Liebe Lanoble
Ein Schüler, der sich zunehmend unbeliebt macht, ist nicht nur für die Schülerinnen und Schülern eine Herausforderung, sondern auch für die Lehrperson. Wie lange kann die Geduld und das Verständnis aufrechterhalten werden? Wann beginnt die Lehrperson ungehalten zu reagieren? Was genau löst diese Ungeduld aus? Dass der Unterricht gestört ist? Dass eine Hilflosigkeit oder eine Ohnmacht aufkommt? Dass die inneren Werte und Idealvorstellungen nicht mehr gelebt werden können?
Und nicht zuletzt die Frage: Wie kann ich als Lehrperson anders, vielleicht für den Schüler unerwartet reagieren, ohne dass ich auf sein „Spielangebot“ eingehe? „Spielangebot“ deshalb, weil ich überzeugt bin, dass jedes Verhalten, auch wenn es von aussen betrachtet noch so absurd scheint, eine innere Logik hat, diese Logik aber der Lehrperson oft nicht zugänglich ist. Der agierende Schüler will aber irgendetwas damit erreichen.
Sie haben aber nicht nach obenstehenden Gedanken gefragt, sondern wollen ein Feedback zu Ihren Überlegungen und allenfalls weitere Ideen lesen. Gerne versuche ich, dem gerecht zu werden:
Ich weiss nicht, wie alt der Schüler ist, gehe aber davon aus, dass er ein Unterstufenschüler ist. Deshalb würde ich das Formular möglichst einfach halten und nicht in jeder Lektion einsetzen, sonst könnte es an Reiz verlieren.
Bleiben Sie in der Formulierung positiv, erwähnen Sie das zu vermeidende Verhalten nicht. Zum Beispiel so:
„In dieser Stunde ist es mir gelungen, oft still zu arbeiten.“
„In dieser Stunde habe ich mit meinen Mitschülerinnen/Mitschülern meistens einen guten Umgang gehabt.“
„In dieser Stunde habe ich mich an die Regel xy erinnert und habe mich oft entsprechend verhalten.“
Bewusst würde ich Wörter wie „oft“ oder „meistens“ einbauen, damit das Erreichen der Aussage eher möglich ist. Erreichte Ziele motivieren, weiterhin dran zu bleiben, nicht erreichte demotivieren und führen schnell zu Resignation.
Als Einschätzung können vier Smileys gezeichnet werden oder andere Symbole, die ihn motivieren. Falls Sie sein Freizeitverhalten kennen, gibt es vielleicht daraus Symbole, die eine Abstufung zeigen könnten? (Tiere zum Knuddeln bis gefährliche Tiere, Märchenfeen bis zum Räuber, Ronaldo bis zum Hobbykicker…).
Spannend könnte auch sein, wenn Sie ihn zu Beginn der Stunde auffordern, mit einer Farbe einzuschätzen, wie er sich Ende der Lektion einstufen wird. Er soll also überlegen, wie oft er stören will. Am Schluss soll er mit einer anderen Farbe die tatsächliche Einschätzung markieren.
Interesssant wäre auch, wenn er am Schluss einen Satz zu folgender (oder ähnlicher) Frage aufschreiben müsste: Das hat (hätte) mir geholfen, mich freundschaftlich und ruhig zu verhalten:
Dieser Fragebogen braucht aber Zeit und es ist wichtig, dass er diese während der Lektion erhält und nicht in die Pause arbeiten muss.
Nun komme ich aber noch einmal auf Ihre Rolle zu sprechen. Für die EB – und auch für Sie – wäre es äusserst hilfreich, sein Verhalten genau zu beobachten:
- Wann im Verlauf der Lektion, des Tages tritt sein störendes Verhalten weniger auf, wann mehr?
- Wie sieht es in den Pausen aus?
- Welche Methode hilft ihm, bei sich zu bleiben, welche Methode lädt ihn ein, sein störendes Verhalten auszuleben?
- Gibt es Verhaltensunterschiede, je nachdem, welche Lehrperson ihn unterrichtet? Wenn ja, was machen die Lehrpersonen, bei der er weniger stört, anders, als die, bei denen er mehr auffällt?
- Welche Auslöser helfen ihm, in sein störendes Verhalten einzusteigen? Welche Interventionen helfen ihm, nicht einzusteigen oder wieder auszusteigen?
Dies alles bedeutet einen grossen Mehraufwand für Sie, Sie haben ja auch noch andere Schülerinnen und Schüler, die Ihre Aufmerksamkeit wollen und auch das Recht darauf haben. Vielleicht arbeitet eine Heilpädagogin/ein Heilpädagoge in Ihrer Schule, die gerne solche Beobachtungsaufgeben übernehmen würde?
Nun wünsche ich Ihnen viel Geduld und Zuversicht auf positive Verhaltensänderung und bin gespannt, einmal wieder von Ihnen etwas zu lesen.
Mit freundlichen Grüssen
Kashgar