Ungenügende Kompetenz

Ich bin seit 3 Jahren Lehrperson an der Höheren Fachschule. Dh. ich unterrichte Erwachsene. Ich unterrichte in Modulen, in denen ich fachlich grundsätzlich kompetent bin. Ich habe eine 20jährige Karriere in der Branche hinter mir und bin derzeit in Ausbildung zur Lehrperson an höheren Fachschulen im Hauptberuf. Ich habe bereits den Fachausweis AusbilderIn erreicht, also auch einiges an pädagogischer Ausbildung erhalten.
An unserer Schule wird vom Unterricht eine standardisierte Evaluation gemacht die dem Vorgesetzten abgegeben werden muss. Es gibt allerdings Regeln darüber wie oft das gemacht werden muss, teilweise darf man auch mit eigenen Methoden evaluieren.
Meine Evaluationsergebnisse waren bisher nie sehr berauschend, ich fand sie jedoch akzeptabel, mittelmässig halt. Dafür hat mich unser Vorgesetzter jedoch schon einmal deutlich in den Senkel gestellt. Ich konnte zwar im MAG mit ihm ansprechen dass mich das eingeschüchtert hatte und er hat das verstanden. Aber ein Stück unangenehme Erinnerung bleibt.

Jetzt habe ich ein Modul abgeschlossen (12 volle Tage Unterricht) mit einer Klasse, mit der es mir überhaupt nicht gelang, eine gute Beziehung herzustellen. Es war stets sehr unruhig im Unterricht, einige Studierende verhielten sich eher wie Jugendliche, andere auch sehr (heraus-)fordernd, ständig mein Wissen und Verhalten testend. Ich habe versucht, das offen anzusprechen mit der Klasse, und hatte den Eindruck, dass es auch bessert. Am letzten Tag habe ich einen der Studierenden jedoch bilateral noch einmal auf sein nicht passendes Verhalten angesprochen und ihm gesagt dass es so nicht geht.
Ich habe mit ihnen die standardisierte Auswertung gemacht wie auch eine interaktive. Leider war es am Freitag vor den Sportferien, so dass nur noch gut die halbe Klasse da war.
Die Resultate der standardisierten Auswertung sind nun tatsächlich ziemlich unterirdisch. dh. 40-50%. Bei den offenen Fragen werde ich sehr heftig kritisiert. Zum Teil ist die Darstellung auch verzerrt, entspricht nicht der Realität. Ich werde als unfähig und inkompetent hingestellt. Der Unterricht bei mir habe nichts gebracht usw.

Einerseits versuche ich mich davon zu distanzieren, aber in anderen Momenten trifft es mich enorm und erzeugt heftige Selbstzweifel. Warum fanden es die Studierenden so schrecklich mit mir? Was habe ich falsch gemacht, dass sie mich so nicht akzeptieren konnten? Gleichzeitig fürchte ich mich noch zusätzlich vor der Kritik meines Vorgesetzten. Ich habe nach Gesprächen mit KollegInnen beschlossen, ihm gegenüber volle Transparenz zu zeigen, dh. auch die missglückten Befragungsgergebnisse aufzuzeigen. Ich werde in 3 Wochen ein Gespräch mit ihm haben.

Die ganze Situation erzeugt aber wie gesagt massive Selbstzweifel bei mir, ich frage mich ob ich hier nicht völlig „im falschen Film“ bin und möglichst schnell eine andere Stelle suchen sollte. Ich sehe KollegInnen die seit 10 Jahren oder mehr hier sind und nie „ankommen“ bei den Studis und mit dem Vorgesetzten im Dauer-Kampf sind. So möchte ich nicht enden. Aber der Arbeitsmarkt ist auch nicht grad auf ausgemusterte 47jährige DozentInnen ausgerichtet :frowning:
Ich fühle mich hilflos, wie ich die Situation bewerten und angehen soll.

Guten Tag Minneken

Sie beschreiben Ihre Situation klar und ungeschönt und ich kann Ihre Selbstzweifel gut verstehen. Ich stelle mir vor, das anstehende Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten setzt Sie zusätzlich unter Druck. Gut, dass Sie sich entschieden haben, ihn über Ihre letzten Befragungsresultate zu informieren. So zeigen Sie, dass Sie die Situation ernst nehmen und sie verändern wollen.

Gerne schreibe ich Ihnen einige Gedanken auf:

Beziehung zwischen Unterrichtenden und Studierenden
Sie nennen diese Schwierigkeit gleich zu Beginn und dies widerspiegelt auch die Bedeutung einer guten Beziehung für erfolgreichen Unterricht: Sie ist zentral.
Unpassendes und störendes Verhalten der Studierenden kann Ausdruck dieser Beziehung sein.

Um dies genauer zu verstehen und zu erkennen, wo Sie, z B in der Kommunikation, ansetzen könnten, braucht es einen genauen Blick. Ich empfehle Ihnen ein Beratungsgespräch zu diesem Thema. Beraterinnen und Berater des Instituts für Weiterbildung und Medienbildung IWM finden Sie hier.
In einer Beratung können Sie sich auch Unterstützung holen, um das Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten vorzubereiten.

Evaluationen
Sie haben in Ihrer Institution standardisierte Evaluationen, welche Sie anwenden und auswerten. Die letzte Evaluation und insbesondere die kritischen Rückmeldungen am Ende des Moduls lassen Sie nun ratlos zurück, weil Sie keine Möglichkeit mehr haben, nachzufragen, zu klären und Schlussfolgerungen zu ziehen.

Sie schreiben, dass Sie auch die Möglichkeit haben, mit eigenen Methoden zu evaluieren.
Das empfehle ich Ihnen sehr. So können Sie frühzeitig erkennen, wo es hapert und Anpassungen vornehmen. Das frühe Einholen von Feedback ist auch eine Möglichkeit, die Studierenden in die Gestaltung des Unterrichts zu beziehen.

Berufliche Zukunft
Ausgelöst durch die schwierige Situation stellen Sie sich Grundsatzfragen und überlegen sich einen Stellenwechsel. Eine Anstellung in einer anderen Institution, neue Kolleginnen und Vorgesetzte können Ihre allgemeine Berufszufriedenheit positiv verändern. Sie schreiben jedoch auch sehr ehrlich, dass Ihre Evaluationsergebnisse in der Vergangenheit auch nicht sehr berauschend waren. Diese Themen aus Ihrer Arbeit nehmen Sie mit an eine neue Stelle.

Sie sind zur Zeit noch in einer Ausbildung, möchten in Zukunft hauptberuflich an eine FH unterrichten. Gibt es vielleicht in dieser Ausbildung einen Dozenten / eine Dozentin, an den oder die Sie sich mit Ihren Fragen zum Unterricht wenden können?

Ich hoffe, meine Überlegungen und Hinweise zeigen Ihnen Möglichkeiten auf, wie Sie die Situation angehen können.

Niesen

Vielen Dank für die Hinweise!
(ich unterrichte an der HF nicht der FH). Die Weiterbildung ist im Moment unterbrochen da es eine zu grosse zeitliche Belastung war. Da kann ich also im Moment keinen Dozenten fragen.
Gerne prüfe ich die Möglichkeit der Beratungsgespräche. Vor dem Termin mit dem Vorgesetzten werde ich allerdings wohl kaum Zeit finden: Wenn in drei Wochen hintereinander drei volle Tage (8 Lektionen) unterrichtet wird, wird die Zeit sehr knapp für anderes…ich werde das aber mit dem Vorgesetzten thematisieren.

Grüezi, noch eine Rückfrage zum Beratungsvorschlag.
Sie haben mir den Link zur „Personenzentrierten Beratung“ geschickt.
Für mich ist nicht ganz klar ob mir nicht auch die „Unterrichtsspezifische Beratung“ weiterhelfen könnte. Ich habe die Idee, dass ich aus der Situation lernen, mein Vorgehen allenfalls anpassen udn dann auch bessere ERfolgserlebnisse mit neuen Klassen erreichen kann. Was bewog sie, mir die „Personenzentrierte Beratung“ zu empfehlen?
Oder ist der Unterschied gar nicht so gross?

Guten Tag Minneken

Gerne teile ich Ihnen dazu meine Gedanken mit.
Die Unterrichtsspezifische Beratung fokussiert auf den Unterricht, das Lernen der Schülerinnen und Schüler sowie allgemein- und fachdidaktische Hinweise. Die Lehrperson setzt sich vertieft mit ihrem Unterrichtshandeln auseinander.

Die Personzentrierte Beratung (PZB) stellt die Lehrperson mit ihren Fragen und Anliegen ins Zentrum. Die Themen sind oft überfachlich, weniger an die Vermittlung von Inhalten gebunden als vielmehr z.B. an Fragen der Zusammenarbeit. Die Beratungen unterstützen Lehrerinnen und Lehrer in belastenden und konfliktreichen Situationen, sei es mit Schülerinnen und Schülern, Eltern, im Team oder mit Vorgesetzen. Auch Fragen zur persönlichen Standortbestimmung und der beruflichen Zukunft erhalten Raum für Reflexion.

In der Schilderung Ihrer Situation tauchen Themen aus beiden Bereichen auf, sowohl Fragen zur Unterrichtsgestaltung und Entwicklung als auch Fragen zur Beziehungsgestaltung und ein anstehendes Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten. Vor dem Hintergrund dieses anstehenden Gesprächs habe ich Sie als kurzfristige Unterstützungsmöglichkeit auf die PZB hingewiesen.

Freundliche Grüsse

Niesen

Herzlichen Dank!
Minneken

Sehr interessante und hilfreiche Antworten, die auch mir weiter geholfen haben.