Ich unterrichte als Klassenlehrperson. Dieses Jahr haben wir eine sehr happige Klasse. Meine TP-Lehrperson hat daraufhin kurzfristig das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Nun arbeitet eine Stellvertretung. Beide Personen erfahren (resp. erfuhren) möglichst grosse Unterstützung / Beratung von mir.
Der Unterricht ist für mich sehr schwierig, aber es gelingt mir, die Klasse zu führen. Bei der TP-Lehrperson und auch bei der Stv. gerät die Klasse äusserst massiv ausser Rand und Band. Einzelne Kinder verhalten sich dermassen schwierig, dass sie nach Hause geschickt werden mussten. Ich weiss nicht, wie lange die Stv. unter diesen Bedingungen noch kommt.
Im Moment kann ich an meinen Tagen unterrichten, aber es ist, als würde gleich eine Lawine ins Rollen kommen, welche auch ich nicht mehr aufhalten kann.
Teamteaching, IF und neu Klassenhilfe haben noch nicht „gegriffen“. Ich reagiere mit Stress-Symptomen, obwohl ich sehr gut mit meinen persönlichen Ressourcen umzugehen weiss (zB Schlafstörungen, Übelkeit…)
Was mache ich in solch einer Situation? Wie weit bin ich für den Unterricht meiner Kolleginnen verantwortlich? Wie müsste man eventuell die Eltern mit ins Boot nehmen, und was tun, damit kein schlechtes Licht auf meine Kolleginnen fällt? Ich fühle mich bei meinem Arbeitsbeginn immer weider so, als müsste ich die Klasse wieder ordnen, bevor ich den „Unterrichts-Modus“ wieder einstellen kann. Ich weiss nicht, wie lange es mir noch gelingt.
Was raten Sie mir? Vielen Dank im Voraus.
Ich habe vergessen, zu erwähnen, ich fühle mich, als wären mir die Hände gebunden, weil die ganz schlimmen Situationen bei mir nicht vorkommen. So weiss ich gar nicht, ob / wie ich eingreifen oder handeln soll, denn einerseits betrifft es nicht primär meinen Unterricht, andererseits bin ich die Klassenlehrperson. Weder möchte ich etwas, was in meinen Pflichten / Möglichkeiten wäre, unterlassen, noch möchte ich eingreifen, wo es gar nicht meine Aufgabe wäre.
Liebe Marcelle
Sie haben eine anspruchsvolle Klasse und fühlen sich als Klassenlehrerin auch mitverantwortlich, was im Unterricht Ihrer Teilpensenlehrperson und der IF-Lehrperson geschieht.
Für den Unterricht ist jede Lehrperson selbst verantwortlich. Wächst der Lehrperson die Situation über den Kopf, ist sie zuständig, Hilfe und Unterstützung bei der Schulleitung, bei der/dem Schulsozialarbeitenden oder bei externen Fachstellen (EB, Beratungsstelle für Lehrpersonen der PHBern) zu holen. So wie Sie die Situation beschreiben, haben Sie als Klassenlehrerin in den letzten Wochen alleine diese Hilfe geleistet und leiden inzwischen an Erschöpfungssymptomen.
Ich rate Ihnen, die Leitung dieser Problemsituation der Schulleitung zu übergeben. Es ist notwendig, dass alle Lehrpersonen der Klasse gleichzeitig an einem Tisch versammelt sind und das Erleben der schwierigen Situation von allen betroffenen Lehrpersonen beschrieben wird. Daraufhin können gemeinsam Lösungen erarbeitet werden. Dazu gehört auch die Klärung, wer für was die Verantwortung trägt und wer wo Unterstützung benötigt und auch beantragt.
Die Eltern mit ins Boot zu holen, ist sehr wichtig. Dabei gibt es ja unterschiedliche Vorgehensweisen (schriftliche Elterninformation, Elternabend zum Thema, Elterngespräche), die auch gemeinsam besprochen werden sollten. Als Klassenlehrerin sind Sie zuständig für die Elternzusammenarbeit, eine Unterstützung von Seiten der Schulleitung ist in dieser Situation aber sehr wichtig.
Manchmal vergisst man in solch anspruchsvollen Situationen, die Schülerinnen und Schüler für die Problemlösung mit ins Boot zu holen: Auch in einer „happigen Klasse“ sollten alle SuS ihren Fähigkeiten entsprechend Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen können. Das heisst in diesem Fall vielleicht, dass man die fachlichen Ziele vorübergehend etwas zurückstellt und intensiver mit den Schülerinnen und Schülern an den personalen und sozialen Kompetenzen arbeitet (Arbeit an überfachlichen Kompetenzen).
Herzliche Grüsse
Europa
Guten Tag Europa
Vielen Dank für Ihre hilfreiche Antwort. In der Tat habe ich zu viel Verantwortung für den Unterricht meiner Kolleginnen übernommen. Dies war ein Fehler. Ich werde mich in Zukunft besser abgrenzen.
Die Schulleitung (sehr wenig Stellenprozente) war von Anfang an involviert, die mit ihr getroffenen Massnahmen beginnen nun zu greifen. Für meine Stellenpartnerin leider jedoch etwas zu spät.
Mit den Eltern sind wir dran. Es kristallisiert sich langsam heraus, bei welchen Kindern welche gruppendynamischen Prozesse in Gang kommen. Darüber bin ich froh.
In der Tat hatte ich die fachlichen Ziele zurückgestellt. Wir haben nun seit den Herbstferien intensiv an den Sozialkompetenzen gearbeitet. Ich habe das Gefühl, dass alles zu greifen scheint. Es braucht einfach einen sehr langen Atem.
Für mich war der Hauptpunkt aber der von der Verantwortung für den Unterricht. Dies hat mir sehr geholfen, auch meinen Part zu erkennen. Vielen herzlichen Dank.
Marcelle