Wortschatz erweitern

Liebes Forum,

ich begleite drei Mädchen im IF-Unterricht.
Anliegen der Klassenlehrkraft ist es, den Wortschatz der Kinder zu erweitern.
Alle drei Mädchen verfügen über Migrationshintergrund, die Eltern sprechen kein Deutsch.

Meine Frage besteht aus zwei Teilen:

  1. Gehört dieses Anliegen in den Bereich der IF-Lehrkraft? (Oder eher in den DAZ-Unterricht?)
  2. Wie kann ich möglichst effizient an diesem Thema arbeiten?
    Welche Lehrmittel, welche wissenschaftlichen Hintergründe, welche methodischen Hinweise können mir weiter helfen?

Mit lieben Grüssen und bestem Dank für alle eure Hinweise!

Malena

Liebe Malena
Danke für Ihre Anfrage. Generell ist die Wortschatzförderung ein Thema sowohl im Deutsch- als auch im DaZ-Unterricht. Sie als IF-Lehrperson müssen sich also mit der Deutsch- und auch mit der DaZ-Lehrperson absprechen und deren Wortschatzförderprogramm folgen.
Aber, um Ihre Fragen aber doch fundierter beantworten zu können und Ihnen auch geeignete Literaturhinweise geben zu können, sollte ich einige Angaben von Ihnen erhalten:

  1. Auf welcher Stufe sind Ihre Mädchen ?
  2. Wie erfolgt der Aufbau des Wortschatzes im Regelunterricht ?
  3. Wieviel Deutsch können die Mädchen (schwierige Frage) , oder besser gefragt: Wie gross ist das Gefälle der Kenntnisse der Mächden im Vergleich zu ihren Klassenkameraden ?
    Mit einer genaueren Eingrenzung der Stufe und der Kenntnisse werde ich Ihnen einige Hinweise und gute Materialien empfehlen können.
    Mit lieben Grüssen
    artemisia

Liebe Artemisia,

herzlichen Dank für deine Antwort.

  1. Die Mädchen besuchen die vierte Regelklasse.
  2. Die Mädchen besuchten auf der Unterstufe die DAZ-Förderung. Sie haben aber ihr Kontingent bereits aufgebraucht.
    Leider fällt der DAZ-Lehrer auf unbestimmte Zeit aus, und ich kann ihn im Moment nicht fragen, was und wie er gearbeitet
    hat.
  3. Der Klassenlehrer meinte, dass er den normalen Deutschunterricht vermittelt, ohne besondere Massnahmen zur
    Förderung des Wortschatzes oder Leseverständnisses für Kinder mit Migrationshintergrund.

Ich habe den IiR-Test durchgeführt. Alle Mädchen haben den Test sehr gut bestanden. Ich schliesse daraus, dass sie dem Regelunterricht fleissig folgen und zuverlässig arbeiten.

Bei einem Mädchen liegt eine Zuweisung der EB vor, die besagt, dass dieses Kind auch Schwierigkeiten in der Mathematik zeigt und allgemein Schwierigkeiten hat, die geforderten intellektuellen Leistungen zu erbringen.
Für mich heisst das, dieses Mädchen auch in der Mathematik zu unterstützen und in seinen Arbeits- und Lernstrategien zu unterstützen. Ein weiterer wichtiger Aspekt scheint mir, mit diesem Mädchen auch am Selbstvertrauen, an Lern- und Arbeitsstrategien zu arbeiten.

Leider kann ich im Moment keine aussagekräftigeren Hinweise bieten.
Ich werde nächste Woche noch einmal mit dem Klassenlehrer reden, um noch genauer herauszufinden, woran die Mädchen bisher gearbeitet haben. Der Lehrer war etwas überrascht über meine Rückfragen. Er ging wohl davon aus, mir das Problem einfach übergeben zu können. Deshalb habe ich erst mal nicht weiter gebohrt. Ich gehe aber davon aus, dass meine Fragen etwas in Bewegung gebracht haben, und ich nächste Woche ein fruchtbareres Gespräch führen kann, aus dem ich noch mehr hilfreiche Hinweise ziehen kann.

Im Moment arbeite ich mit den Mädchen an den „Aufgaben für das Leseverständnis - Aufgaben für das Leseverstehen“ von Ursula Thüler, schubi Verlag.
Damit kann ich vorhandene Lücken im Wortschatz und Leseverständnis füllen. Das heisst, wir arbeiten.
Aber befriedigend ist das nicht wirklich, da ich sehr unsystematisch und ungezielt arbeite. Auf diese Weise könnte sich die Arbeit nach meinem Gefühl auch über eine sehr lange Zeit hinziehen…
Und das ist für mich eine belastende Option, da ich eine Warteliste mit Kindern führen muss, die dringend Unterstützung in Mathematik und LRS brauchen.

Was rätst du mir?

Ich danke dir ganz herzlich für deine Hinweise und deine Unterstützung,
mit lieben Grüssen,

Malena

Liebe Malena
Danke für alle Ihre Informationen - nun kann ich anhand Ihrer Angaben versuchen, Ihnen eine „Fahrrichtung“ zu skizzieren.
Als erstes muss ich Ihr hohes Engagement loben, das wird sich sicherlich bezahlt machen, allerdings braucht es einen langen Atem, der Erfolg wird sich nicht von heute auf morgen einstellen…… Den wichtigsten Schritt haben Sie schon gemacht: die Zusammenarbeit zwischen Deutsch- Daz und IF-Lehrperson organisieren, das bedeutet gemeinsam am gleichen Strick ziehen, und das meine ich recht wörtlich: So soll Euer DaZ-Lehrer Texte und thematische Wortfelder direkt aus dem Deutschunterricht übernehmen, an denselben Texten arbeiten und diese in ständiger Umarbeitung mit den Mädchen be“ackern“. Auch Sie gehen von denselben Texten aus und verbinden das Leseverstehen immer mit Schreiben: Die Mädchen sollen Zusammenfassungen schreiben, die wichtigen Infos filtern, Stichwortlisten erstellen, mit Mind-mapping arbeiten und die Ergebnisse untereinander vergleichen und ergänzen, um dann den Text gemeinsam zu rekonstruieren. Nicht aufregend, beinharte Arbeit, keine neuen Texte.
Aus dieser Textarbeit lässt sich in einem zweiten Schritt gezielt Wortschatzarbeit einleiten: Nehmen wir z.B. das Wortfeld „Arbeit“: Im Zentrum eines Arbeitsblattes steht „Arbeit“ geschrieben, darum herum werden Ableitungen, Komposita und Erweiterungen zusammengetragen: (hart, flink) arbeiten, bearbeiten, der Arbeiter, Arbeitszeit, Arbeitslohn, Arbeitsklima, Arbeitsmoral, arbeitslos ecc. Die Mädchen werden angeregt, immer mit dem Wörterbuch zu arbeiten, das soll eine Gewohnheitsstrategie werden. Oder umgekehrt: Um den Begriff Arbeit herum wird mit Assoziationen ein Wörterigel rekonstruiert: arbeitsame Schweizer, Lehre, anstrengend, Lohn ecc. Daraus lässt sich eine Geschichte entwickeln (oder bescheidener: einige prototypische Sätze). Oder es werden Adjektiva zum Wort „Arbeit“ gesammelt, oder es müssen passende Wendungen zu „Arbeit“ gefunden werden (sagt man: zur Arbeit sein ? die Arbeit vernachlässigen? das Nachtessen arbeiten ?) Die Mädchen erfahren dadurch, dass der Aufbau des Wortschatzes nicht isoliert betrachtet werden muss, und dass Sprache für alle Fächer grundlegend ist.
Ich kann Ihnen dazu das Wortschatzheft (mit CD) des Lehrmittelverlags des Kantons Aargau DINGSDA (2005) von Bai, Chiquet und Nodari wärmstens empfehlen, das ist immer noch das Beste, was zu diesem Thema zusammengestellt wurde. Es gibt uns auch Anhaltspunkte zum Grundwortschatz und zu den „minimalen“ Wortschatzfeldern, welche S kennen müssten (das ist ja für uns immer schwierig zu beurteilen) und enthält eine Fülle von Arbeitsanleitungen und guten Aufgabenstellungen, einfach SUPER! Im Kommentarband des Deutschlehrmittels „Die Sprachstarken 4“ finden Sie auch viele Anregungen und Textvorlagen, welche zur Sprachförderung Ihrer Stufe geeignet wären.
Zusammenfassend nochmals: Weniger ist in der DaZ-Förderung mehr, nichts Neues besser.
Was das Zusammenspiel von Deutschkenntnissen und Mathematik betrifft, weiss man: Oft – nicht immer ! - beruht mathematisches Unvermögen auf Nicht-Verstehen von deutschen Ausdrücken. Wenn ich die Begriffe nicht richtig verstehe, kann ich nicht mathematisch denken. Auch hier würde ich Ihnen vorschlagen, dass Sie sich mit Ihrer Mathematik-Lehrperson besprechen, ich weiss darüber etwas zu wenig. Falls Sie an Literatur dazu interessiert wären, müsste ich etwas suchen.
Und: Genau zu Ihrem Problemfeld kann ich Ihnen ein Angebot am IWB, PH Bern empfehlen: DaZ: Wortschatz und Textverstehen. Dozierende: J. Baumann, Kurs-Nr.: 11.312.007. Auf unserer website finden Sie nähere Angaben dazu.
In der Hoffnung, Ihnen etwas weitergeholfen zu haben, wünsche ich Ihnen viel Erfolg und grüsse Sie herzlich
artemisia

Liebe Artemisia,

Wow!!!
So könnte es gehen, so kann ich es mir vorstellen, und so macht es auch Spass!

Lieben Dank für deine ausführlichen und wertvollen Hinweise.

Jetzt kann ich im nächsten Gespräch mit DAZ- und Regellehrkraft ein Konzept vorlegen, das für alle, aber vor allem die Mädchen „verhäbt“. Vielleicht nehmen die beiden auch den einen oder anderen Input in ihr Unterrichten auf, wer weiss?
Wenn ich so kompetent in diese Förderlektionen einsteigen kann, spielt es auch keine Rolle mehr, wenn andere Kinder warten müssen. Wenn ich eine kompetente Hilfestellung anbieten kann, dann sind diese Lektionen sehr wertvoll.
(Ausserdem hätte ich die Mädchen eh behalten. Mir ist ja nicht ein Inhalt wichtiger als der andere. Das Kind, das ich vor mir habe liegt mir am Herzen. Und immer haben die Kinder, die ich betreue die Hoffnung, dass sich ihre Situation in der Schule verbessert. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Klassenlehrkraft ein Defizit feststellt hat, was die Kinder immer verunsichert. Wenn meine Intervention rasch eine Wirkung zeigt, hat dies eine gute Wirkung auf die Klassenlehrkraft. Sie schöpft wieder vertrauen in ihre Kinder und begegnet ihnen wieder mit mehr Anerkennung und Wertschätzung. Und dies ist doch schon die halbe Miete!)

Also, herzlichen Dank noch mal, ich mach mich gleich hinter die Arbeit. Habe richtig Lust darauf!

Was Math und Sprache betrifft, bin ich mir des Zusammenhanges bewusst und werde speziell darauf achten, den sprachlich- mathematischen, wie den logisch- mathematischen Aspekt genauer unter die Lupe zu nehmen.

Mit lieben Grüssen,

Malena

Liebe Malena

Wenn Ihre Mädchen durch meine Vorschläge zu Erfolgen geholfen werden kann und sie das Gefühl bekommen, dass sie Fortschritte machen können und der Wortschatzerwerb sei ein greifbares Lernziel geworden, dann feut auch mich das enorm !

Die Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund ist eine dankbare Angelegenheit und eine wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft. Ich danke Ihnen nochmals mit Nachdruck für Ihr hohes Engagement, das ist toll !
Auguri und saluti
artemisia