen? Ich würde mich freuen am weiteren Verlauf Deiner Arbeit lesend teilhaben zu können.
Liebe Grüsse
Adhei