Schweres ADHS in einer Kleinklasse

Guten Tag

Ich bin Klassenlehrerin einer Kleinklasse auf der Oberstufe. Ich habe einen Jungen in meiner Klasse mit einem schweren ADHS (Abklärung des SPD bestätigte meine Vermutung). Die Eltern stellen sich total gegen diese Diagnose. Sie sind der Ansicht, wenn sich ihr Sohn zusammenreisst und sich nicht ablenken lässt, löst sich das Problem von selbst. Sie verweigern demzufolge auch eine medikamentöse Behandlung.

Dieser eine Schüler bringt enorme Unruhe in meine Klasse durch sein Verhalten. Er ist ein sehr liebenswerter, ehrlicher, herzlicher Schüler mit sehr vielen Qualitäten. Und er leidet selber massiv unter seinen Problemen. Manchmal weint er auch, wenn ihm ein Tag überhaupt nicht gelungen ist.

Die Situation ist so dramatisch, dass ich ihm schon Ohrstöpsel, beruhigende Bachblüten-Aromatherapie, etc. gekauft habe. Mittlerweile ist er (wahrscheinlich durch den Einfluss der Eltern) selber der Meinung, dass er keine Hilfe braucht.

Oft schicke ich ihn in liebevollem Ton in den Gruppenraum zum Arbeiten. Das verletzt ihn jeweils sehr, er fühlt sich dann „ungeliebt“ von mir. Wenn ich ihn hinten in der Klasse platziere, sieht er alles, was die anderen tun. Dann verliert er sowieso die Kontrolle. Wenn ich ihn vorne platziere, fühlt er sich unwohl, weil er das Gefühl hat, die anderen würden über ihn sprechen.

Strafen kann ich ihn auch nicht, weil er für sein Verhalten nichts kann.

Langsam mache ich mir auch Sorgen um seine Zukunft. Seine Noten machen die Achterbahn. Er wäre vom Potential her eigentlich ein Realschüler.

Mir ist bewusst, dass der SPD Mittel und Wege hat, die Eltern zu zwingen, dass der Junge medikamentös behandelt wird. Andererseits habe ich auch Angst, dass durch Medikamente seine tollen charakterlichen Qualitäten „gedämpft“ werden. Das wäre sehr schade…

Trotzdem: Es muss dringend etwas geschehen. Er treibt mich oft fast zum Wahnsinn. Und er bringt auch sehr viel Unruhe in die Klasse, die sich anstecken lässt.

Wie kann ich dem Jungen helfen? Eventuell sogar ohne Ritalin?

Mit liebem Gruss

Calimero

Liebe Calimero,

Du hast mit Deinem Beitrag sehr drängend und hoch komplex wirkende Fragen, ins Forum gestellt, die zudem mehrere Ebenen berühren.

In Deinem Beitrag bildet sich zunächst Deine Ebene ab , die der Lehrperson, die Du das Kind offenkundig gern hast, seine Ressourcen siehst, Dich enorm engagierst, um die Lage für alle Beteiligten wieder zu stabilisieren und doch klar signalisierst, dass Du an Grenzen kommst.

Dann erwähnst Du das Kind selbst, mit seinen Bedürfnissen, z.B. danach, Bestätigung zu erfahren, Erwartungen zu erfüllen, dazu gehören zu wollen usw.

Die Klasse wird ebenfalls thematisiert, auf die der im Fokus stehende Schüler wirkt, und auf den die Klasse wirkt.

Dann sprichst Du noch die Ebene der Eltern an, die plötzlich mit einer Diagnose konfrontiert sind, diese wahrscheinlich noch gar nicht recht verarbeitet haben und schon Stellung zum Einsatz von Medikamenten beziehen sollen.

Schliesslich ist auch noch die Ebene der externen Fachstelle, der SPD, angesprochen, die es in den ganzen Prozess ebenfalls einzubeziehen gilt.

Die Situation hat sich krisenhaft zugespitzt, so dass ich Dir gerne empfehlen möchte, spezifische fachspezifische Beratung in Gesprächsform in Anspruch zu nehmen. Dies kann in verschiedenen Varianten geschehen, zwei möchte ich Dir kurz aufzeigen. Einerseits könntest Du selbst beim SPD weitergehende, wahrscheinlich dominant psychologisch ausgerichtete Beratung beanspruchen. Andererseits kannst Du Dein Beratungsanliegen unter folgender Mail-Adresse: heike.meyer@phbern.ch, mitteilen und Dir wird dann rasch eine kompetente heilpädagogisch qualifizierte Fachperson von Seiten der PHBern zur Unterstützung zugewiesen.

Kannst Du Dir ein solches Vorgehen zur Bearbeitung Deiner Fragen vorstellen? Ich hoffe es sehr.

Mit lieben Grüssen
Adhei

Guten Abend

Herzlichen Dank für die prompte Antwort.

Sehr wohl kann ich mir jegliche Form von Hilfestellung vorstellen und bin auch dankbar dafür. Allerdings unterrichte ich im Kanton St. Gallen. Ich hoffe, dass dies kein Problem darstellt.

Ich muss vielleicht noch klarstellen, dass die Diagnose ADHS den Eltern nicht neu ist. Sie war bereits vor drei Jahren ein Thema. Damals hat der Junge Ritalin verschrieben bekommen. Die Eltern setzten das Medikament einfach ab. Ich habe das Gefühl, dass sie als sehr stolze Moslems grosse Mühe haben, diese Diagnose zu akzeptieren.

Der Junge selbst wünscht sich, dass er das Medikament wieder bekommt, weil er sich damals bedeutend besser gefühlt hat und sich gut konzentrieren konnte.

Ich habe am nächsten Dienstag beim SPD nochmals um ein Gespräch gebeten, weil die Situation untragbar geworden ist.

Mit liebem Gruss

Calimero