Unbeliebter lauter störender Schüler

Liebes Forum

In meiner Klasse ist ein Schüler, der sich zunehmends unbeliebt macht. Das Problem zeigt sich während Partner- und Gruppenarbeiten:

  • er ist laut
  • er macht viele unnötige Kommentare
  • er überstimmt andere
  • er „macht andere runter“
  • er lässt andere Meinungen nicht gelten
  • er lenkt andere ab
  • er reagiert nicht auf Kritik von mir oder anderen („es isch mir glich“).

Von der EB habe ich den Auftrag bis zum nächsten Gespräch zu versuchen daran zu arbeiten.

Ich habe mir überlegt für ihn ein Formular zu machen, auf dem er sein Verhalten nach einzelnen Lektionen auf einfache Art und Weise reflektieren kann (ich würde dasselbe tun). Leider kommt mir nicht viel Schlaues in den Sinn. Ich habe bis jetzt:

  • Heute hatte ich so viele produktive/stille Arbeitsphasen (mind. 5 Minuten am Stück):
  • So oft wollte ich heute nach einem Mitschüler / einer Mitschülerin rufen, habe es aber nicht getan:
  • So oft habe ich heute selbst gemerkt, dass ich zu laut bin, und habe mich gemässigt:
  • So oft habe ich heute einen Mitschüler / eine Mitschülerin akzeptiert (ohne zu sagen „du bisch komisch“ o. Ä.):
  • So oft habe ich heute mit jemandem geflüstert, anstatt laut zu reden:

Könnte das etwas bringen? Haben Sie weitere Ideen?

Liebe Grüsse
Lanoble

Liebe Lanoble

Ein Schüler, der sich zunehmend unbeliebt macht, ist nicht nur für die Schülerinnen und Schülern eine Herausforderung, sondern auch für die Lehrperson. Wie lange kann die Geduld und das Verständnis aufrechterhalten werden? Wann beginnt die Lehrperson ungehalten zu reagieren? Was genau löst diese Ungeduld aus? Dass der Unterricht gestört ist? Dass eine Hilflosigkeit oder eine Ohnmacht aufkommt? Dass die inneren Werte und Idealvorstellungen nicht mehr gelebt werden können?
Und nicht zuletzt die Frage: Wie kann ich als Lehrperson anders, vielleicht für den Schüler unerwartet reagieren, ohne dass ich auf sein „Spielangebot“ eingehe? „Spielangebot“ deshalb, weil ich überzeugt bin, dass jedes Verhalten, auch wenn es von aussen betrachtet noch so absurd scheint, eine innere Logik hat, diese Logik aber der Lehrperson oft nicht zugänglich ist. Der agierende Schüler will aber irgendetwas damit erreichen.

Sie haben aber nicht nach obenstehenden Gedanken gefragt, sondern wollen ein Feedback zu Ihren Überlegungen und allenfalls weitere Ideen lesen. Gerne versuche ich, dem gerecht zu werden:

Ich weiss nicht, wie alt der Schüler ist, gehe aber davon aus, dass er ein Unterstufenschüler ist. Deshalb würde ich das Formular möglichst einfach halten und nicht in jeder Lektion einsetzen, sonst könnte es an Reiz verlieren.
Bleiben Sie in der Formulierung positiv, erwähnen Sie das zu vermeidende Verhalten nicht. Zum Beispiel so:

„In dieser Stunde ist es mir gelungen, oft still zu arbeiten.“
„In dieser Stunde habe ich mit meinen Mitschülerinnen/Mitschülern meistens einen guten Umgang gehabt.“
„In dieser Stunde habe ich mich an die Regel xy erinnert und habe mich oft entsprechend verhalten.“

Bewusst würde ich Wörter wie „oft“ oder „meistens“ einbauen, damit das Erreichen der Aussage eher möglich ist. Erreichte Ziele motivieren, weiterhin dran zu bleiben, nicht erreichte demotivieren und führen schnell zu Resignation.

Als Einschätzung können vier Smileys gezeichnet werden oder andere Symbole, die ihn motivieren. Falls Sie sein Freizeitverhalten kennen, gibt es vielleicht daraus Symbole, die eine Abstufung zeigen könnten? (Tiere zum Knuddeln bis gefährliche Tiere, Märchenfeen bis zum Räuber, Ronaldo bis zum Hobbykicker…).

Spannend könnte auch sein, wenn Sie ihn zu Beginn der Stunde auffordern, mit einer Farbe einzuschätzen, wie er sich Ende der Lektion einstufen wird. Er soll also überlegen, wie oft er stören will. Am Schluss soll er mit einer anderen Farbe die tatsächliche Einschätzung markieren.
Interesssant wäre auch, wenn er am Schluss einen Satz zu folgender (oder ähnlicher) Frage aufschreiben müsste: Das hat (hätte) mir geholfen, mich freundschaftlich und ruhig zu verhalten:

Dieser Fragebogen braucht aber Zeit und es ist wichtig, dass er diese während der Lektion erhält und nicht in die Pause arbeiten muss.

Nun komme ich aber noch einmal auf Ihre Rolle zu sprechen. Für die EB – und auch für Sie – wäre es äusserst hilfreich, sein Verhalten genau zu beobachten:

  1. Wann im Verlauf der Lektion, des Tages tritt sein störendes Verhalten weniger auf, wann mehr?
  2. Wie sieht es in den Pausen aus?
  3. Welche Methode hilft ihm, bei sich zu bleiben, welche Methode lädt ihn ein, sein störendes Verhalten auszuleben?
  4. Gibt es Verhaltensunterschiede, je nachdem, welche Lehrperson ihn unterrichtet? Wenn ja, was machen die Lehrpersonen, bei der er weniger stört, anders, als die, bei denen er mehr auffällt?
  5. Welche Auslöser helfen ihm, in sein störendes Verhalten einzusteigen? Welche Interventionen helfen ihm, nicht einzusteigen oder wieder auszusteigen?

Dies alles bedeutet einen grossen Mehraufwand für Sie, Sie haben ja auch noch andere Schülerinnen und Schüler, die Ihre Aufmerksamkeit wollen und auch das Recht darauf haben. Vielleicht arbeitet eine Heilpädagogin/ein Heilpädagoge in Ihrer Schule, die gerne solche Beobachtungsaufgeben übernehmen würde?

Nun wünsche ich Ihnen viel Geduld und Zuversicht auf positive Verhaltensänderung und bin gespannt, einmal wieder von Ihnen etwas zu lesen.

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar

Lieber Kashgar

Ich freue mich sehr über Ihre ausführliche Rückmeldung und danke herzlich dafür.

Schonmal vorweg: Es handelt sich um einen Oberstufenschüler. Verzeihen Sie, ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, das zu erwähnen. Ich finde es aber interessant, dass sie auf einen Unterstufenschüler getippt haben. :slight_smile:

Ich finde aber, dass ich trotzdem für das Formular Ihre Formulierungen verwenden kann. Erreichte Ziele motivieren ja alle Menschen zum Weitermachen.

Die EB hat bereits vorgeschlagen, eine Heilpädagogin einzusetzen, falls sich durch meine Intervention das Verhalten nicht bessert. Das fände ich sehr spannend.

Zum Schluss kann ich sagen, dass er sein Verhalten mehr oder weniger hartnäckig durchzieht - egal ob Pause oder Unterricht, egal welches Fach (je „offener“ das Fach, desto schlimmer). Es ist auch nichts Neues. Die Mittelstufen-Lehrkraft hat das sehr viel Kraft gekostet. Und auf die EB geht er schon seit ein paar Jahren.
Was ist aber unbedingt genauer beobachten möchte, ist " Welche Interventionen helfen ihm, nicht einzusteigen oder wieder auszusteigen?". Ich denke, dass da der Hund begraben liegt.

Wie Sie ganz richtig sagen, habe ich auch noch andere Schülerinnen und Schüler (und das nicht zu knapp). Ich bin aber in der glücklichen Lage, dass sich die anderen nicht von seinem Verhalten anstecken lassen. Mit der vorherigen Klasse hätte das ganz anders ausgesehen. Dafür stört es sie halt sehr. Und das soll ja auch nicht sein.

Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Gedanken und Hinweise!

Freundliche Grüsse
Lanoble

Lieber Lanoble

Da Sie geschrieben haben, dass sich das Verhalten zunehmend verschlechtert und die EB im Spiel ist, ging ich davon aus, dass dies zu Beginn der Schulkarriere passiert - da lag ich also falsch… Schön, dass Sie trotzdem den einen oder anderen Gedanken nutzen können.

Es ist ja eindrücklich, mit welch Hartnäckigkeit, Beharrlichkeit und Geduld sich Ihr Schüler auffällig benimmt. Sogar eine langjährige, professionelle Begleitung hat wenig Veränderung bewirkt… Wenn er obige „Kompetenzen“ für ein gewinnbringendes Verhalten nutzen könnte, wäre ich neugierig zu erfahren, welche Leistungen er dann erbringen würde.
Gerne würde ich ihn auch fragen, was der Gewinn seines Verhaltens ist. Was will er erreichen? Was würde ihm wohl fehlen, wenn er von heute auf morgen damit aufhören würde? Wer wäre am meisten überrascht, wenn er sich plötzlich ändern würde? Wen würde es am meisten freuen?

Je nachdem, wie Sie die Beziehung zwischen ihm und Ihnen sehen, könnten das durchaus Fragen sein, die Sie ihm einmal in einem Zweiergespräch oder auch im Dabeisein der Eltern fragen könnten. Die Fragen entsprechen dem Konzept der Lösungsorientierten Gesprächsführung, sind aber kein „Wunderheilmittel“.

Nun wünsche ich Ihnen viel Energie und Kraft mit und für Ihre Klasse und verbleibe

Mit freundlichen Grüssen
Kashgar